Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


den eine Bewegung, die ein jeder Mensch machet, wenn er einen Verlust anzeiget.

Jch bin sicher, daß kein Vernünftiger diese Gebehrden für zweideutig, undeutlich oder ausschweifend ausgeben wird.

Vollständig war wohl seine Antwort, aber nicht ausschweifend. Es ist die Frage: ob diese Aussage wahr gewesen? Gesetzt, er habe die Anwesenden hintergehen wollen, so bleibet dennoch diese Probe ein Beweis, daß der Jnquisit seine Gedanken vollständig auszudrücken im Stande sey, sogar wenn er lügen wolle.

Aber nachdem ich hierauf in Gegenwart des Herrn Hofraths und Criminalraths W** dieses Ohr untersuchte, so fand sich nahe am Gehörgange eine Narbe.

Es kann seyn, daß das Schrotkorn hier nur angeschlagen und seinen Weg bis in das Gehörgewölbe fortgesetzet hat: es kann seyn, daß einige Körner durchgefahren und die obern Theile der Luftröhre verletzet und wohl gar die Nerven des gegenüber liegenden Ohrs zerrissen haben, daraus zugleich die Ursache seines Unvermögens, einen lauten Schall hervorzubringen, erhellet.

Es kann endlich seyn, daß alle diese Wunden ohne innere und äußere Narben wieder zugeheilet worden, weil der Verletzte noch ein Kind war, und daß bloß die Narbe in dem knorplichten Gehörgange übrig geblieben.



den eine Bewegung, die ein jeder Mensch machet, wenn er einen Verlust anzeiget.

Jch bin sicher, daß kein Vernuͤnftiger diese Gebehrden fuͤr zweideutig, undeutlich oder ausschweifend ausgeben wird.

Vollstaͤndig war wohl seine Antwort, aber nicht ausschweifend. Es ist die Frage: ob diese Aussage wahr gewesen? Gesetzt, er habe die Anwesenden hintergehen wollen, so bleibet dennoch diese Probe ein Beweis, daß der Jnquisit seine Gedanken vollstaͤndig auszudruͤcken im Stande sey, sogar wenn er luͤgen wolle.

Aber nachdem ich hierauf in Gegenwart des Herrn Hofraths und Criminalraths W** dieses Ohr untersuchte, so fand sich nahe am Gehoͤrgange eine Narbe.

Es kann seyn, daß das Schrotkorn hier nur angeschlagen und seinen Weg bis in das Gehoͤrgewoͤlbe fortgesetzet hat: es kann seyn, daß einige Koͤrner durchgefahren und die obern Theile der Luftroͤhre verletzet und wohl gar die Nerven des gegenuͤber liegenden Ohrs zerrissen haben, daraus zugleich die Ursache seines Unvermoͤgens, einen lauten Schall hervorzubringen, erhellet.

Es kann endlich seyn, daß alle diese Wunden ohne innere und aͤußere Narben wieder zugeheilet worden, weil der Verletzte noch ein Kind war, und daß bloß die Narbe in dem knorplichten Gehoͤrgange uͤbrig geblieben.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <p><pb facs="#f0055" n="55"/><lb/>
den eine Bewegung, die ein jeder Mensch machet, wenn er einen Verlust                         anzeiget.</p>
            <p>Jch bin sicher, daß kein Vernu&#x0364;nftiger diese Gebehrden fu&#x0364;r zweideutig,                         undeutlich oder ausschweifend ausgeben wird.</p>
            <p>Vollsta&#x0364;ndig war wohl seine Antwort, aber nicht ausschweifend. Es ist die                         Frage: ob diese Aussage wahr gewesen? Gesetzt, er habe die Anwesenden                         hintergehen wollen, so bleibet dennoch diese Probe ein Beweis, daß der                         Jnquisit seine Gedanken vollsta&#x0364;ndig auszudru&#x0364;cken im Stande sey, sogar wenn                         er lu&#x0364;gen wolle.</p>
            <p>Aber nachdem ich hierauf in Gegenwart des Herrn Hofraths und Criminalraths                         W** dieses Ohr untersuchte, so fand sich nahe am Geho&#x0364;rgange eine Narbe.</p>
            <p>Es kann seyn, daß das Schrotkorn hier nur angeschlagen und seinen Weg bis in                         das Geho&#x0364;rgewo&#x0364;lbe fortgesetzet hat: es kann seyn, daß einige Ko&#x0364;rner                         durchgefahren und die obern Theile der Luftro&#x0364;hre verletzet und wohl gar die                         Nerven des gegenu&#x0364;ber liegenden Ohrs zerrissen haben, daraus zugleich die                         Ursache seines Unvermo&#x0364;gens, einen lauten Schall hervorzubringen,                         erhellet.</p>
            <p>Es kann endlich seyn, daß alle diese Wunden ohne innere und a&#x0364;ußere Narben                         wieder zugeheilet worden, weil der Verletzte noch ein Kind war, und daß bloß                         die Narbe in dem knorplichten Geho&#x0364;rgange u&#x0364;brig geblieben.</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[55/0055] den eine Bewegung, die ein jeder Mensch machet, wenn er einen Verlust anzeiget. Jch bin sicher, daß kein Vernuͤnftiger diese Gebehrden fuͤr zweideutig, undeutlich oder ausschweifend ausgeben wird. Vollstaͤndig war wohl seine Antwort, aber nicht ausschweifend. Es ist die Frage: ob diese Aussage wahr gewesen? Gesetzt, er habe die Anwesenden hintergehen wollen, so bleibet dennoch diese Probe ein Beweis, daß der Jnquisit seine Gedanken vollstaͤndig auszudruͤcken im Stande sey, sogar wenn er luͤgen wolle. Aber nachdem ich hierauf in Gegenwart des Herrn Hofraths und Criminalraths W** dieses Ohr untersuchte, so fand sich nahe am Gehoͤrgange eine Narbe. Es kann seyn, daß das Schrotkorn hier nur angeschlagen und seinen Weg bis in das Gehoͤrgewoͤlbe fortgesetzet hat: es kann seyn, daß einige Koͤrner durchgefahren und die obern Theile der Luftroͤhre verletzet und wohl gar die Nerven des gegenuͤber liegenden Ohrs zerrissen haben, daraus zugleich die Ursache seines Unvermoͤgens, einen lauten Schall hervorzubringen, erhellet. Es kann endlich seyn, daß alle diese Wunden ohne innere und aͤußere Narben wieder zugeheilet worden, weil der Verletzte noch ein Kind war, und daß bloß die Narbe in dem knorplichten Gehoͤrgange uͤbrig geblieben.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/55
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/55>, abgerufen am 22.11.2024.