Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.Weil nehmlich seine Träume größtentheils sehr lebhaft waren, und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen; so fiel es ihm ein, das er auch wohl am hellen Tage träume, und die Leute um ihn her nebst allem, was er sahe, Geschöpfe seiner Einbildungskraft seyn könnten. Dieß war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fürchtete sich vor sich selber, so oft es ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loß zu machen. Nach dieser Ausschweifung wollen wir der Zeitfolge gemäß in Antons Geschichte wieder fortfahren, den wir eilf Jahre alt bei der Lektüre der schönen Banise und der Jnsel Felsenburg verlassen haben. Er bekam nun auch Fenelons Todtengespräche, nebst dessen Erzählungen zu lesen, und sein Schreibemeister fing an, ihn eigne Briefe und Ausarbeitungen machen zu lassen. Dieß war für Anton eine noch nie empfundne Freude. Er fing nun an, seine Lektüre zu nutzen, und hie und da Nachahmungen von dem Gelesnen anzubringen, wodurch er sich den Beifall und die Achtung seines Lehrers erwarb. Sein Vater musicirte mit in einem Konzert, wo Ramlers Tod Jesu aufgeführt wurde, und brachte einen gedruckten Text davon mit zu Hause. Dieser hatte für Anton so viel Anziehendes, und übertraf alles Poetische, was er bisher gelesen hatte, Weil nehmlich seine Traͤume groͤßtentheils sehr lebhaft waren, und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen; so fiel es ihm ein, das er auch wohl am hellen Tage traͤume, und die Leute um ihn her nebst allem, was er sahe, Geschoͤpfe seiner Einbildungskraft seyn koͤnnten. Dieß war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fuͤrchtete sich vor sich selber, so oft es ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loß zu machen. Nach dieser Ausschweifung wollen wir der Zeitfolge gemaͤß in Antons Geschichte wieder fortfahren, den wir eilf Jahre alt bei der Lektuͤre der schoͤnen Banise und der Jnsel Felsenburg verlassen haben. Er bekam nun auch Fenelons Todtengespraͤche, nebst dessen Erzaͤhlungen zu lesen, und sein Schreibemeister fing an, ihn eigne Briefe und Ausarbeitungen machen zu lassen. Dieß war fuͤr Anton eine noch nie empfundne Freude. Er fing nun an, seine Lektuͤre zu nutzen, und hie und da Nachahmungen von dem Gelesnen anzubringen, wodurch er sich den Beifall und die Achtung seines Lehrers erwarb. Sein Vater musicirte mit in einem Konzert, wo Ramlers Tod Jesu aufgefuͤhrt wurde, und brachte einen gedruckten Text davon mit zu Hause. Dieser hatte fuͤr Anton so viel Anziehendes, und uͤbertraf alles Poetische, was er bisher gelesen hatte, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0087" n="85"/><lb/> <p>Weil nehmlich seine Traͤume groͤßtentheils sehr lebhaft waren, und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen; so fiel es ihm ein, das er auch wohl am hellen Tage traͤume, und die Leute um ihn her nebst allem, was er sahe, Geschoͤpfe seiner Einbildungskraft seyn koͤnnten. </p> <p>Dieß war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fuͤrchtete sich vor sich selber, so oft es ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loß zu machen. </p> <p>Nach dieser Ausschweifung wollen wir der Zeitfolge gemaͤß in Antons Geschichte wieder fortfahren, den wir eilf Jahre alt bei der Lektuͤre der schoͤnen Banise und der Jnsel Felsenburg verlassen haben. Er bekam nun auch Fenelons Todtengespraͤche, nebst dessen Erzaͤhlungen zu lesen, und sein Schreibemeister fing an, ihn eigne Briefe und Ausarbeitungen machen zu lassen. </p> <p>Dieß war fuͤr Anton eine noch nie empfundne Freude. Er fing nun an, seine Lektuͤre zu nutzen, und hie und da Nachahmungen von dem Gelesnen anzubringen, wodurch er sich den Beifall und die Achtung seines Lehrers erwarb. </p> <p>Sein Vater musicirte mit in einem Konzert, wo Ramlers Tod Jesu aufgefuͤhrt wurde, und brachte einen gedruckten Text davon mit zu Hause. Dieser hatte fuͤr Anton so viel Anziehendes, und uͤbertraf alles Poetische, was er bisher gelesen hatte,<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0087]
Weil nehmlich seine Traͤume groͤßtentheils sehr lebhaft waren, und beinahe an die Wirklichkeit zu grenzen schienen; so fiel es ihm ein, das er auch wohl am hellen Tage traͤume, und die Leute um ihn her nebst allem, was er sahe, Geschoͤpfe seiner Einbildungskraft seyn koͤnnten.
Dieß war ihm ein erschrecklicher Gedanke, und er fuͤrchtete sich vor sich selber, so oft es ihm einfiel, auch suchte er sich dann wirklich durch Zerstreuung von diesen Gedanken loß zu machen.
Nach dieser Ausschweifung wollen wir der Zeitfolge gemaͤß in Antons Geschichte wieder fortfahren, den wir eilf Jahre alt bei der Lektuͤre der schoͤnen Banise und der Jnsel Felsenburg verlassen haben. Er bekam nun auch Fenelons Todtengespraͤche, nebst dessen Erzaͤhlungen zu lesen, und sein Schreibemeister fing an, ihn eigne Briefe und Ausarbeitungen machen zu lassen.
Dieß war fuͤr Anton eine noch nie empfundne Freude. Er fing nun an, seine Lektuͤre zu nutzen, und hie und da Nachahmungen von dem Gelesnen anzubringen, wodurch er sich den Beifall und die Achtung seines Lehrers erwarb.
Sein Vater musicirte mit in einem Konzert, wo Ramlers Tod Jesu aufgefuͤhrt wurde, und brachte einen gedruckten Text davon mit zu Hause. Dieser hatte fuͤr Anton so viel Anziehendes, und uͤbertraf alles Poetische, was er bisher gelesen hatte,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/87>, abgerufen am 16.02.2025. |