Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


Kreaturen, kurz alles was ihn umgab, mit in die Sphäre seines Daseyns hineinziehen, und alles mußte sich um ihn, als den einzigen Mittelpunkt umherbewegen, bis ihm schwindelte. Dieses Spiel seiner Einbildungskraft machte ihn damals oft wonnevollere Stunden, als er je nachher wieder genossen hat.

So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner Kindheit. Wie oft, wenn er an einem trüben Tage bis zum Ueberdruß und Eckel in der Stube eingesperrt war, und etwa ein Sonnenstrahl durch eine Fensterscheibe fiel, erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom Paradiese, von Elysium, oder von der Jnsel der Kalypso, die ihn ganze Stundenlang entzückten.

Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an, erinnert er sich auch der höllischen Quaalen, die ihm die Mährchen seiner Mutter und seiner Base im Wachen und im Schlafe machten: wenn er bald im Traume lauter Bekannte um sich her sahe, die ihn plötzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern anblickten, bald eine hohe düstre Stiege hinaufging, und eine grauenvolle Gestalt ihm die Rückkehr verwehrte, oder gar der Teufel bald wie ein fleckichtes Huhn, bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien.

Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, jagte ihm jede alte Frau Furcht und Entsetzen ein, so viel hörte er beständig von Hexen und


Kreaturen, kurz alles was ihn umgab, mit in die Sphaͤre seines Daseyns hineinziehen, und alles mußte sich um ihn, als den einzigen Mittelpunkt umherbewegen, bis ihm schwindelte. Dieses Spiel seiner Einbildungskraft machte ihn damals oft wonnevollere Stunden, als er je nachher wieder genossen hat.

So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner Kindheit. Wie oft, wenn er an einem truͤben Tage bis zum Ueberdruß und Eckel in der Stube eingesperrt war, und etwa ein Sonnenstrahl durch eine Fensterscheibe fiel, erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom Paradiese, von Elysium, oder von der Jnsel der Kalypso, die ihn ganze Stundenlang entzuͤckten.

Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an, erinnert er sich auch der hoͤllischen Quaalen, die ihm die Maͤhrchen seiner Mutter und seiner Base im Wachen und im Schlafe machten: wenn er bald im Traume lauter Bekannte um sich her sahe, die ihn ploͤtzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern anblickten, bald eine hohe duͤstre Stiege hinaufging, und eine grauenvolle Gestalt ihm die Ruͤckkehr verwehrte, oder gar der Teufel bald wie ein fleckichtes Huhn, bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien.

Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, jagte ihm jede alte Frau Furcht und Entsetzen ein, so viel hoͤrte er bestaͤndig von Hexen und

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0080" n="78"/><lb/>
Kreaturen, kurz alles was ihn umgab, mit in  die Spha&#x0364;re seines Daseyns hineinziehen, und alles mußte sich um ihn, als den  einzigen Mittelpunkt umherbewegen, bis ihm schwindelte. Dieses Spiel seiner  Einbildungskraft machte ihn damals oft wonnevollere Stunden, als er je  nachher wieder genossen hat. </p>
            <p>So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner  Kindheit. Wie oft, wenn er an einem tru&#x0364;ben Tage bis zum Ueberdruß und Eckel  in der Stube eingesperrt war, und etwa ein Sonnenstrahl durch eine  Fensterscheibe fiel, erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom  Paradiese, von Elysium, oder von der Jnsel der Kalypso, die ihn ganze  Stundenlang entzu&#x0364;ckten. </p>
            <p>Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an, erinnert er sich auch der  ho&#x0364;llischen Quaalen, die ihm die Ma&#x0364;hrchen seiner Mutter und seiner Base im  Wachen und im Schlafe machten: wenn er bald im Traume lauter Bekannte um  sich her sahe, die ihn plo&#x0364;tzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern  anblickten, bald eine hohe du&#x0364;stre Stiege hinaufging, und eine grauenvolle  Gestalt ihm die Ru&#x0364;ckkehr verwehrte, oder gar der Teufel bald wie ein  fleckichtes Huhn, bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien. </p>
            <p>Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, jagte ihm jede alte Frau  Furcht und Entsetzen ein, so viel ho&#x0364;rte er besta&#x0364;ndig von Hexen und<lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[78/0080] Kreaturen, kurz alles was ihn umgab, mit in die Sphaͤre seines Daseyns hineinziehen, und alles mußte sich um ihn, als den einzigen Mittelpunkt umherbewegen, bis ihm schwindelte. Dieses Spiel seiner Einbildungskraft machte ihn damals oft wonnevollere Stunden, als er je nachher wieder genossen hat. So machte seine Einbildungskraft die meisten Leiden und Freuden seiner Kindheit. Wie oft, wenn er an einem truͤben Tage bis zum Ueberdruß und Eckel in der Stube eingesperrt war, und etwa ein Sonnenstrahl durch eine Fensterscheibe fiel, erwachten auf einmal in ihm Vorstellungen vom Paradiese, von Elysium, oder von der Jnsel der Kalypso, die ihn ganze Stundenlang entzuͤckten. Aber von seinem zweiten und dritten Jahre an, erinnert er sich auch der hoͤllischen Quaalen, die ihm die Maͤhrchen seiner Mutter und seiner Base im Wachen und im Schlafe machten: wenn er bald im Traume lauter Bekannte um sich her sahe, die ihn ploͤtzlich mit scheußlich verwandelten Gesichtern anblickten, bald eine hohe duͤstre Stiege hinaufging, und eine grauenvolle Gestalt ihm die Ruͤckkehr verwehrte, oder gar der Teufel bald wie ein fleckichtes Huhn, bald wie ein schwarzes Tuch an der Wand ihm erschien. Als seine Mutter noch mit ihm auf dem Dorfe wohnte, jagte ihm jede alte Frau Furcht und Entsetzen ein, so viel hoͤrte er bestaͤndig von Hexen und

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/80
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/80>, abgerufen am 17.05.2024.