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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
nicht entlaufene Fechtersclaven, sondern die Volkskönige aus den
Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegrei-
chen Schaaren gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Be-
wegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räu-
beraufstand und unterlag weniger den Anstrengungen ihrer Geg-
ner als der eigenen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit
gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sicili-
schen Sclavenkriegen in so bemerkenswerther Weise hervorge-
treten war, ward in diesem italischen vermisst; wovon wohl die
Ursache darin zu suchen ist, dass die sicilischen Sclaven in dem
gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Eini-
gungspunct fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen
der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die
Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spar-
tacus -- Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte ge-
fallen -- und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errun-
genen Erfolge und gewährte den Römern manchen wichtigen
Sieg. Aber noch weit nachtheiliger als die keltisch-germani-
sche Unbotmässigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel
eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach
dem Wenigen zu schliessen, was wir von dem seltenen Mann
erfahren, hierin über seiner Partei. Er verrieth neben seinem
strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn
gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schaar
vorstand und die Beute vertheilte, wenigstens ebenso sehr wie
seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um
dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhel-
fen, versuchte er mit Hülfe der in Unteritalien aufgegriffenen
Pferdeheerden sich eine Cavallerie zu schulen und zu disciplini-
ren und so wie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam,
von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittelung
der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen ver-
mochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf
feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchana-
lien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenom-
menen Städten sich gestatteten, und die die hauptsächliche Ur-
sache waren, wesshalb keine italische Stadt freiwillig mit den In-
surgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam,
den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege
auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach
den im Apennin 682 erfochtenen Siegen stand dem Sieger nach
jeder Richtung hin der Weg offen. Spartacus selbst soll be-

DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT.
nicht entlaufene Fechtersclaven, sondern die Volkskönige aus den
Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegrei-
chen Schaaren gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Be-
wegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räu-
beraufstand und unterlag weniger den Anstrengungen ihrer Geg-
ner als der eigenen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit
gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sicili-
schen Sclavenkriegen in so bemerkenswerther Weise hervorge-
treten war, ward in diesem italischen vermiſst; wovon wohl die
Ursache darin zu suchen ist, daſs die sicilischen Sclaven in dem
gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Eini-
gungspunct fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen
der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die
Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spar-
tacus — Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte ge-
fallen — und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errun-
genen Erfolge und gewährte den Römern manchen wichtigen
Sieg. Aber noch weit nachtheiliger als die keltisch-germani-
sche Unbotmäſsigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel
eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach
dem Wenigen zu schlieſsen, was wir von dem seltenen Mann
erfahren, hierin über seiner Partei. Er verrieth neben seinem
strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn
gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schaar
vorstand und die Beute vertheilte, wenigstens ebenso sehr wie
seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um
dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhel-
fen, versuchte er mit Hülfe der in Unteritalien aufgegriffenen
Pferdeheerden sich eine Cavallerie zu schulen und zu disciplini-
ren und so wie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam,
von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittelung
der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen ver-
mochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf
feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchana-
lien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenom-
menen Städten sich gestatteten, und die die hauptsächliche Ur-
sache waren, weſshalb keine italische Stadt freiwillig mit den In-
surgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam,
den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege
auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach
den im Apennin 682 erfochtenen Siegen stand dem Sieger nach
jeder Richtung hin der Weg offen. Spartacus selbst soll be-

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[77/0087] DIE SULLANISCHE RESTAURATIONSHERRSCHAFT. nicht entlaufene Fechtersclaven, sondern die Volkskönige aus den Bergen der Auvergne oder des Balkan an der Spitze der siegrei- chen Schaaren gestanden hätten, ist nicht zu sagen; wie die Be- wegung einmal war, blieb sie trotz ihrer glänzenden Siege ein Räu- beraufstand und unterlag weniger den Anstrengungen ihrer Geg- ner als der eigenen Zwietracht und Planlosigkeit. Die Einigkeit gegen den gemeinschaftlichen Feind, die in den früheren sicili- schen Sclavenkriegen in so bemerkenswerther Weise hervorge- treten war, ward in diesem italischen vermiſst; wovon wohl die Ursache darin zu suchen ist, daſs die sicilischen Sclaven in dem gemeinsamen Syrohellenismus einen gleichsam nationalen Eini- gungspunct fanden, die italischen dagegen in die beiden Massen der Hellenobarbaren und der Keltogermanen sich schieden. Die Spaltung zwischen dem Kelten Krixos und dem Thraker Spar- tacus — Oenomaos war gleich in einem der ersten Gefechte ge- fallen — und ähnlicher Hader lähmte die Benutzung der errun- genen Erfolge und gewährte den Römern manchen wichtigen Sieg. Aber noch weit nachtheiliger als die keltisch-germani- sche Unbotmäſsigkeit wirkte auf das Unternehmen der Mangel eines festen Planes und Zieles. Wohl stand Spartacus, nach dem Wenigen zu schlieſsen, was wir von dem seltenen Mann erfahren, hierin über seiner Partei. Er verrieth neben seinem strategischen ein nicht gemeines Organisationstalent, wie denn gleich von Haus aus die Gerechtigkeit, mit der er seiner Schaar vorstand und die Beute vertheilte, wenigstens ebenso sehr wie seine Tapferkeit die Augen der Masse auf ihn gelenkt hatte. Um dem empfindlichen Mangel an Reiterei und an Waffen abzuhel- fen, versuchte er mit Hülfe der in Unteritalien aufgegriffenen Pferdeheerden sich eine Cavallerie zu schulen und zu disciplini- ren und so wie er den Hafen von Thurii in die Hände bekam, von dort aus Eisen und Kupfer, ohne Zweifel durch Vermittelung der Piraten, sich zu verschaffen. Aber in den Hauptsachen ver- mochte auch er nicht die wilden Horden, die er anführte, auf feste Endziele hinzulenken. Gern hätte er den tollen Bacchana- lien der Grausamkeit gewehrt, die die Räuber in den eingenom- menen Städten sich gestatteten, und die die hauptsächliche Ur- sache waren, weſshalb keine italische Stadt freiwillig mit den In- surgenten gemeinschaftliche Sache machte; aber der Gehorsam, den der Räuberhauptmann im Kampfe fand, hörte mit dem Siege auf und seine Vorstellungen und Bitten waren vergeblich. Nach den im Apennin 682 erfochtenen Siegen stand dem Sieger nach jeder Richtung hin der Weg offen. Spartacus selbst soll be-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 77. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/87>, abgerufen am 06.05.2024.