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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
zwiefach ist es dies in der römischen, in der diese Missbildung
nicht wie in Attika aus dem überspannten rhetorischen Trei-
ben mit einer gewissen Nothwendigkeit erwachsen, sondern
willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen
der Nation dem Ausland abgeborgt ist. Dennoch kam dieses
neue Genre rasch in Aufnahme, theils weil es mit der älteren
politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zu-
sammenfloss, theils weil das unpoetische, rechthaberische, rhe-
torisirende Naturell der Römer für den neuen Samen einen gün-
stigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advocatenrede
und selbst eine Art Prozessschriftlitteratur in Italien etwas be-
deutet. Also erwarb die von der Politik emancipirte Rede-
schriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Litteratenwelt
durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehr-
fach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht
und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat
und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr
gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien,
waren die Fragen, auf die es ankam, regelmässig bereits abge-
than: so trat er im Prozess des Verres gegen die Senatsgerichte
auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Ver-
handlung über das gabinische und verfocht das manilische Ge-
setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits
feststand, und so weiter. Gegen Scheinattaquen war er gewaltig
und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt;
eine ernstliche Sache ist nie, weder im Guten noch im Bösen,
durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung
der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber
bewirkt. In litterarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben
worden, dass er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa
war (S. 535); auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung und
allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als
Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als
Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich ver-
sucht, in unendlichen Hexametern Marius Gross- und seine eige-
nen Kleinthaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit
seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde
geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt um auch den Thu-
kydides noch zu überwinden. Er war in der That so durchaus
Pfuscher, dass es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte.
Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinn des Wortes, an
Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII.
zwiefach ist es dies in der römischen, in der diese Miſsbildung
nicht wie in Attika aus dem überspannten rhetorischen Trei-
ben mit einer gewissen Nothwendigkeit erwachsen, sondern
willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen
der Nation dem Ausland abgeborgt ist. Dennoch kam dieses
neue Genre rasch in Aufnahme, theils weil es mit der älteren
politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zu-
sammenfloſs, theils weil das unpoetische, rechthaberische, rhe-
torisirende Naturell der Römer für den neuen Samen einen gün-
stigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advocatenrede
und selbst eine Art Prozeſsschriftlitteratur in Italien etwas be-
deutet. Also erwarb die von der Politik emancipirte Rede-
schriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Litteratenwelt
durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehr-
fach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht
und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat
und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr
gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien,
waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäſsig bereits abge-
than: so trat er im Prozeſs des Verres gegen die Senatsgerichte
auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Ver-
handlung über das gabinische und verfocht das manilische Ge-
setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits
feststand, und so weiter. Gegen Scheinattaquen war er gewaltig
und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt;
eine ernstliche Sache ist nie, weder im Guten noch im Bösen,
durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung
der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber
bewirkt. In litterarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben
worden, daſs er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa
war (S. 535); auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung und
allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als
Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als
Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich ver-
sucht, in unendlichen Hexametern Marius Groſs- und seine eige-
nen Kleinthaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit
seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde
geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt um auch den Thu-
kydides noch zu überwinden. Er war in der That so durchaus
Pfuscher, daſs es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte.
Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinn des Wortes, an
Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle

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[572/0582] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XII. zwiefach ist es dies in der römischen, in der diese Miſsbildung nicht wie in Attika aus dem überspannten rhetorischen Trei- ben mit einer gewissen Nothwendigkeit erwachsen, sondern willkürlich und im Widerspruch mit den besseren Traditionen der Nation dem Ausland abgeborgt ist. Dennoch kam dieses neue Genre rasch in Aufnahme, theils weil es mit der älteren politischen Redeschriftstellerei vielfach sich berührte und zu- sammenfloſs, theils weil das unpoetische, rechthaberische, rhe- torisirende Naturell der Römer für den neuen Samen einen gün- stigen Boden darbot, wie ja denn noch heute die Advocatenrede und selbst eine Art Prozeſsschriftlitteratur in Italien etwas be- deutet. Also erwarb die von der Politik emancipirte Rede- schriftstellerei das Bürgerrecht in der römischen Litteratenwelt durch Cicero. Wir haben dieses vielseitigen Mannes schon mehr- fach gedenken müssen. Als Staatsmann ohne Einsicht, Ansicht und Absicht, hat er nach einander als Demokrat, als Aristokrat und als Werkzeug der Monarchen figurirt und ist nie mehr gewesen als ein kurzsichtiger Egoist. Wo er zu handeln schien, waren die Fragen, auf die es ankam, regelmäſsig bereits abge- than: so trat er im Prozeſs des Verres gegen die Senatsgerichte auf, als sie bereits beseitigt waren; so schwieg er bei der Ver- handlung über das gabinische und verfocht das manilische Ge- setz; so polterte er gegen Catilina, als dessen Abgang bereits feststand, und so weiter. Gegen Scheinattaquen war er gewaltig und Mauern von Pappe hat er viele mit Geprassel eingerannt; eine ernstliche Sache ist nie, weder im Guten noch im Bösen, durch ihn entschieden worden und vor allem die Hinrichtung der Catilinarier hat er weit mehr geschehen lassen als selber bewirkt. In litterarischer Hinsicht ist es bereits hervorgehoben worden, daſs er der Schöpfer der modernen lateinischen Prosa war (S. 535); auf seiner Stilistik ruht seine Bedeutung und allein als Stilist auch zeigt er ein sicheres Selbstgefühl. Als Schriftsteller dagegen steht er vollkommen ebenso tief wie als Staatsmann. Er hat in den mannigfaltigsten Aufgaben sich ver- sucht, in unendlichen Hexametern Marius Groſs- und seine eige- nen Kleinthaten besungen, mit seinen Reden den Demosthenes, mit seinen philosophischen Gesprächen den Platon aus dem Felde geschlagen und nur die Zeit hat ihm gefehlt um auch den Thu- kydides noch zu überwinden. Er war in der That so durchaus Pfuscher, daſs es ziemlich einerlei war, welchen Acker er pflügte. Eine Journalistennatur im schlechtesten Sinn des Wortes, an Worten, wie er selber sagt, überreich, an Gedanken über alle

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/582>, abgerufen am 24.11.2024.