Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.So ging es oft verschiednemale in einer Stunde, und dieß war für Anton ein höchst peinlicher und ängstlicher Zustand. Er überließ sich wieder, aber beständig mit Angst und klopfendem Herzen, seinen vorigen Zerstreuungen. Dann fing er das Werk seiner Bekehrung einmal von vorn wieder an, und so schwankte er beständig hin und her, und fand nirgends Ruhe und Zufriedenheit, indem er sich vergeblich die unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte. Dieß beständige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslauf seines Vaters, dem es im funfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hofte, wornach er so lange vergeblich gestrebt hatte. Mit Anton war es anfänglich ziemlich gut gegangen: allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte, litte seine Frömmigkeit einen großen Stoß; seine Frömmigkeit war nichts als ein ängstliches, gezwungenes Wesen, und es wollte nie recht mit ihm fort. Er las darauf irgendwo, wie unnütz und schädlich das Selbstbessern sey, und daß man sich bloß leidend verhalten, und die göttliche Gnade in sich würken lassen müsse: er betete daher oft sehr auf- So ging es oft verschiednemale in einer Stunde, und dieß war fuͤr Anton ein hoͤchst peinlicher und aͤngstlicher Zustand. Er uͤberließ sich wieder, aber bestaͤndig mit Angst und klopfendem Herzen, seinen vorigen Zerstreuungen. Dann fing er das Werk seiner Bekehrung einmal von vorn wieder an, und so schwankte er bestaͤndig hin und her, und fand nirgends Ruhe und Zufriedenheit, indem er sich vergeblich die unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte. Dieß bestaͤndige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslauf seines Vaters, dem es im funfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hofte, wornach er so lange vergeblich gestrebt hatte. Mit Anton war es anfaͤnglich ziemlich gut gegangen: allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte, litte seine Froͤmmigkeit einen großen Stoß; seine Froͤmmigkeit war nichts als ein aͤngstliches, gezwungenes Wesen, und es wollte nie recht mit ihm fort. Er las darauf irgendwo, wie unnuͤtz und schaͤdlich das Selbstbessern sey, und daß man sich bloß leidend verhalten, und die goͤttliche Gnade in sich wuͤrken lassen muͤsse: er betete daher oft sehr auf- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0027" n="27"/><lb/> <p>So ging es oft verschiednemale in einer Stunde, und dieß war fuͤr Anton ein hoͤchst peinlicher und aͤngstlicher Zustand.</p> <p>Er uͤberließ sich wieder, aber bestaͤndig mit Angst und klopfendem Herzen, seinen vorigen Zerstreuungen.</p> <p>Dann fing er das Werk seiner Bekehrung einmal von vorn wieder an, und so schwankte er bestaͤndig hin und her, und fand nirgends Ruhe und Zufriedenheit, indem er sich vergeblich die unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte.</p> <p>Dieß bestaͤndige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslauf seines Vaters, dem es im funfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hofte, wornach er so lange vergeblich gestrebt hatte.</p> <p>Mit Anton war es anfaͤnglich ziemlich gut gegangen: allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte, litte seine Froͤmmigkeit einen großen Stoß; seine Froͤmmigkeit war nichts als ein aͤngstliches, gezwungenes Wesen, und es wollte nie recht mit ihm fort.</p> <p>Er las darauf irgendwo, wie unnuͤtz und schaͤdlich das Selbstbessern sey, und daß man sich bloß leidend verhalten, und die goͤttliche Gnade in sich wuͤrken lassen muͤsse: er betete daher oft sehr auf-<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [27/0027]
So ging es oft verschiednemale in einer Stunde, und dieß war fuͤr Anton ein hoͤchst peinlicher und aͤngstlicher Zustand.
Er uͤberließ sich wieder, aber bestaͤndig mit Angst und klopfendem Herzen, seinen vorigen Zerstreuungen.
Dann fing er das Werk seiner Bekehrung einmal von vorn wieder an, und so schwankte er bestaͤndig hin und her, und fand nirgends Ruhe und Zufriedenheit, indem er sich vergeblich die unschuldigsten Freuden seiner Jugend verbitterte, und es doch in dem andern nie weit brachte.
Dieß bestaͤndige Hin- und Herschwanken ist zugleich ein Bild von dem ganzen Lebenslauf seines Vaters, dem es im funfzigsten Jahre seines Lebens noch nicht besser ging, und der doch immer noch das Rechte zu finden hofte, wornach er so lange vergeblich gestrebt hatte.
Mit Anton war es anfaͤnglich ziemlich gut gegangen: allein seitdem er kein Latein mehr lernen sollte, litte seine Froͤmmigkeit einen großen Stoß; seine Froͤmmigkeit war nichts als ein aͤngstliches, gezwungenes Wesen, und es wollte nie recht mit ihm fort.
Er las darauf irgendwo, wie unnuͤtz und schaͤdlich das Selbstbessern sey, und daß man sich bloß leidend verhalten, und die goͤttliche Gnade in sich wuͤrken lassen muͤsse: er betete daher oft sehr auf-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/27>, abgerufen am 05.07.2024. |