Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 2. Berlin, 1793.3. Fragmente aus dem Tagebuche Weilers. am 26. Mai. Sie liebt mich gewiß, gewiß! Warum sollte auch mir ein Geschöpf in der Welt Liebe lügen? -- Aber was ist das, daß ich doch nicht so recht in dieser Ueberzeugung ruhig bin? Was will ich von ihr? Freilich hat sie einen Geist zur Jntrigue der mir -- sonst sehr willkommen gewesen wäre -- und jetzt! -- Warum kann man nicht immer derselbe seyn? Und wie könnte sie, auf der andern Seite mir das seyn, was sie ist, ohne diesen Geist? Würde sie es denn wagen mich Nächte durch in ihrem Schlafzimmer zu haben, wo ihre beiden kleinen Geschwister schlafen, indessen wir am Tisch sitzen und lesen und küssen? -- Aber das sollte sie nur mir seyn? -- Ha Teufel! da sitzts. Jch liebe sie unaussprechlich, und wenn es möglich ist, daß ich noch einst zu einer ruhigen bürgerlichen Glückseligkeit gelange, so muß Sie mein Weib seyn. Ja! und mein Weib eben muß auch fähig seyn, so wie ich, der Konvenienz und aller Zucht und Sitte einen Seitenstoß zu geben um der Liebe willen. Aber gleichwohl -- bin ich nicht toll? -- nur mir, nur mir! Jetzt überfällt mich der Gedanke, daß Sie mir vielleicht nicht beschieden wäre, mit einer Angst, 3. Fragmente aus dem Tagebuche Weilers. am 26. Mai. Sie liebt mich gewiß, gewiß! Warum sollte auch mir ein Geschoͤpf in der Welt Liebe luͤgen? — Aber was ist das, daß ich doch nicht so recht in dieser Ueberzeugung ruhig bin? Was will ich von ihr? Freilich hat sie einen Geist zur Jntrigue der mir — sonst sehr willkommen gewesen waͤre — und jetzt! — Warum kann man nicht immer derselbe seyn? Und wie koͤnnte sie, auf der andern Seite mir das seyn, was sie ist, ohne diesen Geist? Wuͤrde sie es denn wagen mich Naͤchte durch in ihrem Schlafzimmer zu haben, wo ihre beiden kleinen Geschwister schlafen, indessen wir am Tisch sitzen und lesen und kuͤssen? — Aber das sollte sie nur mir seyn? — Ha Teufel! da sitzts. Jch liebe sie unaussprechlich, und wenn es moͤglich ist, daß ich noch einst zu einer ruhigen buͤrgerlichen Gluͤckseligkeit gelange, so muß Sie mein Weib seyn. Ja! und mein Weib eben muß auch faͤhig seyn, so wie ich, der Konvenienz und aller Zucht und Sitte einen Seitenstoß zu geben um der Liebe willen. Aber gleichwohl — bin ich nicht toll? — nur mir, nur mir! Jetzt uͤberfaͤllt mich der Gedanke, daß Sie mir vielleicht nicht beschieden waͤre, mit einer Angst, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <pb facs="#f0085" n="85"/><lb/><lb/> </div> </div> <div n="3"> <head>3. Fragmente aus dem Tagebuche Weilers.</head><lb/> <note type="editorial"> <bibl> <persName ref="#ref60"><note type="editorial"/>-l</persName> </bibl> </note> <div n="4"> <opener> <dateline> <hi rendition="#right">am 26. Mai.</hi> </dateline> </opener> <p>Sie liebt mich gewiß, gewiß! Warum sollte auch <hi rendition="#b">mir</hi> ein Geschoͤpf in der Welt Liebe luͤgen? — Aber was ist das, daß ich doch nicht so recht in dieser Ueberzeugung ruhig bin? Was will ich von ihr? Freilich hat sie einen Geist zur Jntrigue der mir — sonst sehr willkommen gewesen waͤre — und jetzt! — Warum kann man nicht immer derselbe seyn? Und wie koͤnnte sie, auf der andern Seite mir das seyn, was sie ist, ohne diesen Geist? Wuͤrde sie es denn wagen mich Naͤchte durch in ihrem Schlafzimmer zu haben, wo ihre beiden kleinen Geschwister schlafen, indessen wir am Tisch sitzen und lesen und kuͤssen? — Aber das sollte sie nur mir seyn? — Ha Teufel! da sitzts. Jch liebe sie unaussprechlich, und wenn es moͤglich ist, daß ich noch einst zu einer ruhigen buͤrgerlichen Gluͤckseligkeit gelange, so muß Sie mein Weib seyn. Ja! und mein Weib eben muß auch faͤhig seyn, so wie ich, der Konvenienz und aller Zucht und Sitte einen Seitenstoß zu geben um der Liebe willen. Aber gleichwohl — bin ich nicht toll? — nur mir, nur mir!</p> <p>Jetzt uͤberfaͤllt mich der Gedanke, daß Sie mir vielleicht nicht beschieden waͤre, mit einer Angst,<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [85/0085]
3. Fragmente aus dem Tagebuche Weilers.
am 26. Mai. Sie liebt mich gewiß, gewiß! Warum sollte auch mir ein Geschoͤpf in der Welt Liebe luͤgen? — Aber was ist das, daß ich doch nicht so recht in dieser Ueberzeugung ruhig bin? Was will ich von ihr? Freilich hat sie einen Geist zur Jntrigue der mir — sonst sehr willkommen gewesen waͤre — und jetzt! — Warum kann man nicht immer derselbe seyn? Und wie koͤnnte sie, auf der andern Seite mir das seyn, was sie ist, ohne diesen Geist? Wuͤrde sie es denn wagen mich Naͤchte durch in ihrem Schlafzimmer zu haben, wo ihre beiden kleinen Geschwister schlafen, indessen wir am Tisch sitzen und lesen und kuͤssen? — Aber das sollte sie nur mir seyn? — Ha Teufel! da sitzts. Jch liebe sie unaussprechlich, und wenn es moͤglich ist, daß ich noch einst zu einer ruhigen buͤrgerlichen Gluͤckseligkeit gelange, so muß Sie mein Weib seyn. Ja! und mein Weib eben muß auch faͤhig seyn, so wie ich, der Konvenienz und aller Zucht und Sitte einen Seitenstoß zu geben um der Liebe willen. Aber gleichwohl — bin ich nicht toll? — nur mir, nur mir!
Jetzt uͤberfaͤllt mich der Gedanke, daß Sie mir vielleicht nicht beschieden waͤre, mit einer Angst,
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