Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. höchstens vier Monaten also musste Artaxata erreicht und dieCampagne beendigt sein. -- Im Mittsommer 686 brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch das Thal des Karasu, eines in südöstlicher Richtung dem östlichen Euphrat- arm zuströmenden Flusses, das einzige, das die Ebenen Mesopo- tamiens mit der Hochebene des innern Armeniens verbindet, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber ohne wesentliches Hinderniss von Statten und auch der Euphrat- übergang, den die armenische Reiterei ernstlich vertheidigte, ward durch ein glückliches Gefecht erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschirte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die blosse un- abwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwie- rigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachtheil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riss der allzu straff gespannte Bogen der militärischen Zucht. Es kam zu einer förmlichen Meuterei; dem Feldherrn blieb nichts übrig als den Rückzug anzuordnen, den er dann mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in der Ebene, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit dem Haupttheil seines Heeres auf die Hauptstadt des armenischen Mesopotamiens Nisibis. Der Gross- könig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, überliess die Stadt sich selbst, Sie ward trotz ihrer tapfern Ver- theidigung in einer finstern Regennacht von den Belagerern er- stürmt und Lucullus Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen in Pontos und bei Tigra- nokerta zurückgebliebenen römischen Corps. Hier zwang Tigra- nes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius -- derselbe, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte (S. 48. 57) -- sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 arme- nischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rä- cher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu; FÜNFTES BUCH. KAPITEL II. höchstens vier Monaten also muſste Artaxata erreicht und dieCampagne beendigt sein. — Im Mittsommer 686 brach Lucullus von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch das Thal des Karasu, eines in südöstlicher Richtung dem östlichen Euphrat- arm zuströmenden Flusses, das einzige, das die Ebenen Mesopo- tamiens mit der Hochebene des innern Armeniens verbindet, auf das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging, unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber ohne wesentliches Hinderniſs von Statten und auch der Euphrat- übergang, den die armenische Reiterei ernstlich vertheidigte, ward durch ein glückliches Gefecht erzwungen; die armenische Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht sie in das Gefecht zu verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene Armeniens und marschirte weiter hinein in das unbekannte Land. Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloſse un- abwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwie- rigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr empfindlicher Nachtheil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte, brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee und Eis um sich sahen, riſs der allzu straff gespannte Bogen der militärischen Zucht. Es kam zu einer förmlichen Meuterei; dem Feldherrn blieb nichts übrig als den Rückzug anzuordnen, den er dann mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte. Glücklich angekommen in der Ebene, wo die Jahreszeit noch weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den Tigris und warf sich mit dem Haupttheil seines Heeres auf die Hauptstadt des armenischen Mesopotamiens Nisibis. Der Groſs- könig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung, überlieſs die Stadt sich selbst, Sie ward trotz ihrer tapfern Ver- theidigung in einer finstern Regennacht von den Belagerern er- stürmt und Lucullus Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der feindlichen Offensive auf die schwachen in Pontos und bei Tigra- nokerta zurückgebliebenen römischen Corps. Hier zwang Tigra- nes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius — derselbe, der früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht hatte (S. 48. 57) — sich in eine Festung zu werfen und hielt ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 arme- nischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rä- cher die Nation auf gegen den Landesfeind. 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FÜNFTES BUCH. KAPITEL II.
höchstens vier Monaten also muſste Artaxata erreicht und die
Campagne beendigt sein. — Im Mittsommer 686 brach Lucullus
von Tigranokerta auf und gelangte, ohne Zweifel durch das Thal
des Karasu, eines in südöstlicher Richtung dem östlichen Euphrat-
arm zuströmenden Flusses, das einzige, das die Ebenen Mesopo-
tamiens mit der Hochebene des innern Armeniens verbindet, auf
das Plateau von Musch und an den Euphrat. Der Marsch ging,
unter beständigen sehr lästigen Scharmützeln mit der feindlichen
Reiterei, namentlich den berittenen Bogenschützen, langsam, aber
ohne wesentliches Hinderniſs von Statten und auch der Euphrat-
übergang, den die armenische Reiterei ernstlich vertheidigte,
ward durch ein glückliches Gefecht erzwungen; die armenische
Infanterie zeigte sich, aber es glückte nicht sie in das Gefecht zu
verwickeln. So gelangte die Armee auf die eigentliche Hochebene
Armeniens und marschirte weiter hinein in das unbekannte Land.
Man hatte keinen eigentlichen Unfall erlitten; aber die bloſse un-
abwendbare Verzögerung des Marsches durch die Terrainschwie-
rigkeiten und die feindlichen Reiter war an sich schon ein sehr
empfindlicher Nachtheil. Lange bevor man Artaxata erreicht hatte,
brach der Winter herein; und wie die italischen Soldaten Schnee
und Eis um sich sahen, riſs der allzu straff gespannte Bogen der
militärischen Zucht. Es kam zu einer förmlichen Meuterei; dem
Feldherrn blieb nichts übrig als den Rückzug anzuordnen, den
er dann mit seiner gewöhnlichen Geschicklichkeit bewerkstelligte.
Glücklich angekommen in der Ebene, wo die Jahreszeit noch
weitere Unternehmungen gestattete, überschritt Lucullus den
Tigris und warf sich mit dem Haupttheil seines Heeres auf die
Hauptstadt des armenischen Mesopotamiens Nisibis. Der Groſs-
könig, gewitzigt durch die vor Tigranokerta gemachte Erfahrung,
überlieſs die Stadt sich selbst, Sie ward trotz ihrer tapfern Ver-
theidigung in einer finstern Regennacht von den Belagerern er-
stürmt und Lucullus Heer fand daselbst nicht minder reiche Beute
und nicht minder bequeme Winterquartiere wie das Jahr vorher
in Tigranokerta. Allein inzwischen fiel die ganze Gewalt der
feindlichen Offensive auf die schwachen in Pontos und bei Tigra-
nokerta zurückgebliebenen römischen Corps. Hier zwang Tigra-
nes den römischen Befehlshaber Lucius Fannius — derselbe, der
früher zwischen Sertorius und Mithradates den Vermittler gemacht
hatte (S. 48. 57) — sich in eine Festung zu werfen und hielt
ihn darin belagert. Dort rückte Mithradates ein mit 4000 arme-
nischen und 4000 eigenen Reitern und rief als Befreier und Rä-
cher die Nation auf gegen den Landesfeind. Alles fiel ihm zu;
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