Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Allemal geschah' dies aber mit einer gewissen Richtung nach irgend einem bestimmten Orte in der Nachbarschaft. Oft sagte sie, wenn sie den Paroxismus herannahen fühlte, sie wolle nach diesem Orte gehen. War sie nun an dem Ort ihrer Bestimmung angekommen, und erwachte daselbst noch nicht, so kam sie in derselben sichern Richtung zurück, ob sie sich gleich nicht immer auf der grossen Landstrasse hielt, sondern häufig einen näheren Weg queerfeldein lief. Freilich hatte sie eben deswegen oft einen sehr rauhen Fußsteig, aber sie fiel ohngeachtet der Heftigkeit, mit welcher sie lief, dennoch niemals. Jndessen die ganze Zeit, da sie lief, waren ihre Augen völlig geschlossen, wie ihr Bruder bezeugt, welcher oft mit ihr lief, um Sorge für sie zu tragen, und welcher, obgleich weit älter, stärker und hurtiger, es doch kaum mit ihr aushalten konnte. Wenn sie, vor der Herannäherung des Paroxismus, sagte, nach welchem Orte sie zu wollte, pflegte sie dabei zu erzählen, es habe sie die Nacht vorher geträumt, sie solle dahin laufen; und ohngeachtet man ihr zuweilen von irgend einem bestimmten Orte abrieth, als von meinem Hause zum Exempel, wo die Hunde
Allemal geschah' dies aber mit einer gewissen Richtung nach irgend einem bestimmten Orte in der Nachbarschaft. Oft sagte sie, wenn sie den Paroxismus herannahen fuͤhlte, sie wolle nach diesem Orte gehen. War sie nun an dem Ort ihrer Bestimmung angekommen, und erwachte daselbst noch nicht, so kam sie in derselben sichern Richtung zuruͤck, ob sie sich gleich nicht immer auf der grossen Landstrasse hielt, sondern haͤufig einen naͤheren Weg queerfeldein lief. Freilich hatte sie eben deswegen oft einen sehr rauhen Fußsteig, aber sie fiel ohngeachtet der Heftigkeit, mit welcher sie lief, dennoch niemals. Jndessen die ganze Zeit, da sie lief, waren ihre Augen voͤllig geschlossen, wie ihr Bruder bezeugt, welcher oft mit ihr lief, um Sorge fuͤr sie zu tragen, und welcher, obgleich weit aͤlter, staͤrker und hurtiger, es doch kaum mit ihr aushalten konnte. Wenn sie, vor der Herannaͤherung des Paroxismus, sagte, nach welchem Orte sie zu wollte, pflegte sie dabei zu erzaͤhlen, es habe sie die Nacht vorher getraͤumt, sie solle dahin laufen; und ohngeachtet man ihr zuweilen von irgend einem bestimmten Orte abrieth, als von meinem Hause zum Exempel, wo die Hunde <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0079" n="75"/><lb/> wol aus dem Bauernhaͤuschen, worinn sie mit ihren Aeltern und ihrem Bruder lebte, herauszukommen, und mit groͤßerer Heftigkeit, auch weit schneller, als sie beim Wohlbefinden jemals thun konnte, zu laufen. </p> <p>Allemal geschah' dies aber mit einer gewissen Richtung nach irgend einem bestimmten Orte in der Nachbarschaft. Oft sagte sie, wenn sie den Paroxismus herannahen fuͤhlte, sie wolle nach diesem Orte gehen. War sie nun an dem Ort ihrer Bestimmung angekommen, und erwachte daselbst noch nicht, so kam sie in derselben sichern Richtung zuruͤck, ob sie sich gleich nicht immer auf der grossen Landstrasse hielt, sondern haͤufig einen naͤheren Weg queerfeldein lief. </p> <p>Freilich hatte sie eben deswegen oft einen sehr rauhen Fußsteig, aber sie fiel ohngeachtet der Heftigkeit, mit welcher sie lief, dennoch niemals. Jndessen die ganze Zeit, da sie lief, waren ihre Augen voͤllig geschlossen, wie ihr Bruder bezeugt, welcher oft mit ihr lief, um Sorge fuͤr sie zu tragen, und welcher, obgleich weit aͤlter, staͤrker und hurtiger, es doch kaum mit ihr aushalten konnte. Wenn sie, vor der Herannaͤherung des Paroxismus, sagte, nach welchem Orte sie zu wollte, pflegte sie dabei zu erzaͤhlen, es habe sie die Nacht vorher getraͤumt, sie solle dahin laufen; und ohngeachtet man ihr zuweilen von irgend einem bestimmten Orte abrieth, als von meinem Hause zum Exempel, wo die Hunde<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [75/0079]
wol aus dem Bauernhaͤuschen, worinn sie mit ihren Aeltern und ihrem Bruder lebte, herauszukommen, und mit groͤßerer Heftigkeit, auch weit schneller, als sie beim Wohlbefinden jemals thun konnte, zu laufen.
Allemal geschah' dies aber mit einer gewissen Richtung nach irgend einem bestimmten Orte in der Nachbarschaft. Oft sagte sie, wenn sie den Paroxismus herannahen fuͤhlte, sie wolle nach diesem Orte gehen. War sie nun an dem Ort ihrer Bestimmung angekommen, und erwachte daselbst noch nicht, so kam sie in derselben sichern Richtung zuruͤck, ob sie sich gleich nicht immer auf der grossen Landstrasse hielt, sondern haͤufig einen naͤheren Weg queerfeldein lief.
Freilich hatte sie eben deswegen oft einen sehr rauhen Fußsteig, aber sie fiel ohngeachtet der Heftigkeit, mit welcher sie lief, dennoch niemals. Jndessen die ganze Zeit, da sie lief, waren ihre Augen voͤllig geschlossen, wie ihr Bruder bezeugt, welcher oft mit ihr lief, um Sorge fuͤr sie zu tragen, und welcher, obgleich weit aͤlter, staͤrker und hurtiger, es doch kaum mit ihr aushalten konnte. Wenn sie, vor der Herannaͤherung des Paroxismus, sagte, nach welchem Orte sie zu wollte, pflegte sie dabei zu erzaͤhlen, es habe sie die Nacht vorher getraͤumt, sie solle dahin laufen; und ohngeachtet man ihr zuweilen von irgend einem bestimmten Orte abrieth, als von meinem Hause zum Exempel, wo die Hunde
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 75. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/79>, abgerufen am 27.07.2024. |