Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
Die Nacht übereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt süsser tönte, als der vom Wein gefüllte Pokal, folgte ich, als einer der sich glücklich fühlt, der vom Schrecken befreit angenehm überrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit -- feiger Muth! Mein Schicksal -- ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwärzer als die fürchterlichste Mitternacht! -- Nicht öder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! -- So oft sezt ich dir eine stählerne Brust entgegen. Ging mit männiglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, -- deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswürdiger mit holdem und heroischem Sinne. Jst nicht meinen gleichen
Die Nacht uͤbereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt suͤsser toͤnte, als der vom Wein gefuͤllte Pokal, folgte ich, als einer der sich gluͤcklich fuͤhlt, der vom Schrecken befreit angenehm uͤberrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit — feiger Muth! Mein Schicksal — ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwaͤrzer als die fuͤrchterlichste Mitternacht! — Nicht oͤder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! — So oft sezt ich dir eine staͤhlerne Brust entgegen. Ging mit maͤnniglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, — deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswuͤrdiger mit holdem und heroischem Sinne. Jst nicht meinen gleichen <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <p><pb facs="#f0062" n="60"/><lb/> pfluͤckte unbekuͤmmert Haselnuͤsse. Koͤnnt ich sie zuruͤckrufen, dacht' ich, wie gluͤcklich! Wie sehr nuͤtzlich, Gott und Menschen wohlgefaͤllig, sollten sie angewandt werden! Jch seufzete tief, und von Wehmuth, die ich nie so empfand, durchdrungen, irrte ich vom Wege ab, auf einen Klippenberg, worauf ich keine Spur eines Menschen bemerkte als Voͤgeln toͤdtliche Schlingen. Ach! sprach ich zu mir selbst, waͤrst du jezt Vogel, du wuͤrdest um leben zu wollen sterben (Gierigkeit und unersaͤttliche Leckerey, war oft das Grab vieler Menschen).</p> <p>Die Nacht uͤbereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt suͤsser toͤnte, als der vom Wein gefuͤllte Pokal, folgte ich, als einer der sich gluͤcklich fuͤhlt, der vom Schrecken befreit angenehm uͤberrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit — feiger Muth! Mein Schicksal — ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwaͤrzer als die fuͤrchterlichste Mitternacht! — Nicht oͤder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! — So oft sezt ich dir eine staͤhlerne Brust entgegen. Ging mit maͤnniglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, — deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswuͤrdiger mit holdem und heroischem Sinne. Jst nicht meinen gleichen<lb/></p> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [60/0062]
pfluͤckte unbekuͤmmert Haselnuͤsse. Koͤnnt ich sie zuruͤckrufen, dacht' ich, wie gluͤcklich! Wie sehr nuͤtzlich, Gott und Menschen wohlgefaͤllig, sollten sie angewandt werden! Jch seufzete tief, und von Wehmuth, die ich nie so empfand, durchdrungen, irrte ich vom Wege ab, auf einen Klippenberg, worauf ich keine Spur eines Menschen bemerkte als Voͤgeln toͤdtliche Schlingen. Ach! sprach ich zu mir selbst, waͤrst du jezt Vogel, du wuͤrdest um leben zu wollen sterben (Gierigkeit und unersaͤttliche Leckerey, war oft das Grab vieler Menschen).
Die Nacht uͤbereilte und brennender Durst nagte mich. Der Stimme eines Knaben, und einem schnellen Wasserfalle, des Sprudeln mir jezt suͤsser toͤnte, als der vom Wein gefuͤllte Pokal, folgte ich, als einer der sich gluͤcklich fuͤhlt, der vom Schrecken befreit angenehm uͤberrascht wird. O Menschenherz! wars nicht Schwachheit — feiger Muth! Mein Schicksal — ists nicht brennender als heißer Durst! Nicht schwaͤrzer als die fuͤrchterlichste Mitternacht! — Nicht oͤder und einsamer im Herzen, als es auf steilen Klippen ist! — So oft sezt ich dir eine staͤhlerne Brust entgegen. Ging mit maͤnniglichem Muthe nicht selten unter drohenden Schwerdtern! Ertrug so mannichmal verachtungblickende Augen, derer die von mir nie beleidigt, nie gesehen, — deck sie auf Schicksal! Manche vielleicht erscheinen hassenswuͤrdiger mit holdem und heroischem Sinne. Jst nicht meinen gleichen
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Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 60. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/62>, abgerufen am 17.07.2024. |