Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Was war natürlicher, als daß er nach dem strebte, was ihm auf der Welt das Wünschenswertheste zu seyn schien? Ein Prediger, der seiner Eltern Hause gegen über wohnte, stand zuweilen in seiner schwarzen Kleidung und mit dem Kragen vor der Thüre, und Anton konnte ihn stundenlang mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten; die Knöpfe an seinem Kleide, die weissen Streifen, welche unter dem Ermel hervorguckten, alles war ihm heilig, und er konnte zuweilen im Ernst untersuchen, ob ein solcher auch wohl ein Mensch wie andre Menschen seyn möchte. Nun hieß es, der Hutmacher L.. in Braunschweig wolle sich Antons wie ein Freund annehmen, er solle bei ihm wie ein Kind gehalten seyn, und nur leichte und anständige Arbeiten, als etwa Rechnungen schreiben, Bestellungen ausrichten, u.d.gl. übernehmen, alsdenn solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen, bis er konfirmirt wäre, und sich dann zu etwas entschließen könnte. Dieß klang in Antons Ohren äußerst angenehm, insbesondre der letzte Punkt von der Schule; denn wenn er diesen Zweck nur erst erreicht hätte, glaubte er, würde es ihm nicht fehlen, sich so vorzüglich auszuzeichnen, daß sich ihm zum Studieren von selber schon Mittel und Wege eröfnen müßten.
Was war natuͤrlicher, als daß er nach dem strebte, was ihm auf der Welt das Wuͤnschenswertheste zu seyn schien? Ein Prediger, der seiner Eltern Hause gegen uͤber wohnte, stand zuweilen in seiner schwarzen Kleidung und mit dem Kragen vor der Thuͤre, und Anton konnte ihn stundenlang mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten; die Knoͤpfe an seinem Kleide, die weissen Streifen, welche unter dem Ermel hervorguckten, alles war ihm heilig, und er konnte zuweilen im Ernst untersuchen, ob ein solcher auch wohl ein Mensch wie andre Menschen seyn moͤchte. Nun hieß es, der Hutmacher L.. in Braunschweig wolle sich Antons wie ein Freund annehmen, er solle bei ihm wie ein Kind gehalten seyn, und nur leichte und anstaͤndige Arbeiten, als etwa Rechnungen schreiben, Bestellungen ausrichten, u.d.gl. uͤbernehmen, alsdenn solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen, bis er konfirmirt waͤre, und sich dann zu etwas entschließen koͤnnte. Dieß klang in Antons Ohren aͤußerst angenehm, insbesondre der letzte Punkt von der Schule; denn wenn er diesen Zweck nur erst erreicht haͤtte, glaubte er, wuͤrde es ihm nicht fehlen, sich so vorzuͤglich auszuzeichnen, daß sich ihm zum Studieren von selber schon Mittel und Wege eroͤfnen muͤßten. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0030" n="30"/><lb/> zen Rock trug, so daß er diese Leute beinahe fuͤr eine Art uͤbermenschlicher Wesen hielt.</p> <p>Was war natuͤrlicher, als daß er nach dem strebte, was ihm auf der Welt das Wuͤnschenswertheste zu seyn schien?</p> <p>Ein Prediger, der seiner Eltern Hause gegen uͤber wohnte, stand zuweilen in seiner schwarzen Kleidung und mit dem Kragen vor der Thuͤre, und Anton konnte ihn stundenlang mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten; die Knoͤpfe an seinem Kleide, die weissen Streifen, welche unter dem Ermel hervorguckten, alles war ihm heilig, und er konnte zuweilen im Ernst untersuchen, ob ein solcher auch wohl ein Mensch wie andre Menschen seyn moͤchte.</p> <p>Nun hieß es, der Hutmacher L.. in Braunschweig wolle sich Antons wie ein Freund annehmen, er solle bei ihm wie ein Kind gehalten seyn, und nur leichte und anstaͤndige Arbeiten, als etwa Rechnungen schreiben, Bestellungen ausrichten, u.d.gl. uͤbernehmen, alsdenn solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen, bis er konfirmirt waͤre, und sich dann zu etwas entschließen koͤnnte.</p> <p>Dieß klang in Antons Ohren aͤußerst angenehm, insbesondre der letzte Punkt von der Schule; denn wenn er diesen Zweck nur erst erreicht haͤtte, glaubte er, wuͤrde es ihm nicht fehlen, sich so vorzuͤglich auszuzeichnen, daß sich ihm zum Studieren von selber schon Mittel und Wege eroͤfnen muͤßten.</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [30/0030]
zen Rock trug, so daß er diese Leute beinahe fuͤr eine Art uͤbermenschlicher Wesen hielt.
Was war natuͤrlicher, als daß er nach dem strebte, was ihm auf der Welt das Wuͤnschenswertheste zu seyn schien?
Ein Prediger, der seiner Eltern Hause gegen uͤber wohnte, stand zuweilen in seiner schwarzen Kleidung und mit dem Kragen vor der Thuͤre, und Anton konnte ihn stundenlang mit der tiefsten Ehrfurcht betrachten; die Knoͤpfe an seinem Kleide, die weissen Streifen, welche unter dem Ermel hervorguckten, alles war ihm heilig, und er konnte zuweilen im Ernst untersuchen, ob ein solcher auch wohl ein Mensch wie andre Menschen seyn moͤchte.
Nun hieß es, der Hutmacher L.. in Braunschweig wolle sich Antons wie ein Freund annehmen, er solle bei ihm wie ein Kind gehalten seyn, und nur leichte und anstaͤndige Arbeiten, als etwa Rechnungen schreiben, Bestellungen ausrichten, u.d.gl. uͤbernehmen, alsdenn solle er auch noch zwei Jahre in die Schule gehen, bis er konfirmirt waͤre, und sich dann zu etwas entschließen koͤnnte.
Dieß klang in Antons Ohren aͤußerst angenehm, insbesondre der letzte Punkt von der Schule; denn wenn er diesen Zweck nur erst erreicht haͤtte, glaubte er, wuͤrde es ihm nicht fehlen, sich so vorzuͤglich auszuzeichnen, daß sich ihm zum Studieren von selber schon Mittel und Wege eroͤfnen muͤßten.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 30. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/30>, abgerufen am 05.07.2024. |