Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Das Zimmer der Zuhörer war ganz erhellt, meines ganz dunkel; eine Zuhörerin trug ein incarnatfarben Kleid, in der Zuhörer Zimmer stand ein Bett mit carmoisinen Umhängen und, ein Paar große Spiegel reflectirten ihre Lichtstrahlen auf mich. Die Pupillen meiner sehr guten Augen wurden, wider meinen Willen, der Dunkelheit meines Standpunkts wegen, sehr geöfnet, und alle die hohen Farben und häufigen Lichtstrahlen trafen jetzt von vorne her meine Sehnerven so stark, daß ihre Stärke jedes Gefühl und jeden Gedanken verdrängte: wie der gewiß die Flöte nicht hört, den man mit Waldhörnern in die Ohren bläst. Doch, ich darf mich hier mit Recht jeder weitern Auseinandersetzung enthalten. Steinort den 11ten Februar 1784.
Das Zimmer der Zuhoͤrer war ganz erhellt, meines ganz dunkel; eine Zuhoͤrerin trug ein incarnatfarben Kleid, in der Zuhoͤrer Zimmer stand ein Bett mit carmoisinen Umhaͤngen und, ein Paar große Spiegel reflectirten ihre Lichtstrahlen auf mich. Die Pupillen meiner sehr guten Augen wurden, wider meinen Willen, der Dunkelheit meines Standpunkts wegen, sehr geoͤfnet, und alle die hohen Farben und haͤufigen Lichtstrahlen trafen jetzt von vorne her meine Sehnerven so stark, daß ihre Staͤrke jedes Gefuͤhl und jeden Gedanken verdraͤngte: wie der gewiß die Floͤte nicht hoͤrt, den man mit Waldhoͤrnern in die Ohren blaͤst. Doch, ich darf mich hier mit Recht jeder weitern Auseinandersetzung enthalten. Steinort den 11ten Februar 1784.
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0039" n="39"/><lb/> angewandten Muͤhe ohngeachtet, konnte ich die Wirkung nicht zu ihrer ersten Hoͤhe fuͤhren) nach wiederholten Versuchen in folgendem:</p> <p>Das Zimmer der Zuhoͤrer war ganz erhellt, meines ganz dunkel; eine Zuhoͤrerin trug ein incarnatfarben Kleid, in der Zuhoͤrer Zimmer stand ein Bett mit carmoisinen Umhaͤngen und, ein Paar große Spiegel reflectirten ihre Lichtstrahlen auf mich.</p> <p>Die Pupillen meiner sehr guten Augen wurden, wider meinen Willen, der Dunkelheit meines Standpunkts wegen, sehr geoͤfnet, und alle die hohen Farben und haͤufigen Lichtstrahlen trafen jetzt von vorne her meine Sehnerven so stark, daß ihre Staͤrke jedes Gefuͤhl und jeden Gedanken verdraͤngte: wie der gewiß die Floͤte nicht hoͤrt, den man mit Waldhoͤrnern in die Ohren blaͤst. Doch, ich darf mich hier mit Recht jeder weitern Auseinandersetzung enthalten.</p> <p>Steinort den 11ten Februar 1784.</p> <p rendition="#right"><hi rendition="#b"><persName ref="#ref0049"><note type="editorial">Boͤtticher, Jakob Gottlieb Isaak</note>J. G. Boͤtticher,</persName></hi><lb/> Lehrer beym Grafen von Lehndorf zu Steinort<lb/> bey Rastenburg in Preussen.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [39/0039]
angewandten Muͤhe ohngeachtet, konnte ich die Wirkung nicht zu ihrer ersten Hoͤhe fuͤhren) nach wiederholten Versuchen in folgendem:
Das Zimmer der Zuhoͤrer war ganz erhellt, meines ganz dunkel; eine Zuhoͤrerin trug ein incarnatfarben Kleid, in der Zuhoͤrer Zimmer stand ein Bett mit carmoisinen Umhaͤngen und, ein Paar große Spiegel reflectirten ihre Lichtstrahlen auf mich.
Die Pupillen meiner sehr guten Augen wurden, wider meinen Willen, der Dunkelheit meines Standpunkts wegen, sehr geoͤfnet, und alle die hohen Farben und haͤufigen Lichtstrahlen trafen jetzt von vorne her meine Sehnerven so stark, daß ihre Staͤrke jedes Gefuͤhl und jeden Gedanken verdraͤngte: wie der gewiß die Floͤte nicht hoͤrt, den man mit Waldhoͤrnern in die Ohren blaͤst. Doch, ich darf mich hier mit Recht jeder weitern Auseinandersetzung enthalten.
Steinort den 11ten Februar 1784.
J. G. Boͤtticher,
Lehrer beym Grafen von Lehndorf zu Steinort
bey Rastenburg in Preussen.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/39>, abgerufen am 05.07.2024. |