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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783.

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zärtlicher Freude über seine geäußerte Zufriedenheit, doch nicht ohne Bekümmerniß für die Zukunft, die vielleicht der Pastor L. noch mochte vermehrt haben. Diese Briefe hatten verschiedne Wirkungen auf ihn. Gegen seine Schwester faßte er einen Groll, weil er glaubte, einen andern Ton in dem Briefe der Majorin zu finden, als in den Briefen der bürgerlichen Schwester; sie hatte ihm einen Dukaten beigelegt; er schickte ihr denselben aber wieder zurück, und hat nie wieder an sie geschrieben. Den Pastor L. fing er an zu verachten, und auf den Brief seiner Mutter strömten bittre Thränen herab. Aus des Professor T. Briefen schöpfte er Rath, Trost, Muth und Hofnung einer bessern Zukunft. -- Sechszehn Wochen hielt er dies Leben aus. Da er aber sah, daß ihm alle seine Projekte, die er in ruhigen Stunden zur Verändrung seines Auffenthalts gemacht hatte, fehl schlugen; so brachen auf einmal alle seine Leidenschaften los, er raßte und seine Phantasie mahlte ihm den tiefsten Abgrund vor die Augen. Wo er ging machte er Bewegungen mit den Händen, die seine schrecklichen Leidenschaften ausdrückten, und wenn er irgend glaubte allein zu seyn, hielt er stundenlange Selbstgespräche. Jn einem solchen Anfalle von innerlicher Wuth ging er die Treppe herunter und trat, unversehens, weil er nichts vor und um sich bemerkte, dem Jnspektor mit einem schmutzigen Stiefel auf seinen neuen Schuh. Robert trat erschrocken zurück, und wollte sich entschuldigen; er-


zaͤrtlicher Freude uͤber seine geaͤußerte Zufriedenheit, doch nicht ohne Bekuͤmmerniß fuͤr die Zukunft, die vielleicht der Pastor L. noch mochte vermehrt haben. Diese Briefe hatten verschiedne Wirkungen auf ihn. Gegen seine Schwester faßte er einen Groll, weil er glaubte, einen andern Ton in dem Briefe der Majorin zu finden, als in den Briefen der buͤrgerlichen Schwester; sie hatte ihm einen Dukaten beigelegt; er schickte ihr denselben aber wieder zuruͤck, und hat nie wieder an sie geschrieben. Den Pastor L. fing er an zu verachten, und auf den Brief seiner Mutter stroͤmten bittre Thraͤnen herab. Aus des Professor T. Briefen schoͤpfte er Rath, Trost, Muth und Hofnung einer bessern Zukunft. ― Sechszehn Wochen hielt er dies Leben aus. Da er aber sah, daß ihm alle seine Projekte, die er in ruhigen Stunden zur Veraͤndrung seines Auffenthalts gemacht hatte, fehl schlugen; so brachen auf einmal alle seine Leidenschaften los, er raßte und seine Phantasie mahlte ihm den tiefsten Abgrund vor die Augen. Wo er ging machte er Bewegungen mit den Haͤnden, die seine schrecklichen Leidenschaften ausdruͤckten, und wenn er irgend glaubte allein zu seyn, hielt er stundenlange Selbstgespraͤche. Jn einem solchen Anfalle von innerlicher Wuth ging er die Treppe herunter und trat, unversehens, weil er nichts vor und um sich bemerkte, dem Jnspektor mit einem schmutzigen Stiefel auf seinen neuen Schuh. Robert trat erschrocken zuruͤck, und wollte sich entschuldigen; er-

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[24/0028] zaͤrtlicher Freude uͤber seine geaͤußerte Zufriedenheit, doch nicht ohne Bekuͤmmerniß fuͤr die Zukunft, die vielleicht der Pastor L. noch mochte vermehrt haben. Diese Briefe hatten verschiedne Wirkungen auf ihn. Gegen seine Schwester faßte er einen Groll, weil er glaubte, einen andern Ton in dem Briefe der Majorin zu finden, als in den Briefen der buͤrgerlichen Schwester; sie hatte ihm einen Dukaten beigelegt; er schickte ihr denselben aber wieder zuruͤck, und hat nie wieder an sie geschrieben. Den Pastor L. fing er an zu verachten, und auf den Brief seiner Mutter stroͤmten bittre Thraͤnen herab. Aus des Professor T. Briefen schoͤpfte er Rath, Trost, Muth und Hofnung einer bessern Zukunft. ― Sechszehn Wochen hielt er dies Leben aus. Da er aber sah, daß ihm alle seine Projekte, die er in ruhigen Stunden zur Veraͤndrung seines Auffenthalts gemacht hatte, fehl schlugen; so brachen auf einmal alle seine Leidenschaften los, er raßte und seine Phantasie mahlte ihm den tiefsten Abgrund vor die Augen. Wo er ging machte er Bewegungen mit den Haͤnden, die seine schrecklichen Leidenschaften ausdruͤckten, und wenn er irgend glaubte allein zu seyn, hielt er stundenlange Selbstgespraͤche. Jn einem solchen Anfalle von innerlicher Wuth ging er die Treppe herunter und trat, unversehens, weil er nichts vor und um sich bemerkte, dem Jnspektor mit einem schmutzigen Stiefel auf seinen neuen Schuh. Robert trat erschrocken zuruͤck, und wollte sich entschuldigen; er-

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 3. Berlin, 1783, S. 24. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0103_1783/28>, abgerufen am 24.11.2024.