Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Ja eben dieses ist die Ursache, warum er so gern seine Gedanken mahlet, und wenn er sie mahlet, so bemerket er die geringsten Nebenumstände, weil sie per legem associationis idearum mit seiner Hauptidee verknüpfet sind. Ob nun gleich seine Gedanken von einem weitläuftigeren Umfange, auch größerer Stärke sind, als die unsrigen, so haben sie doch den unvermeidlichen Fehler an sich, daß es einer solchen Seele schwerer wird, zu reflectiren und präscindiren, wie die Philosophen reden, das ist, er kann wenig abstractas ideas in dem Felde seiner Vorstellungen haben; er ist bei jeder Subsumtion in Gefahr, zu irren; er übersiehet nicht genugsam die Folgen seiner Handlungen: das Gebiet seiner Wissenschaft erstreckt sich nicht viel weiter, als die Gränzen seiner Empfindungen. Dieses alles bestätiget folgender Versuch: Als ich bemerkte, daß der Delinquent mehr von der Religion wußte, als ein Taub- und Stummgebohrner wissen kann, so war ich begierig zu untersuchen, wann er und wie er in dieses Unglück gerathen.
Ja eben dieses ist die Ursache, warum er so gern seine Gedanken mahlet, und wenn er sie mahlet, so bemerket er die geringsten Nebenumstaͤnde, weil sie per legem associationis idearum mit seiner Hauptidee verknuͤpfet sind. Ob nun gleich seine Gedanken von einem weitlaͤuftigeren Umfange, auch groͤßerer Staͤrke sind, als die unsrigen, so haben sie doch den unvermeidlichen Fehler an sich, daß es einer solchen Seele schwerer wird, zu reflectiren und praͤscindiren, wie die Philosophen reden, das ist, er kann wenig abstractas ideas in dem Felde seiner Vorstellungen haben; er ist bei jeder Subsumtion in Gefahr, zu irren; er uͤbersiehet nicht genugsam die Folgen seiner Handlungen: das Gebiet seiner Wissenschaft erstreckt sich nicht viel weiter, als die Graͤnzen seiner Empfindungen. Dieses alles bestaͤtiget folgender Versuch: Als ich bemerkte, daß der Delinquent mehr von der Religion wußte, als ein Taub- und Stummgebohrner wissen kann, so war ich begierig zu untersuchen, wann er und wie er in dieses Ungluͤck gerathen. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0053" n="53"/><lb/> standen; daher muͤssen Fragende sich huͤten, ihn anders als durch ganze Jdeen zu fragen und eben daher hoͤret er nicht eher auf, zu demonstriren, als bis er die ganze Jdee durch seine Gebehrden sichtbar gemachet hat.</p> <p>Ja eben dieses ist die Ursache, warum er so gern seine Gedanken mahlet, und wenn er sie mahlet, so bemerket er die geringsten Nebenumstaͤnde, weil sie <hi rendition="#aq">per legem associationis idearum</hi> mit seiner Hauptidee verknuͤpfet sind.</p> <p>Ob nun gleich seine Gedanken von einem weitlaͤuftigeren Umfange, auch groͤßerer Staͤrke sind, als die unsrigen, so haben sie doch den unvermeidlichen Fehler an sich, daß es einer solchen Seele schwerer wird, zu reflectiren und praͤscindiren, wie die Philosophen reden, das ist, er kann wenig <hi rendition="#aq">abstractas ideas</hi> in dem Felde seiner Vorstellungen haben; er ist bei jeder Subsumtion in Gefahr, zu irren; er uͤbersiehet nicht genugsam die Folgen seiner Handlungen: das Gebiet seiner Wissenschaft erstreckt sich nicht viel weiter, als die Graͤnzen seiner Empfindungen.</p> <p>Dieses alles bestaͤtiget folgender Versuch:</p> <p>Als ich bemerkte, daß der Delinquent mehr von der Religion wußte, als ein Taub- und Stummgebohrner wissen kann, so war ich begierig zu untersuchen, wann er und wie er in dieses Ungluͤck gerathen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [53/0053]
standen; daher muͤssen Fragende sich huͤten, ihn anders als durch ganze Jdeen zu fragen und eben daher hoͤret er nicht eher auf, zu demonstriren, als bis er die ganze Jdee durch seine Gebehrden sichtbar gemachet hat.
Ja eben dieses ist die Ursache, warum er so gern seine Gedanken mahlet, und wenn er sie mahlet, so bemerket er die geringsten Nebenumstaͤnde, weil sie per legem associationis idearum mit seiner Hauptidee verknuͤpfet sind.
Ob nun gleich seine Gedanken von einem weitlaͤuftigeren Umfange, auch groͤßerer Staͤrke sind, als die unsrigen, so haben sie doch den unvermeidlichen Fehler an sich, daß es einer solchen Seele schwerer wird, zu reflectiren und praͤscindiren, wie die Philosophen reden, das ist, er kann wenig abstractas ideas in dem Felde seiner Vorstellungen haben; er ist bei jeder Subsumtion in Gefahr, zu irren; er uͤbersiehet nicht genugsam die Folgen seiner Handlungen: das Gebiet seiner Wissenschaft erstreckt sich nicht viel weiter, als die Graͤnzen seiner Empfindungen.
Dieses alles bestaͤtiget folgender Versuch:
Als ich bemerkte, daß der Delinquent mehr von der Religion wußte, als ein Taub- und Stummgebohrner wissen kann, so war ich begierig zu untersuchen, wann er und wie er in dieses Ungluͤck gerathen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 53. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/53>, abgerufen am 05.07.2024. |