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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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STURZ DER OLIGARCHIE.

Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung
der gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Ent-
würfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revo-
lution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungs-
mässiger Reformen zu erreichen. Die Erneuerung der Getreide-
spenden, die Wiederherstellung der tribunicischen Gewalt in
ihrem alten Umfang, die Beseitigung der senatorischen Gerichte
hörten nie auf die Gegenstände popularer Agitation zu bilden.
Zuerst gab die Regierung in der Wiederherstellung der Getreide-
vertheilungen nach, die in Folge der hohen hauptsächlich durch
die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise von der Bürgerschaft
immer ungestümer gefordert ward. Bereits 679 wurden, nach-
dem es wegen der Brottheuerung in Rom zu einem heftigen Stras-
senauflauf gekommen war, ausserordentliche Getreidekäufe in Si-
cilien für Rechnung der Regierung veranstaltet, um der Noth ab-
zuhelfen. Aber schon im J. 681 gewährte der Senat eine be-
schränkte Erneuerung des sempronischen Getreidegesetzes. Die
Consuln Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus
brachten einen Vorschlag ein, wonach nicht wie nach dem sem-
pronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Zahl -- es
scheint 40000 -- der ärmeren Bürger die früheren Spenden, wie
sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den
Preis von 6 1/3 Assen (31/2 Gr.) empfangen sollten -- eine Bestim-
mung, aus der dem Aerar ein jährlicher Nettoverlust von minde-
stens 3 Mill. Thlrn. erwuchs.* -- Nachdrücklicheren Widerstand
leistete die Regierung in dem Streit um die tribunicische Gewalt
und um die Geschwornenstellen. Jenen eröffnete schon 678, un-
mittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lu-
cius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Man-
nes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt be-

* Dass das Gesetz den Demokraten nicht genügte, sagt Sallust (hist.
3, 82, 19 Kritz). Da nun das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig
mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3,
30, 72), hienach also etwa 40000 Bürger Getreide empfingen, während doch
die Zahl der in der Hauptstadt domicilirten römischen Bürger unzweifelhaft
viel beträchtlicher war, so dürfte die wesentliche Beschränkung, die das
Gesetz von 681 dem sempronischen hinzufügte, in der oben angebenen
Weise zu fassen sein. Dass man daneben über das zu geringe Quantum
klagte, wie Sallust (a. a. O.) andeutet, verträgt sich damit recht wohl. Die
Verlustsumme ist danach berechnet, dass das Getreide mindestens den dop-
pelten Werth hatte (II, 99); wenn die Piraterie oder andere Ursachen die
Preise in die Höhe trieben, musste der Schaden sich noch weit beträchtli-
cher herausstellen.
STURZ DER OLIGARCHIE.

Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung
der gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Ent-
würfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revo-
lution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungs-
mäſsiger Reformen zu erreichen. Die Erneuerung der Getreide-
spenden, die Wiederherstellung der tribunicischen Gewalt in
ihrem alten Umfang, die Beseitigung der senatorischen Gerichte
hörten nie auf die Gegenstände popularer Agitation zu bilden.
Zuerst gab die Regierung in der Wiederherstellung der Getreide-
vertheilungen nach, die in Folge der hohen hauptsächlich durch
die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise von der Bürgerschaft
immer ungestümer gefordert ward. Bereits 679 wurden, nach-
dem es wegen der Brottheuerung in Rom zu einem heftigen Stras-
senauflauf gekommen war, auſserordentliche Getreidekäufe in Si-
cilien für Rechnung der Regierung veranstaltet, um der Noth ab-
zuhelfen. Aber schon im J. 681 gewährte der Senat eine be-
schränkte Erneuerung des sempronischen Getreidegesetzes. Die
Consuln Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus
brachten einen Vorschlag ein, wonach nicht wie nach dem sem-
pronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Zahl — es
scheint 40000 — der ärmeren Bürger die früheren Spenden, wie
sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den
Preis von 6⅓ Assen (3½ Gr.) empfangen sollten — eine Bestim-
mung, aus der dem Aerar ein jährlicher Nettoverlust von minde-
stens 3 Mill. Thlrn. erwuchs.* — Nachdrücklicheren Widerstand
leistete die Regierung in dem Streit um die tribunicische Gewalt
und um die Geschwornenstellen. Jenen eröffnete schon 678, un-
mittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lu-
cius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Man-
nes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt be-

* Daſs das Gesetz den Demokraten nicht genügte, sagt Sallust (hist.
3, 82, 19 Kritz). Da nun das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig
mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3,
30, 72), hienach also etwa 40000 Bürger Getreide empfingen, während doch
die Zahl der in der Hauptstadt domicilirten römischen Bürger unzweifelhaft
viel beträchtlicher war, so dürfte die wesentliche Beschränkung, die das
Gesetz von 681 dem sempronischen hinzufügte, in der oben angebenen
Weise zu fassen sein. Daſs man daneben über das zu geringe Quantum
klagte, wie Sallust (a. a. O.) andeutet, verträgt sich damit recht wohl. Die
Verlustsumme ist danach berechnet, daſs das Getreide mindestens den dop-
pelten Werth hatte (II, 99); wenn die Piraterie oder andere Ursachen die
Preise in die Höhe trieben, muſste der Schaden sich noch weit beträchtli-
cher herausstellen.
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[85/0095] STURZ DER OLIGARCHIE. Wohl fehlte es nicht an Männern, die die Wiederherstellung der gracchischen Verfassung im Sinn trugen, und nicht an Ent- würfen, um das, was Lepidus und Sertorius im Wege der Revo- lution versucht hatten, stückweise auf dem Wege verfassungs- mäſsiger Reformen zu erreichen. Die Erneuerung der Getreide- spenden, die Wiederherstellung der tribunicischen Gewalt in ihrem alten Umfang, die Beseitigung der senatorischen Gerichte hörten nie auf die Gegenstände popularer Agitation zu bilden. Zuerst gab die Regierung in der Wiederherstellung der Getreide- vertheilungen nach, die in Folge der hohen hauptsächlich durch die Piraterie hervorgerufenen Kornpreise von der Bürgerschaft immer ungestümer gefordert ward. Bereits 679 wurden, nach- dem es wegen der Brottheuerung in Rom zu einem heftigen Stras- senauflauf gekommen war, auſserordentliche Getreidekäufe in Si- cilien für Rechnung der Regierung veranstaltet, um der Noth ab- zuhelfen. Aber schon im J. 681 gewährte der Senat eine be- schränkte Erneuerung des sempronischen Getreidegesetzes. Die Consuln Marcus Terentius Lucullus und Gaius Cassius Varus brachten einen Vorschlag ein, wonach nicht wie nach dem sem- pronischen Gesetz alle, sondern nur eine bestimmte Zahl — es scheint 40000 — der ärmeren Bürger die früheren Spenden, wie sie Gracchus bestimmt hatte, fünf Scheffel monatlich für den Preis von 6⅓ Assen (3½ Gr.) empfangen sollten — eine Bestim- mung, aus der dem Aerar ein jährlicher Nettoverlust von minde- stens 3 Mill. Thlrn. erwuchs. * — Nachdrücklicheren Widerstand leistete die Regierung in dem Streit um die tribunicische Gewalt und um die Geschwornenstellen. Jenen eröffnete schon 678, un- mittelbar nach der Niederlage des Lepidus, der Volkstribun Lu- cius Sicinius, vielleicht ein Nachkomme des gleichnamigen Man- nes, der mehr als vierhundert Jahre zuvor zuerst dieses Amt be- * Daſs das Gesetz den Demokraten nicht genügte, sagt Sallust (hist. 3, 82, 19 Kritz). Da nun das Monatkorn der römischen Bürgerschaft wenig mehr als 33000 Medimnen = 198000 röm. Scheffel betrug (Cic. Verr. 3, 30, 72), hienach also etwa 40000 Bürger Getreide empfingen, während doch die Zahl der in der Hauptstadt domicilirten römischen Bürger unzweifelhaft viel beträchtlicher war, so dürfte die wesentliche Beschränkung, die das Gesetz von 681 dem sempronischen hinzufügte, in der oben angebenen Weise zu fassen sein. Daſs man daneben über das zu geringe Quantum klagte, wie Sallust (a. a. O.) andeutet, verträgt sich damit recht wohl. Die Verlustsumme ist danach berechnet, daſs das Getreide mindestens den dop- pelten Werth hatte (II, 99); wenn die Piraterie oder andere Ursachen die Preise in die Höhe trieben, muſste der Schaden sich noch weit beträchtli- cher herausstellen.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/95>, abgerufen am 24.11.2024.