Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Jch war ein ganzes Vierteljahr vorher mit der Ausarbeitung meines Colegii beschäftigt. Jch fing an zu lesen, und der ganze unerwartete Beifall von einer Menge Zuhörer aller Stände, vergrösserte mit jeder Vorlesung meine Arbeitslust, und die Anstrengung meiner Kräfte. Jch brachte die Stunden, die mir meine praktische Geschäfte liessen, ununterbrochen bald mit Vorbereitung zur nächsten Vorlesung zu, bald mit Vorarbeiten der künftigen. Zugleich verfaste ich ein Compendium zum Druck für meine Zuhörer, das ausgearbeitet, korrigirt, durchgesehn, abgeändert, und wieder korrigirt seyn mußte. Dazu kam, daß grade meine praktische Geschäfte sehr häufig und interessant waren, und mein Schwiegervater in acht Wochen wegen eines Stosses am Fuß die Stube hüten mußte; ich also auch den größten Theil seiner Geschäfte mit zu versehn hatte. Dreißig Krankenbesuche täglich ohne das Lazareth, das eben so viel Kranke enthielt, war das Gewöhnliche; meine Muse war zu geringe, und ich mußte die frühen Morgen, und ganz wieder meine Gewohnheit die spätesten Abendstunden mit zu Hülfe
Jch war ein ganzes Vierteljahr vorher mit der Ausarbeitung meines Colegii beschaͤftigt. Jch fing an zu lesen, und der ganze unerwartete Beifall von einer Menge Zuhoͤrer aller Staͤnde, vergroͤsserte mit jeder Vorlesung meine Arbeitslust, und die Anstrengung meiner Kraͤfte. Jch brachte die Stunden, die mir meine praktische Geschaͤfte liessen, ununterbrochen bald mit Vorbereitung zur naͤchsten Vorlesung zu, bald mit Vorarbeiten der kuͤnftigen. Zugleich verfaste ich ein Compendium zum Druck fuͤr meine Zuhoͤrer, das ausgearbeitet, korrigirt, durchgesehn, abgeaͤndert, und wieder korrigirt seyn mußte. Dazu kam, daß grade meine praktische Geschaͤfte sehr haͤufig und interessant waren, und mein Schwiegervater in acht Wochen wegen eines Stosses am Fuß die Stube huͤten mußte; ich also auch den groͤßten Theil seiner Geschaͤfte mit zu versehn hatte. Dreißig Krankenbesuche taͤglich ohne das Lazareth, das eben so viel Kranke enthielt, war das Gewoͤhnliche; meine Muse war zu geringe, und ich mußte die fruͤhen Morgen, und ganz wieder meine Gewohnheit die spaͤtesten Abendstunden mit zu Huͤlfe <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0051" n="47"/><lb/> schmerzhaftesten Gefuͤhle selbst verschwinden oft ploͤtzlich beim Anblick eines fuͤrchterlichen, schrecklichen oder sonst auffallenden Gegenstandes.) Aber freilich nur auf eine kurze Zeit. Die Folgen pflegen alsdann gewoͤhnlich durch ihre Wichtigkeit das zu ersetzen, was man an der Dauer erspart. </p> <p>Jch war ein ganzes Vierteljahr vorher mit der Ausarbeitung meines Colegii beschaͤftigt. Jch fing an zu lesen, und der ganze unerwartete Beifall von einer Menge Zuhoͤrer aller Staͤnde, vergroͤsserte mit jeder Vorlesung meine Arbeitslust, und die Anstrengung meiner Kraͤfte. Jch brachte die Stunden, die mir meine praktische Geschaͤfte liessen, ununterbrochen bald mit Vorbereitung zur naͤchsten Vorlesung zu, bald mit Vorarbeiten der kuͤnftigen. Zugleich verfaste ich ein Compendium zum Druck fuͤr meine Zuhoͤrer, das ausgearbeitet, korrigirt, durchgesehn, abgeaͤndert, und wieder korrigirt seyn mußte. </p> <p>Dazu kam, daß grade meine praktische Geschaͤfte sehr haͤufig und interessant waren, und mein Schwiegervater in acht Wochen wegen eines Stosses am Fuß die Stube huͤten mußte; ich also auch den groͤßten Theil seiner Geschaͤfte mit zu versehn hatte. Dreißig Krankenbesuche taͤglich ohne das Lazareth, das eben so viel Kranke enthielt, war das Gewoͤhnliche; meine Muse war zu geringe, und ich mußte die fruͤhen Morgen, und ganz wieder meine Gewohnheit die spaͤtesten Abendstunden mit zu Huͤlfe<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [47/0051]
schmerzhaftesten Gefuͤhle selbst verschwinden oft ploͤtzlich beim Anblick eines fuͤrchterlichen, schrecklichen oder sonst auffallenden Gegenstandes.) Aber freilich nur auf eine kurze Zeit. Die Folgen pflegen alsdann gewoͤhnlich durch ihre Wichtigkeit das zu ersetzen, was man an der Dauer erspart.
Jch war ein ganzes Vierteljahr vorher mit der Ausarbeitung meines Colegii beschaͤftigt. Jch fing an zu lesen, und der ganze unerwartete Beifall von einer Menge Zuhoͤrer aller Staͤnde, vergroͤsserte mit jeder Vorlesung meine Arbeitslust, und die Anstrengung meiner Kraͤfte. Jch brachte die Stunden, die mir meine praktische Geschaͤfte liessen, ununterbrochen bald mit Vorbereitung zur naͤchsten Vorlesung zu, bald mit Vorarbeiten der kuͤnftigen. Zugleich verfaste ich ein Compendium zum Druck fuͤr meine Zuhoͤrer, das ausgearbeitet, korrigirt, durchgesehn, abgeaͤndert, und wieder korrigirt seyn mußte.
Dazu kam, daß grade meine praktische Geschaͤfte sehr haͤufig und interessant waren, und mein Schwiegervater in acht Wochen wegen eines Stosses am Fuß die Stube huͤten mußte; ich also auch den groͤßten Theil seiner Geschaͤfte mit zu versehn hatte. Dreißig Krankenbesuche taͤglich ohne das Lazareth, das eben so viel Kranke enthielt, war das Gewoͤhnliche; meine Muse war zu geringe, und ich mußte die fruͤhen Morgen, und ganz wieder meine Gewohnheit die spaͤtesten Abendstunden mit zu Huͤlfe
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 47. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/51>, abgerufen am 27.07.2024. |