Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.
Dieser heftige Paroxismus minderte sich nach der gründlichen Vermuthung des geschickten Arztes, an Dauer und Heftigkeit allmälig; nur ihre Sinn- und Gefühllosigkeit blieb bei jedem Anfall, die nämliche. So oft er im Anzuge war, ergriffen die mannfesten Aufseher Hände und Füsse der Patientin, und in dieser höchst unbequemen Lage verlangte sie einst (der Paroxismus verminderte sich schon sehr) eine angezündete Pfeiffe Taback um etwas freier zu werden; so bald sie eine Hand los hatte, fuhr sie in aller Geschwindigkeit mit derselben zum Munde, um sie mit Gewalt zu zerbeissen. Ein andermal verlangte sie, ihre Hand loszulassen, die der Aufseher festhielt, sich die Nase zu wischen; ergrif aber, sobald sie los war, die Hand des Aufsehers, um sie zu beissen, statt ihrer eignen (die durch Gewalt wieder in Sicherheit gesetzt wurde) als sie jene nicht habhaft werden konnte. -- Diese Zufälle waren in ihrer Heftigkeit äusserst schaudervoll, bei ihrer Minderung aber sonderbar und etwas gefährlich; schienen mit Ueberlegung und Bewustsein verbunden zu seyn, und doch wußte sie gleich nach dem Paroxismus von dem allen gar nichts. Mancherlei waren die Urtheile des gemeinen Mannes über diesen, besonders letztern Umstand, der aber doch nach vier bis sechs Wochen
Dieser heftige Paroxismus minderte sich nach der gruͤndlichen Vermuthung des geschickten Arztes, an Dauer und Heftigkeit allmaͤlig; nur ihre Sinn- und Gefuͤhllosigkeit blieb bei jedem Anfall, die naͤmliche. So oft er im Anzuge war, ergriffen die mannfesten Aufseher Haͤnde und Fuͤsse der Patientin, und in dieser hoͤchst unbequemen Lage verlangte sie einst (der Paroxismus verminderte sich schon sehr) eine angezuͤndete Pfeiffe Taback um etwas freier zu werden; so bald sie eine Hand los hatte, fuhr sie in aller Geschwindigkeit mit derselben zum Munde, um sie mit Gewalt zu zerbeissen. Ein andermal verlangte sie, ihre Hand loszulassen, die der Aufseher festhielt, sich die Nase zu wischen; ergrif aber, sobald sie los war, die Hand des Aufsehers, um sie zu beissen, statt ihrer eignen (die durch Gewalt wieder in Sicherheit gesetzt wurde) als sie jene nicht habhaft werden konnte. ― Diese Zufaͤlle waren in ihrer Heftigkeit aͤusserst schaudervoll, bei ihrer Minderung aber sonderbar und etwas gefaͤhrlich; schienen mit Ueberlegung und Bewustsein verbunden zu seyn, und doch wußte sie gleich nach dem Paroxismus von dem allen gar nichts. Mancherlei waren die Urtheile des gemeinen Mannes uͤber diesen, besonders letztern Umstand, der aber doch nach vier bis sechs Wochen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0070" n="68"/><lb/> mit ihr gesprochen, und mit lauter Stimme zugeredet hatte, wobei sie oft in meine Worte fiel, und nichts Verstand- und Sinnloses anbrachte. </p> <p>Dieser heftige Paroxismus minderte sich nach der gruͤndlichen Vermuthung des geschickten Arztes, an Dauer und Heftigkeit allmaͤlig; nur ihre Sinn- und Gefuͤhllosigkeit blieb bei jedem Anfall, die naͤmliche. So oft er im Anzuge war, ergriffen die mannfesten Aufseher Haͤnde und Fuͤsse der Patientin, und in dieser hoͤchst unbequemen Lage verlangte sie einst (der Paroxismus verminderte sich schon sehr) eine angezuͤndete Pfeiffe Taback um etwas freier zu werden; so bald sie eine Hand los hatte, fuhr sie in aller Geschwindigkeit mit derselben zum Munde, um sie mit Gewalt zu zerbeissen. Ein andermal verlangte sie, ihre Hand loszulassen, die der Aufseher festhielt, sich die Nase zu wischen; ergrif aber, sobald sie los war, die Hand des Aufsehers, um sie zu beissen, statt ihrer eignen (die durch Gewalt wieder in Sicherheit gesetzt wurde) als sie jene nicht habhaft werden konnte. ― Diese Zufaͤlle waren in ihrer Heftigkeit aͤusserst schaudervoll, bei ihrer Minderung aber sonderbar und etwas gefaͤhrlich; schienen mit Ueberlegung und Bewustsein verbunden zu seyn, und doch wußte sie gleich nach dem Paroxismus von dem allen gar nichts. Mancherlei waren die Urtheile des gemeinen Mannes uͤber diesen, besonders letztern Umstand, der aber doch nach vier bis sechs Wochen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [68/0070]
mit ihr gesprochen, und mit lauter Stimme zugeredet hatte, wobei sie oft in meine Worte fiel, und nichts Verstand- und Sinnloses anbrachte.
Dieser heftige Paroxismus minderte sich nach der gruͤndlichen Vermuthung des geschickten Arztes, an Dauer und Heftigkeit allmaͤlig; nur ihre Sinn- und Gefuͤhllosigkeit blieb bei jedem Anfall, die naͤmliche. So oft er im Anzuge war, ergriffen die mannfesten Aufseher Haͤnde und Fuͤsse der Patientin, und in dieser hoͤchst unbequemen Lage verlangte sie einst (der Paroxismus verminderte sich schon sehr) eine angezuͤndete Pfeiffe Taback um etwas freier zu werden; so bald sie eine Hand los hatte, fuhr sie in aller Geschwindigkeit mit derselben zum Munde, um sie mit Gewalt zu zerbeissen. Ein andermal verlangte sie, ihre Hand loszulassen, die der Aufseher festhielt, sich die Nase zu wischen; ergrif aber, sobald sie los war, die Hand des Aufsehers, um sie zu beissen, statt ihrer eignen (die durch Gewalt wieder in Sicherheit gesetzt wurde) als sie jene nicht habhaft werden konnte. ― Diese Zufaͤlle waren in ihrer Heftigkeit aͤusserst schaudervoll, bei ihrer Minderung aber sonderbar und etwas gefaͤhrlich; schienen mit Ueberlegung und Bewustsein verbunden zu seyn, und doch wußte sie gleich nach dem Paroxismus von dem allen gar nichts. Mancherlei waren die Urtheile des gemeinen Mannes uͤber diesen, besonders letztern Umstand, der aber doch nach vier bis sechs Wochen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 68. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/70>, abgerufen am 16.02.2025. |