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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von rö-
mischer Eigenthümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem
Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln wie
die philosophisch-historischen Aufsätze irgend ein moralisches
oder sonst für das grössere Publicum geeignetes Thema; wie dies
schon einzelne Titel zeigen: ,Herkules Säulen oder vom Ruhm';
,der Topf findet den Deckel oder vom Heirathen'; ,der Krug hat
sein Mass oder vom Zechen'; ,Papperlapapp oder von der Lob-
rede'. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen
durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten
entlehnt, wie in der Satire ,Serranus oder von den Wahlen'. Da-
gegen spielt die diogenische Hundewelt wie billig eine grosse
Rolle: es begegnen der Hund Forscher, der Hund Rhetor, der
Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus
und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen
Zwecken in Contribution gesetzt: wir finden einen ,befreiten
Prometheus', einen ,strohernen Aias', einen ,Herkules Sokra-
tiker', einen ,Anderthalb-Odysseus', der nicht bloss zehn, son-
dern funfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der
dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen
Stücken, z. B. im ,befreiten Prometheus', in dem ,Mann von
sechzig Jahren', im ,Frühauf' noch aus den Trümmern hervor,
es scheint, dass Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmässig als
eigenes Erlebniss erzählte, wie zum Beispiel im Frühauf die han-
delnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten,
,da er als Büchermacher ihnen bekannt war'. Ueber den poeti-
schen Werth dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urtheil nicht
mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unsern Trümmern
allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit -- so
eröffnet im ,befreiten Prometheus' der Heros nach Lösung seiner
Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh der Reiche
sich ein Mädchen bestellt, von Milch und feinstem Wachs, wie
es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüthen sammeln,
ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar,
rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensathem
dieser Dichtung ist die Polemik -- nicht so sehr die politische
der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die
allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und
verkehrte Jugend, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das
neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweine-
stall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet,
keine Spur seiner weisen Ordnung mehr gewahrt. Varro that in

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griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von rö-
mischer Eigenthümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem
Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln wie
die philosophisch-historischen Aufsätze irgend ein moralisches
oder sonst für das gröſsere Publicum geeignetes Thema; wie dies
schon einzelne Titel zeigen: ‚Herkules Säulen oder vom Ruhm‘;
‚der Topf findet den Deckel oder vom Heirathen‘; ‚der Krug hat
sein Maſs oder vom Zechen‘; ‚Papperlapapp oder von der Lob-
rede‘. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen
durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten
entlehnt, wie in der Satire ‚Serranus oder von den Wahlen‘. Da-
gegen spielt die diogenische Hundewelt wie billig eine groſse
Rolle: es begegnen der Hund Forscher, der Hund Rhetor, der
Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus
und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen
Zwecken in Contribution gesetzt: wir finden einen ‚befreiten
Prometheus‘, einen ‚strohernen Aias‘, einen ‚Herkules Sokra-
tiker‘, einen ‚Anderthalb-Odysseus‘, der nicht bloſs zehn, son-
dern funfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der
dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen
Stücken, z. B. im ‚befreiten Prometheus‘, in dem ‚Mann von
sechzig Jahren‘, im ‚Frühauf‘ noch aus den Trümmern hervor,
es scheint, daſs Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmäſsig als
eigenes Erlebniſs erzählte, wie zum Beispiel im Frühauf die han-
delnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten,
‚da er als Büchermacher ihnen bekannt war‘. Ueber den poeti-
schen Werth dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urtheil nicht
mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unsern Trümmern
allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit — so
eröffnet im ‚befreiten Prometheus‘ der Heros nach Lösung seiner
Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh der Reiche
sich ein Mädchen bestellt, von Milch und feinstem Wachs, wie
es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüthen sammeln,
ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar,
rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensathem
dieser Dichtung ist die Polemik — nicht so sehr die politische
der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die
allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und
verkehrte Jugend, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das
neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweine-
stall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet,
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[559/0569] LITTERATUR. griechischen Original fremd und der ganze geistige Inhalt von rö- mischer Eigenthümlichkeit, man möchte sagen von sabinischem Erdgeschmack durchdrungen. Auch diese Satiren behandeln wie die philosophisch-historischen Aufsätze irgend ein moralisches oder sonst für das gröſsere Publicum geeignetes Thema; wie dies schon einzelne Titel zeigen: ‚Herkules Säulen oder vom Ruhm‘; ‚der Topf findet den Deckel oder vom Heirathen‘; ‚der Krug hat sein Maſs oder vom Zechen‘; ‚Papperlapapp oder von der Lob- rede‘. Die plastische Einkleidung, die auch hier nicht fehlen durfte, ist natürlich der vaterländischen Geschichte nur selten entlehnt, wie in der Satire ‚Serranus oder von den Wahlen‘. Da- gegen spielt die diogenische Hundewelt wie billig eine groſse Rolle: es begegnen der Hund Forscher, der Hund Rhetor, der Ritter-Hund, der Wassertrinker-Hund, der Hundekatechismus und dergleichen mehr. Ferner wird die Mythologie zu komischen Zwecken in Contribution gesetzt: wir finden einen ‚befreiten Prometheus‘, einen ‚strohernen Aias‘, einen ‚Herkules Sokra- tiker‘, einen ‚Anderthalb-Odysseus‘, der nicht bloſs zehn, son- dern funfzehn Jahre in Irrfahrten sich umhergetrieben hat. Der dramatisch-novellistische Rahmen schimmert in einzelnen Stücken, z. B. im ‚befreiten Prometheus‘, in dem ‚Mann von sechzig Jahren‘, im ‚Frühauf‘ noch aus den Trümmern hervor, es scheint, daſs Varro die Fabel häufig, vielleicht regelmäſsig als eigenes Erlebniſs erzählte, wie zum Beispiel im Frühauf die han- delnden Personen zum Varro hingehen und ihm Vortrag halten, ‚da er als Büchermacher ihnen bekannt war‘. Ueber den poeti- schen Werth dieser Einkleidung ist uns ein sicheres Urtheil nicht mehr gestattet; einzeln begegnen noch in unsern Trümmern allerliebste Schilderungen voll Witz und Lebendigkeit — so eröffnet im ‚befreiten Prometheus‘ der Heros nach Lösung seiner Fesseln eine Menschenfabrik, in welcher Goldschuh der Reiche sich ein Mädchen bestellt, von Milch und feinstem Wachs, wie es die milesischen Bienen aus mannigfachen Blüthen sammeln, ein Mädchen ohne Knochen und Sehnen, ohne Haut und Haar, rein und fein, schlank, glatt, zart, allerliebst. Der Lebensathem dieser Dichtung ist die Polemik — nicht so sehr die politische der Partei, wie Lucilius und Catullus sie übten, sondern die allgemeine sittliche des strengen Alten gegen die zügellose und verkehrte Jugend, des guten Bürgers von altem Schlag gegen das neue Rom, in dem der Markt, mit Varro zu reden, ein Schweine- stall ist und Numa, wenn er auf seine Stadt den Blick wendet, keine Spur seiner weisen Ordnung mehr gewahrt. Varro that in

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 559. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/569>, abgerufen am 23.11.2024.