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Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793.

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Nahm man ihm das Papier, worauf er schrieb, weg, und legte ihm ein anderes von verschiedener Größe unter, so merkte er es. Wenn es aber dem seinigen gleich war, so hielt ers für das seinige und schrieb darauf. Er schrieb auch musikalische Noten mit vieler Genauigkeit.

Er bildete sich einsmals des Nachts mitten im Winter ein, daß er am Ufer eines Flusses spazieren gienge, und ein badendes Kind in dem Fluß hinabstürzen sähe. Er eilte dem Kinde zu Hülfe, warf sich über sein Bette in der Lage eines Schwimmenden, machte die Bewegungen des Schwimmens nach, hielt eine zusammengewickelte Decke für das zu rettende Kind, ergriff es mit der einen Hand, und bediente sich der andern zum Schwimmen ans Ufer. Hier setzte er nun das vermeintliche Kind ab, und gieng vor Kälte schaudernd und mit den Zähnen klappernd weiter, als wenn er wirklich aus einem gefrornen Flusse gestiegen wäre. Er sagte zu den Umstehenden, daß er vor Kälte beinahe erstarrt sey, und foderte ein Glas Aquavit. Da nun keines gegenwärtig war, so gab man ihm gemeines Wasser. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit mehrerer Lebhaftigkeit Lebenswasser, indem er sagte, er würde sonst vor Kälte sterben. Man mußte ihm ein Glas Aquavit geben. Er sagte, indem er daran roch: er befinde sich nun viel besser. Das sonderbarste aber ist, daß wenn man seine Gedanken von gewissen


Nahm man ihm das Papier, worauf er schrieb, weg, und legte ihm ein anderes von verschiedener Groͤße unter, so merkte er es. Wenn es aber dem seinigen gleich war, so hielt ers fuͤr das seinige und schrieb darauf. Er schrieb auch musikalische Noten mit vieler Genauigkeit.

Er bildete sich einsmals des Nachts mitten im Winter ein, daß er am Ufer eines Flusses spazieren gienge, und ein badendes Kind in dem Fluß hinabstuͤrzen saͤhe. Er eilte dem Kinde zu Huͤlfe, warf sich uͤber sein Bette in der Lage eines Schwimmenden, machte die Bewegungen des Schwimmens nach, hielt eine zusammengewickelte Decke fuͤr das zu rettende Kind, ergriff es mit der einen Hand, und bediente sich der andern zum Schwimmen ans Ufer. Hier setzte er nun das vermeintliche Kind ab, und gieng vor Kaͤlte schaudernd und mit den Zaͤhnen klappernd weiter, als wenn er wirklich aus einem gefrornen Flusse gestiegen waͤre. Er sagte zu den Umstehenden, daß er vor Kaͤlte beinahe erstarrt sey, und foderte ein Glas Aquavit. Da nun keines gegenwaͤrtig war, so gab man ihm gemeines Wasser. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit mehrerer Lebhaftigkeit Lebenswasser, indem er sagte, er wuͤrde sonst vor Kaͤlte sterben. Man mußte ihm ein Glas Aquavit geben. Er sagte, indem er daran roch: er befinde sich nun viel besser. Das sonderbarste aber ist, daß wenn man seine Gedanken von gewissen

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[100/0100] Nahm man ihm das Papier, worauf er schrieb, weg, und legte ihm ein anderes von verschiedener Groͤße unter, so merkte er es. Wenn es aber dem seinigen gleich war, so hielt ers fuͤr das seinige und schrieb darauf. Er schrieb auch musikalische Noten mit vieler Genauigkeit. Er bildete sich einsmals des Nachts mitten im Winter ein, daß er am Ufer eines Flusses spazieren gienge, und ein badendes Kind in dem Fluß hinabstuͤrzen saͤhe. Er eilte dem Kinde zu Huͤlfe, warf sich uͤber sein Bette in der Lage eines Schwimmenden, machte die Bewegungen des Schwimmens nach, hielt eine zusammengewickelte Decke fuͤr das zu rettende Kind, ergriff es mit der einen Hand, und bediente sich der andern zum Schwimmen ans Ufer. Hier setzte er nun das vermeintliche Kind ab, und gieng vor Kaͤlte schaudernd und mit den Zaͤhnen klappernd weiter, als wenn er wirklich aus einem gefrornen Flusse gestiegen waͤre. Er sagte zu den Umstehenden, daß er vor Kaͤlte beinahe erstarrt sey, und foderte ein Glas Aquavit. Da nun keines gegenwaͤrtig war, so gab man ihm gemeines Wasser. Aber er merkte den Betrug sogleich, als er es gekostet hatte, und foderte nun mit mehrerer Lebhaftigkeit Lebenswasser, indem er sagte, er wuͤrde sonst vor Kaͤlte sterben. Man mußte ihm ein Glas Aquavit geben. Er sagte, indem er daran roch: er befinde sich nun viel besser. Das sonderbarste aber ist, daß wenn man seine Gedanken von gewissen

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Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 3. Berlin, 1793, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01003_1793/100>, abgerufen am 02.05.2024.