Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.

Bild:
<< vorherige Seite


eine unbegränzte Eitelkeit, und Begierde in einer höhern Sphäre zu glänzen, Schuld war.

Nachdem er das Joachimsthalische Gymnasium verlassen hatte, gerieth er in die äusserste Dürftigkeit, so, daß ihm zuletzt weiter nichts, als die leeren Wände seines Zimmers, ein Bette und ein Hemde übrig blieb. Und nun war er fest entschlossen, seinem Leben, das ihm verhaßt geworden war, ein Ende zu machen, brachte sich auch in dieser Absicht mit einem kleinen Federmesser zwei Stiche an zwei verschiednen Orten bei, aber ohne sein Vorhaben ins Werk zu richten. Es war dieses am 14ten Januar des Jahres 1774, und er war damals sechsunddreißig Jahr alt.

Da ihm also dieser Versuch mißlungen war, faßte er den festen Entschluß sich todt zu hungern, den er mit der schrecklichsten Hartnäckigkeit viele Tage lang durchsetzte. Vom 16ten Januar fing er an, nichts mehr zu essen und zu trinken. Am 18ten und 19ten stellte sich nach und nach ein brennender Durst ein, welcher unerträglich zu werden anfing; er nahm also den 19ten des Abends um neun Uhr etwas Wasser zu sich, weiter aber im geringsten nichts. Dieß trank er in sehr geringen Quantitäten bis zum 21sten.

Um diese Zeit ohngefähr war es, da er auf Bitten seines vertrauten Freundes vom Herrn Moses Mendelssohn besucht ward. Als dieser in das Zimmer trat, erblickte er, ausser einem


eine unbegraͤnzte Eitelkeit, und Begierde in einer hoͤhern Sphaͤre zu glaͤnzen, Schuld war.

Nachdem er das Joachimsthalische Gymnasium verlassen hatte, gerieth er in die aͤusserste Duͤrftigkeit, so, daß ihm zuletzt weiter nichts, als die leeren Waͤnde seines Zimmers, ein Bette und ein Hemde uͤbrig blieb. Und nun war er fest entschlossen, seinem Leben, das ihm verhaßt geworden war, ein Ende zu machen, brachte sich auch in dieser Absicht mit einem kleinen Federmesser zwei Stiche an zwei verschiednen Orten bei, aber ohne sein Vorhaben ins Werk zu richten. Es war dieses am 14ten Januar des Jahres 1774, und er war damals sechsunddreißig Jahr alt.

Da ihm also dieser Versuch mißlungen war, faßte er den festen Entschluß sich todt zu hungern, den er mit der schrecklichsten Hartnaͤckigkeit viele Tage lang durchsetzte. Vom 16ten Januar fing er an, nichts mehr zu essen und zu trinken. Am 18ten und 19ten stellte sich nach und nach ein brennender Durst ein, welcher unertraͤglich zu werden anfing; er nahm also den 19ten des Abends um neun Uhr etwas Wasser zu sich, weiter aber im geringsten nichts. Dieß trank er in sehr geringen Quantitaͤten bis zum 21sten.

Um diese Zeit ohngefaͤhr war es, da er auf Bitten seines vertrauten Freundes vom Herrn Moses Mendelssohn besucht ward. Als dieser in das Zimmer trat, erblickte er, ausser einem

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div>
          <p><pb facs="#f0026" n="22"/><lb/>
eine unbegra&#x0364;nzte Eitelkeit, und Begierde                         in einer ho&#x0364;hern Spha&#x0364;re zu gla&#x0364;nzen, Schuld war. </p>
          <p>Nachdem er das Joachimsthalische Gymnasium verlassen hatte, gerieth er in die                         a&#x0364;usserste Du&#x0364;rftigkeit, so, daß ihm zuletzt weiter nichts, als die leeren                         Wa&#x0364;nde seines Zimmers, ein Bette und ein Hemde u&#x0364;brig blieb. Und nun war er                         fest entschlossen, seinem Leben, das ihm verhaßt geworden war, ein Ende zu                         machen, brachte sich auch in dieser Absicht mit einem kleinen Federmesser                         zwei Stiche an zwei verschiednen Orten bei, aber ohne sein Vorhaben ins Werk                         zu richten. Es war dieses am 14ten Januar des Jahres 1774, und er war damals                         sechsunddreißig Jahr alt. </p>
          <p>Da ihm also dieser Versuch mißlungen war, faßte er den festen Entschluß sich                         todt zu hungern, den er mit der schrecklichsten Hartna&#x0364;ckigkeit viele Tage                         lang durchsetzte. Vom 16ten Januar fing er an, nichts mehr zu essen und zu                         trinken. Am 18ten und 19ten stellte sich nach und nach ein brennender Durst                         ein, welcher unertra&#x0364;glich zu werden anfing; er nahm also den 19ten des                         Abends um neun Uhr etwas Wasser zu sich, weiter aber im geringsten nichts.                         Dieß trank er in sehr geringen Quantita&#x0364;ten bis zum 21sten. </p>
          <p>Um diese Zeit ohngefa&#x0364;hr war es, da er auf Bitten seines vertrauten Freundes                         vom <hi rendition="#b">Herrn <persName ref="#ref0119"><note type="editorial">Mendelssohn, Moses</note>Moses Mendelssohn</persName></hi> besucht ward. Als                         dieser in das Zimmer trat, erblickte er, ausser einem<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[22/0026] eine unbegraͤnzte Eitelkeit, und Begierde in einer hoͤhern Sphaͤre zu glaͤnzen, Schuld war. Nachdem er das Joachimsthalische Gymnasium verlassen hatte, gerieth er in die aͤusserste Duͤrftigkeit, so, daß ihm zuletzt weiter nichts, als die leeren Waͤnde seines Zimmers, ein Bette und ein Hemde uͤbrig blieb. Und nun war er fest entschlossen, seinem Leben, das ihm verhaßt geworden war, ein Ende zu machen, brachte sich auch in dieser Absicht mit einem kleinen Federmesser zwei Stiche an zwei verschiednen Orten bei, aber ohne sein Vorhaben ins Werk zu richten. Es war dieses am 14ten Januar des Jahres 1774, und er war damals sechsunddreißig Jahr alt. Da ihm also dieser Versuch mißlungen war, faßte er den festen Entschluß sich todt zu hungern, den er mit der schrecklichsten Hartnaͤckigkeit viele Tage lang durchsetzte. Vom 16ten Januar fing er an, nichts mehr zu essen und zu trinken. Am 18ten und 19ten stellte sich nach und nach ein brennender Durst ein, welcher unertraͤglich zu werden anfing; er nahm also den 19ten des Abends um neun Uhr etwas Wasser zu sich, weiter aber im geringsten nichts. Dieß trank er in sehr geringen Quantitaͤten bis zum 21sten. Um diese Zeit ohngefaͤhr war es, da er auf Bitten seines vertrauten Freundes vom Herrn Moses Mendelssohn besucht ward. Als dieser in das Zimmer trat, erblickte er, ausser einem

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung, University of Glasgow: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/26
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 22. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/26>, abgerufen am 21.11.2024.