Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784.Bei alle den Verbis, die auf die Art etwas anzeigen, daß mehr in uns bleibt, als von uns ausgeht, so daß wir uns mehr leidend als thätig verhalten, wird das völlig Vergangne nicht durch haben sondern durch seyn bezeichnet, daher sagen wir ich bin begegnet, ich bin gefallen, ich bin gestürzt, weil alle diese Verba etwas bezeichnen das von uns unabhängig ist, und wobei wir uns mehr leidend als thätig verhalten. Demohngeachtet aber sagen wir, es hat mich gefreuet, es hat mir geahndet, u.s.w. weil wir uns bei den unpersönlichen Verbis zwar selbst wie leidend verhalten, aber dasjenige, was auf uns wirkt, sich gewissermaßen thätig gegen uns verhält. Wir sagen sogar, ich habe gelitten, ich habe geruhet, ich habe geschlafen, obgleich alles dieses eigentlich keine Handlungen sind, die von uns ausgehen, allein wir denken sie uns doch einmal, als von uns abhängig, ob wir leiden, ruhen, oder schlafen wollen oder nicht, kurz, wir denken uns gewissermaßen thätig. Bei den Verändrungen des Orts aber, als gehen, laufen, kommen, scheinen wir uns am wenigsten thätig zu denken, weil die Bewegung unsern Körper gleichsam fortzieht, und derselbe sich also nur leidend verhält, darum sagen wir, ich bin gegangen, gelaufen, gekommen, u.s.w. Bei alle den Verbis, die auf die Art etwas anzeigen, daß mehr in uns bleibt, als von uns ausgeht, so daß wir uns mehr leidend als thaͤtig verhalten, wird das voͤllig Vergangne nicht durch haben sondern durch seyn bezeichnet, daher sagen wir ich bin begegnet, ich bin gefallen, ich bin gestuͤrzt, weil alle diese Verba etwas bezeichnen das von uns unabhaͤngig ist, und wobei wir uns mehr leidend als thaͤtig verhalten. Demohngeachtet aber sagen wir, es hat mich gefreuet, es hat mir geahndet, u.s.w. weil wir uns bei den unpersoͤnlichen Verbis zwar selbst wie leidend verhalten, aber dasjenige, was auf uns wirkt, sich gewissermaßen thaͤtig gegen uns verhaͤlt. Wir sagen sogar, ich habe gelitten, ich habe geruhet, ich habe geschlafen, obgleich alles dieses eigentlich keine Handlungen sind, die von uns ausgehen, allein wir denken sie uns doch einmal, als von uns abhaͤngig, ob wir leiden, ruhen, oder schlafen wollen oder nicht, kurz, wir denken uns gewissermaßen thaͤtig. Bei den Veraͤndrungen des Orts aber, als gehen, laufen, kommen, scheinen wir uns am wenigsten thaͤtig zu denken, weil die Bewegung unsern Koͤrper gleichsam fortzieht, und derselbe sich also nur leidend verhaͤlt, darum sagen wir, ich bin gegangen, gelaufen, gekommen, u.s.w. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0113" n="113"/><lb/> <p>Bei alle den Verbis, die auf die Art etwas anzeigen, daß mehr <hi rendition="#b">in</hi> uns bleibt, als von uns <hi rendition="#b">ausgeht,</hi> so daß wir uns mehr <hi rendition="#b">leidend</hi> als thaͤtig verhalten, wird das <hi rendition="#b">voͤllig Vergangne</hi> nicht durch <hi rendition="#b">haben</hi> sondern durch <hi rendition="#b">seyn</hi> bezeichnet, daher sagen wir <hi rendition="#b">ich bin begegnet, ich bin gefallen, ich bin gestuͤrzt,</hi> weil alle diese Verba etwas bezeichnen das von uns unabhaͤngig ist, und wobei wir uns mehr <hi rendition="#b">leidend</hi> als <hi rendition="#b">thaͤtig</hi> verhalten.</p> <p>Demohngeachtet aber sagen wir, <hi rendition="#b">es hat mich gefreuet, es hat mir geahndet,</hi> u.s.w. weil wir uns bei den unpersoͤnlichen Verbis zwar selbst wie <hi rendition="#b">leidend</hi> verhalten, aber dasjenige, was auf uns wirkt, sich gewissermaßen <hi rendition="#b">thaͤtig</hi> gegen uns verhaͤlt.</p> <p>Wir sagen sogar, <hi rendition="#b">ich habe gelitten, ich habe geruhet, ich habe geschlafen,</hi> obgleich alles dieses eigentlich keine Handlungen sind, die von uns ausgehen, allein wir denken sie uns doch einmal, als von uns abhaͤngig, ob wir leiden, ruhen, oder schlafen <hi rendition="#b">wollen</hi> oder nicht, kurz, wir denken uns gewissermaßen <hi rendition="#b">thaͤtig.</hi></p> <p>Bei den <hi rendition="#b">Veraͤndrungen des Orts</hi> aber, als <hi rendition="#b">gehen, laufen, kommen,</hi> scheinen wir uns am wenigsten <hi rendition="#b">thaͤtig</hi> zu denken, weil die Bewegung unsern Koͤrper gleichsam fortzieht, und derselbe sich also nur <hi rendition="#b">leidend</hi> verhaͤlt, darum sagen wir, <hi rendition="#b">ich bin gegangen, gelaufen, gekommen,</hi> u.s.w.<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [113/0113]
Bei alle den Verbis, die auf die Art etwas anzeigen, daß mehr in uns bleibt, als von uns ausgeht, so daß wir uns mehr leidend als thaͤtig verhalten, wird das voͤllig Vergangne nicht durch haben sondern durch seyn bezeichnet, daher sagen wir ich bin begegnet, ich bin gefallen, ich bin gestuͤrzt, weil alle diese Verba etwas bezeichnen das von uns unabhaͤngig ist, und wobei wir uns mehr leidend als thaͤtig verhalten.
Demohngeachtet aber sagen wir, es hat mich gefreuet, es hat mir geahndet, u.s.w. weil wir uns bei den unpersoͤnlichen Verbis zwar selbst wie leidend verhalten, aber dasjenige, was auf uns wirkt, sich gewissermaßen thaͤtig gegen uns verhaͤlt.
Wir sagen sogar, ich habe gelitten, ich habe geruhet, ich habe geschlafen, obgleich alles dieses eigentlich keine Handlungen sind, die von uns ausgehen, allein wir denken sie uns doch einmal, als von uns abhaͤngig, ob wir leiden, ruhen, oder schlafen wollen oder nicht, kurz, wir denken uns gewissermaßen thaͤtig.
Bei den Veraͤndrungen des Orts aber, als gehen, laufen, kommen, scheinen wir uns am wenigsten thaͤtig zu denken, weil die Bewegung unsern Koͤrper gleichsam fortzieht, und derselbe sich also nur leidend verhaͤlt, darum sagen wir, ich bin gegangen, gelaufen, gekommen, u.s.w.
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 2. Berlin, 1784, S. 113. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0202_1784/113>, abgerufen am 16.02.2025. |