Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite


dieses mittelbar thun, indem wir zu den Begriffen von seyn oder haben unsre Zuflucht nehmen, das wir uns vorher als gegenwärtig gedacht haben müssen, um zu dem Begriffe von der gänzlichen Vergangenheit zu gelangen. --

Um uns also die gänzliche Vergangenheit z.B. der Handlungen des Liebens und des Gehens zu denken, sagen wir, ich habe geliebt, und ich bin gegangen.

Durch haben bezeichnen wir sonst dasjenige, was ausser uns ist, und was wir nur mit in den Kreis unsers Daseyns ziehen; durch seyn aber was in uns ist, und was mit zu unserm Wesen gehört, indem wir z.B. sagen, ich habe ein Kleinod, und ich bin ein Mensch: eben so sagen wir auch, ich habe geliebt, und ich bin gegangen, indem wir uns lieben als eine Handlung vorstellen, die von uns ausgeht, gehen aber als eine Handlung, die sich gleichsam in uns selber zurückwälzt, und auf die Weise schon mehr in unser Daseyn verwebt ist. So lange aber eine Handlung noch nicht vollständig, oder ganz vollendet ist, kann ich sie noch nicht zu dem zählen, was ich habe oder was ich bin: diese Vollständigkeit der Handlung nun, welche nothwendig ist, wenn ich mir dieselbe, als ganz vergangen, denken will, wird durch die Silbe ge ausgedrückt, die gemeiniglich eine Zusammenfassung desjenigen bezeichnet, was auf einander folgt, so wie z.B. in dem Worte Gemur-


dieses mittelbar thun, indem wir zu den Begriffen von seyn oder haben unsre Zuflucht nehmen, das wir uns vorher als gegenwaͤrtig gedacht haben muͤssen, um zu dem Begriffe von der gaͤnzlichen Vergangenheit zu gelangen. ―

Um uns also die gaͤnzliche Vergangenheit z.B. der Handlungen des Liebens und des Gehens zu denken, sagen wir, ich habe geliebt, und ich bin gegangen.

Durch haben bezeichnen wir sonst dasjenige, was ausser uns ist, und was wir nur mit in den Kreis unsers Daseyns ziehen; durch seyn aber was in uns ist, und was mit zu unserm Wesen gehoͤrt, indem wir z.B. sagen, ich habe ein Kleinod, und ich bin ein Mensch: eben so sagen wir auch, ich habe geliebt, und ich bin gegangen, indem wir uns lieben als eine Handlung vorstellen, die von uns ausgeht, gehen aber als eine Handlung, die sich gleichsam in uns selber zuruͤckwaͤlzt, und auf die Weise schon mehr in unser Daseyn verwebt ist. So lange aber eine Handlung noch nicht vollstaͤndig, oder ganz vollendet ist, kann ich sie noch nicht zu dem zaͤhlen, was ich habe oder was ich bin: diese Vollstaͤndigkeit der Handlung nun, welche nothwendig ist, wenn ich mir dieselbe, als ganz vergangen, denken will, wird durch die Silbe ge ausgedruͤckt, die gemeiniglich eine Zusammenfassung desjenigen bezeichnet, was auf einander folgt, so wie z.B. in dem Worte Gemur-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <p><pb facs="#f0127" n="125"/><lb/>
dieses <hi rendition="#b">mittelbar</hi> thun, indem wir zu den Begriffen von <hi rendition="#b">seyn</hi> oder <hi rendition="#b">haben</hi> unsre  Zuflucht nehmen, das wir uns vorher als <hi rendition="#b">gegenwa&#x0364;rtig</hi> gedacht haben mu&#x0364;ssen, um zu dem Begriffe von der ga&#x0364;nzlichen <hi rendition="#b">Vergangenheit</hi> zu gelangen. &#x2015; </p>
            <p>Um uns also die ga&#x0364;nzliche Vergangenheit z.B. der Handlungen des Liebens und  des Gehens zu denken, sagen wir, <hi rendition="#b">ich habe geliebt,</hi> und <hi rendition="#b">ich bin gegangen.</hi> </p>
            <p>Durch <hi rendition="#b">haben</hi> bezeichnen wir sonst dasjenige, was <hi rendition="#b">ausser</hi> uns ist, und was wir nur mit in den  Kreis unsers Daseyns ziehen; durch <hi rendition="#b">seyn</hi> aber was in  uns ist, und was mit zu unserm Wesen geho&#x0364;rt, indem wir z.B. sagen, <hi rendition="#b">ich habe ein Kleinod,</hi> und <hi rendition="#b">ich bin  ein Mensch:</hi> eben so sagen wir auch, <hi rendition="#b">ich habe  geliebt,</hi> und <hi rendition="#b">ich bin gegangen,</hi> indem wir  uns <hi rendition="#b">lieben</hi> als eine Handlung vorstellen, die von  uns <hi rendition="#b">ausgeht, gehen</hi> aber als eine Handlung, die sich  gleichsam in uns selber zuru&#x0364;ckwa&#x0364;lzt, und auf die Weise schon mehr in unser  Daseyn verwebt ist. So lange aber eine Handlung noch nicht <hi rendition="#b">vollsta&#x0364;ndig,</hi> oder <hi rendition="#b">ganz vollendet</hi> ist,  kann ich sie noch nicht zu dem za&#x0364;hlen, was ich <hi rendition="#b">habe</hi> oder was ich <hi rendition="#b">bin:</hi> diese Vollsta&#x0364;ndigkeit der  Handlung nun, welche nothwendig ist, wenn ich mir dieselbe, als <hi rendition="#b">ganz vergangen,</hi> denken will, wird durch die Silbe <hi rendition="#b">ge</hi> ausgedru&#x0364;ckt, die gemeiniglich eine  Zusammenfassung desjenigen bezeichnet, was auf einander folgt, so wie z.B.  in dem Worte <hi rendition="#b">Gemur-<lb/></hi></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[125/0127] dieses mittelbar thun, indem wir zu den Begriffen von seyn oder haben unsre Zuflucht nehmen, das wir uns vorher als gegenwaͤrtig gedacht haben muͤssen, um zu dem Begriffe von der gaͤnzlichen Vergangenheit zu gelangen. ― Um uns also die gaͤnzliche Vergangenheit z.B. der Handlungen des Liebens und des Gehens zu denken, sagen wir, ich habe geliebt, und ich bin gegangen. Durch haben bezeichnen wir sonst dasjenige, was ausser uns ist, und was wir nur mit in den Kreis unsers Daseyns ziehen; durch seyn aber was in uns ist, und was mit zu unserm Wesen gehoͤrt, indem wir z.B. sagen, ich habe ein Kleinod, und ich bin ein Mensch: eben so sagen wir auch, ich habe geliebt, und ich bin gegangen, indem wir uns lieben als eine Handlung vorstellen, die von uns ausgeht, gehen aber als eine Handlung, die sich gleichsam in uns selber zuruͤckwaͤlzt, und auf die Weise schon mehr in unser Daseyn verwebt ist. So lange aber eine Handlung noch nicht vollstaͤndig, oder ganz vollendet ist, kann ich sie noch nicht zu dem zaͤhlen, was ich habe oder was ich bin: diese Vollstaͤndigkeit der Handlung nun, welche nothwendig ist, wenn ich mir dieselbe, als ganz vergangen, denken will, wird durch die Silbe ge ausgedruͤckt, die gemeiniglich eine Zusammenfassung desjenigen bezeichnet, was auf einander folgt, so wie z.B. in dem Worte Gemur-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/127
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 2, St. 1. Berlin, 1784, S. 125. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0201_1784/127>, abgerufen am 25.11.2024.