Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.
"Aber er, der Einsiedler, geniest viel größeren geistigen Vergnügens, als der Geschäftsmann fähig ist." (Wohl wahr! Aber dagegen fühlt der Einsiedler auch oft mehr und tiefere geistige Beschwerden als der Geschäftsmann sinnliche erfährt; denn der Einsame, wenns ihm recht Ernst ist, vor Gott lauterlich zu stehen, Christi Nachfolge im Geist auf sich zu nehmen, im tiefsten allumfassenden Geistesgebet vor Gott, sieht und fühlt mehr, tiefer, schmerzlicher, was ihm am Geist hinderlich ist, oder, wenn dies nicht, was aller armen Bedrängten Seelenlast und Gefahr ist, um nicht genug zum Licht, Leben, Liebeswesen Gottes und aller Kräfte von Jhm zu kommen. Wahrlich; rechte, vor Gott rechte Einsamkeit ist kein heiliger vergnügter Müßiggang; es ist die gröste mögliche Beschäftigung von allen im Angesicht des Himmels. Der auch in tiefster Ruhe unter alles vor Gott sinkende Einsame trägt vielmehr die Last der ganzen Welt im Gemüth vor Gott, mehr als die Welt selber fühlt,
»Aber er, der Einsiedler, geniest viel groͤßeren geistigen Vergnuͤgens, als der Geschaͤftsmann faͤhig ist.« (Wohl wahr! Aber dagegen fuͤhlt der Einsiedler auch oft mehr und tiefere geistige Beschwerden als der Geschaͤftsmann sinnliche erfaͤhrt; denn der Einsame, wenns ihm recht Ernst ist, vor Gott lauterlich zu stehen, Christi Nachfolge im Geist auf sich zu nehmen, im tiefsten allumfassenden Geistesgebet vor Gott, sieht und fuͤhlt mehr, tiefer, schmerzlicher, was ihm am Geist hinderlich ist, oder, wenn dies nicht, was aller armen Bedraͤngten Seelenlast und Gefahr ist, um nicht genug zum Licht, Leben, Liebeswesen Gottes und aller Kraͤfte von Jhm zu kommen. Wahrlich; rechte, vor Gott rechte Einsamkeit ist kein heiliger vergnuͤgter Muͤßiggang; es ist die groͤste moͤgliche Beschaͤftigung von allen im Angesicht des Himmels. Der auch in tiefster Ruhe unter alles vor Gott sinkende Einsame traͤgt vielmehr die Last der ganzen Welt im Gemuͤth vor Gott, mehr als die Welt selber fuͤhlt, <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0045" n="43"/><lb/> den, Leiden, der einsame so gut als jeder andere; wenn es so leicht waͤre, ein standhafter selbstgenuͤgsamer Einsamer zu seyn, wie die Welt sich etwan in ihrer Muße vorstellt, o! wie viele, die gern unabhaͤngig von allem seyn wollten, wuͤrden nicht immerfort Einsame? koͤnnen oft kaum ein Stuͤndgen fuͤr sich und Gott allein haben! O Himmel! wie selten im Treiben aller <choice><corr>Welt!)</corr><sic>Welt!</sic></choice></p> <p>»Aber er, der Einsiedler, geniest viel groͤßeren geistigen Vergnuͤgens, als der Geschaͤftsmann faͤhig ist.«</p> <p>(Wohl wahr! Aber dagegen fuͤhlt der Einsiedler auch oft mehr und tiefere <hi rendition="#b">geistige</hi> Beschwerden als der Geschaͤftsmann sinnliche erfaͤhrt; denn der Einsame, wenns ihm recht Ernst ist, vor Gott lauterlich zu stehen, Christi Nachfolge im Geist auf sich zu nehmen, im tiefsten allumfassenden Geistesgebet vor Gott, sieht und fuͤhlt mehr, tiefer, schmerzlicher, was ihm am Geist hinderlich ist, oder, wenn dies nicht, was aller armen Bedraͤngten Seelenlast und Gefahr ist, um nicht genug zum Licht, Leben, Liebeswesen Gottes und aller Kraͤfte von Jhm zu kommen. Wahrlich; rechte, vor Gott rechte Einsamkeit ist kein heiliger vergnuͤgter Muͤßiggang; es ist die groͤste moͤgliche Beschaͤftigung von allen im Angesicht des Himmels. Der auch in tiefster Ruhe unter alles vor Gott sinkende Einsame traͤgt vielmehr die Last der ganzen Welt im Gemuͤth vor Gott, mehr als die Welt selber fuͤhlt,<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [43/0045]
den, Leiden, der einsame so gut als jeder andere; wenn es so leicht waͤre, ein standhafter selbstgenuͤgsamer Einsamer zu seyn, wie die Welt sich etwan in ihrer Muße vorstellt, o! wie viele, die gern unabhaͤngig von allem seyn wollten, wuͤrden nicht immerfort Einsame? koͤnnen oft kaum ein Stuͤndgen fuͤr sich und Gott allein haben! O Himmel! wie selten im Treiben aller Welt!)
»Aber er, der Einsiedler, geniest viel groͤßeren geistigen Vergnuͤgens, als der Geschaͤftsmann faͤhig ist.«
(Wohl wahr! Aber dagegen fuͤhlt der Einsiedler auch oft mehr und tiefere geistige Beschwerden als der Geschaͤftsmann sinnliche erfaͤhrt; denn der Einsame, wenns ihm recht Ernst ist, vor Gott lauterlich zu stehen, Christi Nachfolge im Geist auf sich zu nehmen, im tiefsten allumfassenden Geistesgebet vor Gott, sieht und fuͤhlt mehr, tiefer, schmerzlicher, was ihm am Geist hinderlich ist, oder, wenn dies nicht, was aller armen Bedraͤngten Seelenlast und Gefahr ist, um nicht genug zum Licht, Leben, Liebeswesen Gottes und aller Kraͤfte von Jhm zu kommen. Wahrlich; rechte, vor Gott rechte Einsamkeit ist kein heiliger vergnuͤgter Muͤßiggang; es ist die groͤste moͤgliche Beschaͤftigung von allen im Angesicht des Himmels. Der auch in tiefster Ruhe unter alles vor Gott sinkende Einsame traͤgt vielmehr die Last der ganzen Welt im Gemuͤth vor Gott, mehr als die Welt selber fuͤhlt,
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/45 |
Zitationshilfe: | Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 43. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/45>, abgerufen am 16.07.2024. |