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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum Bibliothekar der
neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt; allein
die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal
in ihren Strudel hinein und erst siebzehn Jahre nach Caesars
Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief
der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen
gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, theils einfach prosaische
ernsteren Inhalts, theils launige Schilderungen, deren prosaisches
Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirkte. Jenes sind
die ,philosophisch-historischen Abhandlungen'(logistorici), dies
die menippischen Satiren. Beide schliessen nicht an lateinische
Vorbilder sich an, namentlich die varronische Satura keineswegs
an die lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht
eigentlich eine feste Kunstgattung ist, sondern diese Benennung
zunächst nur negativ bezeichnet, dass das, ,mannigfaltige Ge-
dicht' zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein
will und darum denn auch die Saturapoesie in jedem ihrer Aus-
über wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt.
Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie,
in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leich-
teren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen
in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am schwarzen
Meer (+ um 450), für die Satiren in den Schriften des Menippos
von Gadara in Syrien (blüht um 475). Die Wahl war bezeich-
nend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons phi-
losophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den
systematischen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die
poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er
war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger
als ein Philosoph. Menippos war es eben so wenig, sondern der
echteste litterarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren
Weisheit darin besteht die Philosophie zu leugnen und die Phi-
losophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein
lustiger Meister ernsthafter Weisheit bewies er in Exempeln und
Schnurren, dass ausser dem rechtschaffenen Leben alles auf Er-
den und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der
sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Meister für einen
Mann wie Varro, der voll altrömischen Unwillens über die er-
bärmliche Zeit und voll altrömischer Laune auch durchaus nicht
ohne plastisches Talent, aber für alles was nicht wie Bild und
Thatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, voll-
ständig vernagelt und vielleicht unter den unphilosophischen Rö-

LITTERATUR.
war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum Bibliothekar der
neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt; allein
die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal
in ihren Strudel hinein und erst siebzehn Jahre nach Caesars
Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief
der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen
gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, theils einfach prosaische
ernsteren Inhalts, theils launige Schilderungen, deren prosaisches
Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirkte. Jenes sind
die ‚philosophisch-historischen Abhandlungen‘(logistorici), dies
die menippischen Satiren. Beide schlieſsen nicht an lateinische
Vorbilder sich an, namentlich die varronische Satura keineswegs
an die lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht
eigentlich eine feste Kunstgattung ist, sondern diese Benennung
zunächst nur negativ bezeichnet, daſs das, ‚mannigfaltige Ge-
dicht‘ zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein
will und darum denn auch die Saturapoesie in jedem ihrer Aus-
über wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt.
Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie,
in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leich-
teren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen
in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am schwarzen
Meer († um 450), für die Satiren in den Schriften des Menippos
von Gadara in Syrien (blüht um 475). Die Wahl war bezeich-
nend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons phi-
losophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den
systematischen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die
poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er
war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger
als ein Philosoph. Menippos war es eben so wenig, sondern der
echteste litterarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren
Weisheit darin besteht die Philosophie zu leugnen und die Phi-
losophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein
lustiger Meister ernsthafter Weisheit bewies er in Exempeln und
Schnurren, daſs auſser dem rechtschaffenen Leben alles auf Er-
den und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der
sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Meister für einen
Mann wie Varro, der voll altrömischen Unwillens über die er-
bärmliche Zeit und voll altrömischer Laune auch durchaus nicht
ohne plastisches Talent, aber für alles was nicht wie Bild und
Thatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, voll-
ständig vernagelt und vielleicht unter den unphilosophischen Rö-

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[557/0567] LITTERATUR. war, ward Varro von seinem Ueberwinder zum Bibliothekar der neu zu schaffenden Bibliothek in der Hauptstadt bestimmt; allein die Wirren der folgenden Zeit rissen den alten Mann noch einmal in ihren Strudel hinein und erst siebzehn Jahre nach Caesars Tode, im neunundachtzigsten seines wohlausgefüllten Lebens rief der Tod ihn ab. Die ästhetischen Schriften, die ihm einen Namen gemacht haben, waren kürzere Aufsätze, theils einfach prosaische ernsteren Inhalts, theils launige Schilderungen, deren prosaisches Grundwerk vielfach eingelegte Poesien durchwirkte. Jenes sind die ‚philosophisch-historischen Abhandlungen‘(logistorici), dies die menippischen Satiren. Beide schlieſsen nicht an lateinische Vorbilder sich an, namentlich die varronische Satura keineswegs an die lucilische; wie denn überhaupt die römische Satura nicht eigentlich eine feste Kunstgattung ist, sondern diese Benennung zunächst nur negativ bezeichnet, daſs das, ‚mannigfaltige Ge- dicht‘ zu keiner der anerkannten Kunstgattungen gezählt sein will und darum denn auch die Saturapoesie in jedem ihrer Aus- über wieder einen andern und eigenartigen Charakter annimmt. Es war vielmehr die voralexandrinische griechische Philosophie, in der Varro die Muster für seine strengeren wie für seine leich- teren ästhetischen Arbeiten fand: für die ernsteren Abhandlungen in den Dialogen des Herakleides von Herakleia am schwarzen Meer († um 450), für die Satiren in den Schriften des Menippos von Gadara in Syrien (blüht um 475). Die Wahl war bezeich- nend. Herakleides, als Schriftsteller angeregt durch Platons phi- losophische Gespräche, hatte über deren glänzende Form den systematischen Inhalt gänzlich aus den Augen verloren und die poetisch-fabulistische Einkleidung zur Hauptsache gemacht; er war ein angenehmer und vielgelesener Autor, aber nichts weniger als ein Philosoph. Menippos war es eben so wenig, sondern der echteste litterarische Vertreter derjenigen Philosophie, deren Weisheit darin besteht die Philosophie zu leugnen und die Phi- losophen zu verhöhnen, der Hundeweisheit des Diogenes; ein lustiger Meister ernsthafter Weisheit bewies er in Exempeln und Schnurren, daſs auſser dem rechtschaffenen Leben alles auf Er- den und im Himmel eitel sei, nichts aber eitler als der Hader der sogenannten Weisen. Dies waren die rechten Meister für einen Mann wie Varro, der voll altrömischen Unwillens über die er- bärmliche Zeit und voll altrömischer Laune auch durchaus nicht ohne plastisches Talent, aber für alles was nicht wie Bild und Thatsache aussah, sondern wie Begriff oder gar wie System, voll- ständig vernagelt und vielleicht unter den unphilosophischen Rö-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/567>, abgerufen am 22.11.2024.