Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783.
Auf die Frage: warum ist das gut? -- sucht er alles Schöne, alles Edle zu entwickeln, mehr, um sein Gefühl zu rechtfertigen, als zu zeigen, daß ers weiß. Wenn ihm etwas nicht gefällt: so wird er ernster, seine Augen sind weniger lebhaft, und seine Antworten kurz. Sein Gang ist bedächtlich, sein Ton angenehm, etwas schnell und mehrentheils voll Ausdruck. Er hat eine wahre, offne Miene, und scheint überall das Nützliche dem blos Angenehmen vorzuziehen. Er ist reinlich und ordentlich, ohne eines zu übertreiben; gesellig, ohne unruhig, und außer sich zu sein. Kleine Neckereien seiner Mitschüler stören ihn selten in seiner Aufmerksamkeit; er übersieht sie, oder weiß sie gemeiniglich durch eine Miene, oder durch ein Wort zu unterdrücken. Dabei lieben ihn alle seine Mitschüler. Sie scheinen es zu wissen, daß er Vorzüge hat, und daß er Vorzüge verdient, ohne daß sie ihn beneideten, welches fast bei ihm allein der Fall ist. Sein Kopf ist vortreflich, und sein Fleiß und innerer Trieb ausdauernd und rühmlich. Wenn er in seiner weitern Ausbildung und Erziehung nicht verwahrloset wird, wenn er die Verführungen,
Auf die Frage: warum ist das gut? — sucht er alles Schoͤne, alles Edle zu entwickeln, mehr, um sein Gefuͤhl zu rechtfertigen, als zu zeigen, daß ers weiß. Wenn ihm etwas nicht gefaͤllt: so wird er ernster, seine Augen sind weniger lebhaft, und seine Antworten kurz. Sein Gang ist bedaͤchtlich, sein Ton angenehm, etwas schnell und mehrentheils voll Ausdruck. Er hat eine wahre, offne Miene, und scheint uͤberall das Nuͤtzliche dem blos Angenehmen vorzuziehen. Er ist reinlich und ordentlich, ohne eines zu uͤbertreiben; gesellig, ohne unruhig, und außer sich zu sein. Kleine Neckereien seiner Mitschuͤler stoͤren ihn selten in seiner Aufmerksamkeit; er uͤbersieht sie, oder weiß sie gemeiniglich durch eine Miene, oder durch ein Wort zu unterdruͤcken. Dabei lieben ihn alle seine Mitschuͤler. Sie scheinen es zu wissen, daß er Vorzuͤge hat, und daß er Vorzuͤge verdient, ohne daß sie ihn beneideten, welches fast bei ihm allein der Fall ist. Sein Kopf ist vortreflich, und sein Fleiß und innerer Trieb ausdauernd und ruͤhmlich. Wenn er in seiner weitern Ausbildung und Erziehung nicht verwahrloset wird, wenn er die Verfuͤhrungen, <TEI> <text> <body> <div> <div> <p><pb facs="#f0118" n="111"/><lb/> schoͤn!« hat er in solchen Faͤllen schon oft mit einem Antheil und mit einer Lebhaftigkeit ausgerufen, die beide seinem Herzen zur Ehre gereichen. </p> <p>Auf die Frage: warum ist das gut? — sucht er alles Schoͤne, alles Edle zu entwickeln, mehr, um sein Gefuͤhl zu rechtfertigen, als zu zeigen, daß ers weiß. </p> <p>Wenn ihm etwas nicht gefaͤllt: so wird er ernster, seine Augen sind weniger lebhaft, und seine Antworten kurz. </p> <p>Sein Gang ist bedaͤchtlich, sein Ton angenehm, etwas schnell und mehrentheils voll Ausdruck. </p> <p>Er hat eine wahre, offne Miene, und scheint uͤberall das Nuͤtzliche dem blos Angenehmen vorzuziehen. </p> <p>Er ist reinlich und ordentlich, ohne eines zu uͤbertreiben; gesellig, ohne unruhig, und außer sich zu sein. Kleine Neckereien seiner Mitschuͤler stoͤren ihn selten in seiner Aufmerksamkeit; er uͤbersieht sie, oder weiß sie gemeiniglich durch eine Miene, oder durch ein Wort zu unterdruͤcken. </p> <p>Dabei lieben ihn alle seine Mitschuͤler. Sie scheinen es zu wissen, daß er Vorzuͤge hat, und daß er Vorzuͤge verdient, ohne daß sie ihn beneideten, welches fast bei ihm allein der Fall ist. </p> <p>Sein Kopf ist vortreflich, und sein Fleiß und innerer Trieb ausdauernd und ruͤhmlich. Wenn er in seiner weitern Ausbildung und Erziehung nicht verwahrloset wird, wenn er die Verfuͤhrungen,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [111/0118]
schoͤn!« hat er in solchen Faͤllen schon oft mit einem Antheil und mit einer Lebhaftigkeit ausgerufen, die beide seinem Herzen zur Ehre gereichen.
Auf die Frage: warum ist das gut? — sucht er alles Schoͤne, alles Edle zu entwickeln, mehr, um sein Gefuͤhl zu rechtfertigen, als zu zeigen, daß ers weiß.
Wenn ihm etwas nicht gefaͤllt: so wird er ernster, seine Augen sind weniger lebhaft, und seine Antworten kurz.
Sein Gang ist bedaͤchtlich, sein Ton angenehm, etwas schnell und mehrentheils voll Ausdruck.
Er hat eine wahre, offne Miene, und scheint uͤberall das Nuͤtzliche dem blos Angenehmen vorzuziehen.
Er ist reinlich und ordentlich, ohne eines zu uͤbertreiben; gesellig, ohne unruhig, und außer sich zu sein. Kleine Neckereien seiner Mitschuͤler stoͤren ihn selten in seiner Aufmerksamkeit; er uͤbersieht sie, oder weiß sie gemeiniglich durch eine Miene, oder durch ein Wort zu unterdruͤcken.
Dabei lieben ihn alle seine Mitschuͤler. Sie scheinen es zu wissen, daß er Vorzuͤge hat, und daß er Vorzuͤge verdient, ohne daß sie ihn beneideten, welches fast bei ihm allein der Fall ist.
Sein Kopf ist vortreflich, und sein Fleiß und innerer Trieb ausdauernd und ruͤhmlich. Wenn er in seiner weitern Ausbildung und Erziehung nicht verwahrloset wird, wenn er die Verfuͤhrungen,
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 1, St. 2. Berlin, 1783, S. 111. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde0102_1783/118>, abgerufen am 16.02.2025. |