Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793.

Bild:
<< vorherige Seite


der Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinem harten Lager, ein. Es träumte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im himmlischen Jerusalem angelangt sey. Ein alter ehrwürdiger Mann empfing mich am Thor sehr liebreich, führte mich nach dem Tempel des Herrn, um mir alle Merkwürdigkeiten darinn zu zeigen. Jch kam in einen großen Saal, worinn ich einen Bücherschrank fand. Jch griff also meiner Gewohnheit nach, nach einem Buche, um es zu besehn. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf dem Titelblatt den Titel eines mir dem Namen nach schon längst bekannten kabbalistischen Buchs, und darunter den Namen Jehova mit großen Lettern. Jch blätterte darinn weiter und fand überall heilige Namen und Stellen aus der Bibel nach kabbalistischer Art erklärt.

Dieses versetzte mich in einen Gemüthszustand, der aus Erstaunen, Ehrfurcht, und Freude zusammengesetzt war. Jch hatte darauf noch mehr Szenen dieser Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht erinnern. Sobald als ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine Schüler, (die in einem entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir, schaueten mich (wider ihre Gewohnheit) mit der grösten Aufmerksamkeit an, und schienen über meinen Anblick in Verwunderung zu gerathen. Jch fragte sie nach der Ursache ihres seltsamen Benehmens, konnte aber anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da ich aber weiter in sie


der Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinem harten Lager, ein. Es traͤumte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im himmlischen Jerusalem angelangt sey. Ein alter ehrwuͤrdiger Mann empfing mich am Thor sehr liebreich, fuͤhrte mich nach dem Tempel des Herrn, um mir alle Merkwuͤrdigkeiten darinn zu zeigen. Jch kam in einen großen Saal, worinn ich einen Buͤcherschrank fand. Jch griff also meiner Gewohnheit nach, nach einem Buche, um es zu besehn. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf dem Titelblatt den Titel eines mir dem Namen nach schon laͤngst bekannten kabbalistischen Buchs, und darunter den Namen Jehova mit großen Lettern. Jch blaͤtterte darinn weiter und fand uͤberall heilige Namen und Stellen aus der Bibel nach kabbalistischer Art erklaͤrt.

Dieses versetzte mich in einen Gemuͤthszustand, der aus Erstaunen, Ehrfurcht, und Freude zusammengesetzt war. Jch hatte darauf noch mehr Szenen dieser Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht erinnern. Sobald als ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine Schuͤler, (die in einem entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir, schaueten mich (wider ihre Gewohnheit) mit der groͤsten Aufmerksamkeit an, und schienen uͤber meinen Anblick in Verwunderung zu gerathen. Jch fragte sie nach der Ursache ihres seltsamen Benehmens, konnte aber anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da ich aber weiter in sie

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0010" n="8"/><lb/>
der Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinem harten                         Lager, ein. Es tra&#x0364;umte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im <hi rendition="#b">himmlischen Jerusalem</hi> angelangt sey. Ein alter                         ehrwu&#x0364;rdiger Mann empfing mich am Thor sehr liebreich, fu&#x0364;hrte mich nach dem <hi rendition="#b">Tempel des Herrn,</hi> um mir alle Merkwu&#x0364;rdigkeiten                         darinn zu zeigen. Jch kam in einen großen Saal, worinn ich einen                         Bu&#x0364;cherschrank fand. Jch griff also meiner Gewohnheit nach, nach einem Buche,                         um es zu besehn. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf dem Titelblatt                         den Titel eines mir dem Namen nach schon la&#x0364;ngst bekannten kabbalistischen                         Buchs, und darunter den Namen Jehova mit großen Lettern. Jch bla&#x0364;tterte                         darinn weiter und fand u&#x0364;berall heilige Namen und Stellen aus der Bibel nach                         kabbalistischer Art erkla&#x0364;rt.</p>
          <p>Dieses versetzte mich in einen Gemu&#x0364;thszustand, der aus Erstaunen, Ehrfurcht,                         und Freude zusammengesetzt war. Jch hatte darauf noch mehr Szenen dieser                         Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht erinnern. Sobald als                         ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine Schu&#x0364;ler, (die in einem                         entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir, schaueten mich (wider ihre                         Gewohnheit) mit der gro&#x0364;sten Aufmerksamkeit an, und schienen u&#x0364;ber meinen                         Anblick in Verwunderung zu gerathen. Jch fragte sie nach der Ursache ihres                         seltsamen Benehmens, konnte aber anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da                         ich aber weiter in sie<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[8/0010] der Schmerzen schlief ich eines Abends auf meinem harten Lager, ein. Es traͤumte mir, daß ich, ohne zu wissen wie, im himmlischen Jerusalem angelangt sey. Ein alter ehrwuͤrdiger Mann empfing mich am Thor sehr liebreich, fuͤhrte mich nach dem Tempel des Herrn, um mir alle Merkwuͤrdigkeiten darinn zu zeigen. Jch kam in einen großen Saal, worinn ich einen Buͤcherschrank fand. Jch griff also meiner Gewohnheit nach, nach einem Buche, um es zu besehn. Sobald ich es aufmachte, fand ich gleich auf dem Titelblatt den Titel eines mir dem Namen nach schon laͤngst bekannten kabbalistischen Buchs, und darunter den Namen Jehova mit großen Lettern. Jch blaͤtterte darinn weiter und fand uͤberall heilige Namen und Stellen aus der Bibel nach kabbalistischer Art erklaͤrt. Dieses versetzte mich in einen Gemuͤthszustand, der aus Erstaunen, Ehrfurcht, und Freude zusammengesetzt war. Jch hatte darauf noch mehr Szenen dieser Art, konnte mich aber beim Aufwachen derselben nicht erinnern. Sobald als ich aus diesem Schlafe erwacht war, kamen meine Schuͤler, (die in einem entfernten Zimmer geschlafen hatten) zu mir, schaueten mich (wider ihre Gewohnheit) mit der groͤsten Aufmerksamkeit an, und schienen uͤber meinen Anblick in Verwunderung zu gerathen. Jch fragte sie nach der Ursache ihres seltsamen Benehmens, konnte aber anfangs von ihnen nichts herausbringen. Da ich aber weiter in sie

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Christof Wingertszahn, Sheila Dickson, University of Glasgow, Goethe-Museum Düsseldorf/Anton-und-Katharina-Kippenberg-Stiftung: Erstellung der Transkription nach DTA-Richtlinien (2015-06-09T11:00:00Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig, Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie zu Berlin: Konvertierung nach DTA-Basisformat (2015-06-09T11:00:00Z)
UB Uni-Bielefeld: Bereitstellung der Bilddigitalisate (2015-06-09T11:00:00Z)

Weitere Informationen:

Anmerkungen zur Transkription:

  • Langes s (ſ) wird als rundes s (s) wiedergegeben.
  • Die Umlautschreibung mit ›e‹ über dem Vokal wurden übernommen.
  • Die Majuskel I/J wurde nicht nach Lautwert transkribiert.
  • Verbessert wird nur bei eindeutigen Druckfehlern. Die editorischen Eingriffe sind stets nachgewiesen.
  • Zu Moritz’ Zeit war es üblich, bei mehrzeiligen Zitaten vor jeder Zeile Anführungsstriche zu setzen. Diese wiederholten Anführungsstriche des Originals werden stillschweigend getilgt.
  • Die Druckgestalt der Vorlagen (Absätze, Überschriften, Schriftgrade etc.) wird schematisiert wiedergegeben. Der Zeilenfall wurde nicht übernommen.
  • Worteinfügungen der Herausgeber im edierten Text sowie Ergänzungen einzelner Buchstaben sind dokumentiert.
  • Die Originalseite wird als einzelne Seite in der Internetausgabe wiedergegeben. Von diesem Darstellungsprinzip wird bei langen, sich über mehr als eine Seite erstreckenden Fußnoten abgewichen. Die vollständige Fußnote erscheint in diesem Fall zusammenhängend an der ersten betreffenden Seite.
  • Die textkritischen Nachweise erfolgen in XML-Form nach dem DTABf-Schema: <choice><corr>[Verbesserung]</corr><sic>[Originaltext]</sic></choice> vorgenommen.



Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/10
Zitationshilfe: Moritz, Karl Philipp (Hrsg.): Gnothi sauton oder Magazin zur Erfahrungsseelenkunde. Bd. 10, St. 1. Berlin, 1793, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/moritz_erfahrungsseelenkunde01001_1793/10>, abgerufen am 29.03.2024.