Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.Es ist aber unglaublich, daß sie mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich haben, d.h. mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal führen kann, ohne sie zu verwirren. So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch ihre Stärke oder ihr Jnteresse, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sobald dieses geschieht, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt, die Handlung unterbrochen, bis sich die Seele sammelt, und kraft des deutlich bewusten Vorsatzes wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennt man Zerstreuung, wenn man nehmlich durch fremde angelegentliche Vorstellungen, verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehöriger Ordnung zu verrichten, wenn man nicht Gegenwart des Geistes besitzt. Hieraus läßt sich erklären, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden; hauptsächlich in den Fällen, wo die zusammengesetzte Handlung ein stetiges Ganze ausmachen soll, wie z.B. in den schönen Künsten. Durch die Schnelligkeit wird alsdann verhütet, daß keine fremde Jdee sich einschleiche, und den Zusam- Es ist aber unglaublich, daß sie mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich haben, d.h. mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal fuͤhren kann, ohne sie zu verwirren. So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch ihre Staͤrke oder ihr Jnteresse, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sobald dieses geschieht, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt, die Handlung unterbrochen, bis sich die Seele sammelt, und kraft des deutlich bewusten Vorsatzes wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennt man Zerstreuung, wenn man nehmlich durch fremde angelegentliche Vorstellungen, verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehoͤriger Ordnung zu verrichten, wenn man nicht Gegenwart des Geistes besitzt. Hieraus laͤßt sich erklaͤren, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden; hauptsaͤchlich in den Faͤllen, wo die zusammengesetzte Handlung ein stetiges Ganze ausmachen soll, wie z.B. in den schoͤnen Kuͤnsten. Durch die Schnelligkeit wird alsdann verhuͤtet, daß keine fremde Jdee sich einschleiche, und den Zusam- <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0032" n="32"/><lb/> <p>Es ist aber unglaublich, daß sie mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich haben, d.h. mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal fuͤhren kann, ohne sie zu verwirren.</p> <p>So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch ihre Staͤrke oder ihr Jnteresse, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sobald dieses geschieht, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt, die Handlung unterbrochen, bis sich die Seele sammelt, und kraft des deutlich bewusten Vorsatzes wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennt man <hi rendition="#b">Zerstreuung,</hi> wenn man nehmlich <hi rendition="#b">durch fremde angelegentliche Vorstellungen, verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehoͤriger Ordnung zu verrichten,</hi> wenn man nicht <hi rendition="#b">Gegenwart des Geistes</hi> besitzt.</p> <p>Hieraus laͤßt sich erklaͤren, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden; hauptsaͤchlich in den Faͤllen, wo die zusammengesetzte Handlung ein stetiges Ganze ausmachen soll, wie z.B. in den <hi rendition="#b">schoͤnen Kuͤnsten.</hi> Durch die Schnelligkeit wird alsdann verhuͤtet, daß keine fremde Jdee sich einschleiche, und den Zusam-<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [32/0032]
Es ist aber unglaublich, daß sie mehr als eine Reihe von unwirksamen Begriffen zugleich haben, d.h. mehr als eine Kette von deutlichen Gedanken auf einmal fuͤhren kann, ohne sie zu verwirren.
So oft wir verschiedene Reihen von wirksamen Jdeen mit einer von deutlichen Begriffen verbinden sollen, muß keine einzige Vorstellung eintreten, die durch ihre Staͤrke oder ihr Jnteresse, die ganze Aufmerksamkeit auf sich zieht. Sobald dieses geschieht, wird die Wirkung der Jdeenverbindung gehemmt, die Handlung unterbrochen, bis sich die Seele sammelt, und kraft des deutlich bewusten Vorsatzes wiederum den ersten Stoß giebt. Einen solchen Zustand nennt man Zerstreuung, wenn man nehmlich durch fremde angelegentliche Vorstellungen, verhindert wird, eine sonst gewohnte Handlung in gehoͤriger Ordnung zu verrichten, wenn man nicht Gegenwart des Geistes besitzt.
Hieraus laͤßt sich erklaͤren, warum gewisse Handlungen niemals besser von statten gehen, als wenn sie mit einiger Geschwindigkeit verrichtet werden; hauptsaͤchlich in den Faͤllen, wo die zusammengesetzte Handlung ein stetiges Ganze ausmachen soll, wie z.B. in den schoͤnen Kuͤnsten. Durch die Schnelligkeit wird alsdann verhuͤtet, daß keine fremde Jdee sich einschleiche, und den Zusam-
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/32>, abgerufen am 16.02.2025. |