Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.
Er sieht ihren kleinen Begleiter nicht, sie aber sieht ihn, und hört an der Schloßbrücke zum letztenmale seine Aufforderung mitzugehen; und da sie sich nochmals weigert, die Drohung, daß sie vier Tage blind und stumm seyn sollte, und damit geht das Männchen seiner Wege. Die Magd eilt aufs Schloß in ihr Schlafgemach, wirft sich aufs Bette, und kann Mund und Augen nicht mehr öfnen. Sie wird da aufgesucht. Kein Mensch weiß, was ihr begegnet, und jedermann glaubt, daß sie sterben müsse. Sie verstand alles, was mit ihr geredet wurde, und gab oft, besonders ihrer lamentirenden Mutter, Zeichen mit der Hand zur Beruhigung, konnte aber nichts sagen, so sehr ihre Mutter sie darum bat. Jhre edeldenkende Herrschaft wendet alle Mühe an, sie wiederherzustellen, und will ihr Arznei beibringen, aber sie macht den Mund nicht auf. Es wird ein Bader geholt, der ihr zur Ader lassen muß, und sie sehr erhitzt findet. Alles ist umsonst. Aber nach dem Verlaufe von vier Tagen steht sie wieder auf, ist gesund, sieht und spricht wie zuvor, und erzählt ihre Begebenheit selbst. Vielen, auch nicht etwa nur gemeinen Leuten, ist dieser Vorfall ein Beweiß für die Wahrheit der
Er sieht ihren kleinen Begleiter nicht, sie aber sieht ihn, und hoͤrt an der Schloßbruͤcke zum letztenmale seine Aufforderung mitzugehen; und da sie sich nochmals weigert, die Drohung, daß sie vier Tage blind und stumm seyn sollte, und damit geht das Maͤnnchen seiner Wege. Die Magd eilt aufs Schloß in ihr Schlafgemach, wirft sich aufs Bette, und kann Mund und Augen nicht mehr oͤfnen. Sie wird da aufgesucht. Kein Mensch weiß, was ihr begegnet, und jedermann glaubt, daß sie sterben muͤsse. Sie verstand alles, was mit ihr geredet wurde, und gab oft, besonders ihrer lamentirenden Mutter, Zeichen mit der Hand zur Beruhigung, konnte aber nichts sagen, so sehr ihre Mutter sie darum bat. Jhre edeldenkende Herrschaft wendet alle Muͤhe an, sie wiederherzustellen, und will ihr Arznei beibringen, aber sie macht den Mund nicht auf. Es wird ein Bader geholt, der ihr zur Ader lassen muß, und sie sehr erhitzt findet. Alles ist umsonst. Aber nach dem Verlaufe von vier Tagen steht sie wieder auf, ist gesund, sieht und spricht wie zuvor, und erzaͤhlt ihre Begebenheit selbst. Vielen, auch nicht etwa nur gemeinen Leuten, ist dieser Vorfall ein Beweiß fuͤr die Wahrheit der <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0015" n="15"/><lb/> tert sie immer mit ihm zu gehen; sie koͤmmt unter dieser Gesellschaft in den Hof ihrer Herrschaft, dort fraͤgt sie der Kutscher, wo sie gewesen sei, und erhaͤlt gehoͤrige Antwort von ihr.</p> <p>Er sieht ihren kleinen Begleiter nicht, sie aber sieht ihn, und hoͤrt an der Schloßbruͤcke zum letztenmale seine <choice><corr>Aufforderung</corr><sic>Aufforderuug</sic></choice> mitzugehen; und da sie sich nochmals weigert, die Drohung, daß sie vier Tage blind und stumm seyn sollte, und damit geht das Maͤnnchen seiner Wege. Die Magd eilt aufs Schloß in ihr Schlafgemach, wirft sich aufs Bette, und kann <hi rendition="#b">Mund und Augen nicht mehr oͤfnen.</hi></p> <p>Sie wird da aufgesucht. Kein Mensch weiß, was ihr begegnet, und jedermann glaubt, daß sie sterben muͤsse. Sie verstand alles, was mit ihr geredet wurde, und gab oft, besonders ihrer lamentirenden Mutter, Zeichen mit der Hand zur Beruhigung, konnte aber nichts sagen, so sehr ihre Mutter sie darum bat.</p> <p>Jhre edeldenkende Herrschaft wendet alle Muͤhe an, sie wiederherzustellen, und will ihr Arznei beibringen, aber sie macht den Mund nicht auf. Es wird ein Bader geholt, der ihr zur Ader lassen muß, und sie sehr erhitzt findet.</p> <p>Alles ist umsonst. Aber nach dem Verlaufe von vier Tagen steht sie wieder auf, ist gesund, sieht und spricht wie zuvor, und erzaͤhlt ihre Begebenheit selbst.</p> <p>Vielen, auch nicht etwa nur gemeinen Leuten, ist dieser Vorfall ein Beweiß fuͤr die Wahrheit der<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [15/0015]
tert sie immer mit ihm zu gehen; sie koͤmmt unter dieser Gesellschaft in den Hof ihrer Herrschaft, dort fraͤgt sie der Kutscher, wo sie gewesen sei, und erhaͤlt gehoͤrige Antwort von ihr.
Er sieht ihren kleinen Begleiter nicht, sie aber sieht ihn, und hoͤrt an der Schloßbruͤcke zum letztenmale seine Aufforderung mitzugehen; und da sie sich nochmals weigert, die Drohung, daß sie vier Tage blind und stumm seyn sollte, und damit geht das Maͤnnchen seiner Wege. Die Magd eilt aufs Schloß in ihr Schlafgemach, wirft sich aufs Bette, und kann Mund und Augen nicht mehr oͤfnen.
Sie wird da aufgesucht. Kein Mensch weiß, was ihr begegnet, und jedermann glaubt, daß sie sterben muͤsse. Sie verstand alles, was mit ihr geredet wurde, und gab oft, besonders ihrer lamentirenden Mutter, Zeichen mit der Hand zur Beruhigung, konnte aber nichts sagen, so sehr ihre Mutter sie darum bat.
Jhre edeldenkende Herrschaft wendet alle Muͤhe an, sie wiederherzustellen, und will ihr Arznei beibringen, aber sie macht den Mund nicht auf. Es wird ein Bader geholt, der ihr zur Ader lassen muß, und sie sehr erhitzt findet.
Alles ist umsonst. Aber nach dem Verlaufe von vier Tagen steht sie wieder auf, ist gesund, sieht und spricht wie zuvor, und erzaͤhlt ihre Begebenheit selbst.
Vielen, auch nicht etwa nur gemeinen Leuten, ist dieser Vorfall ein Beweiß fuͤr die Wahrheit der
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/15>, abgerufen am 05.07.2024. |