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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
lung dem Empedokles, ,dem herrlichsten Schatz des gabenrei-
chen sicilischen Eilands' und liest dem Stoffe nach ,die goldenen
Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros', ,welcher die
anderen Weisen überstrahlt wie die Sonne die Sterne verdunkelt'.
Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem
Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und
fordert nichts von seinem Leser als die Kenntniss der allgemein
geläufigen Traditionen.* Dem modernen Purismus zum Trotz,
der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius,
wie es Ennius gethan, statt matten und undeutlichen Lateins
lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Allit-
teration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzein-
schnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begeg-
nen noch häufig in Lucretius Rhythmen, und obwohl er den Vers
melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine
Hexameter nicht wie die elegischen zierlich hüpfend gleich dem
rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich
dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und prak-
tisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen
einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubens-
bekenntniss des Sängers von Rudiae:
Götter freilich wird es geben, Himmelsbewohner allerdings,
Doch sie kümmern keinesweges, scheint mir, sich um der Menschen
Loos --

bezeichnet vollständig auch Lucretius religiösen Standpunct und
nicht mit Unrecht nennt er desshalb selbst sein Lied gleichsam
die Fortsetzung dessen,
Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers
Kranz zuerst mitbracht' aus des Helikon lustigem Haine,
Dass Italiens Völkern er strahl' in glänzender Glorie.

Noch einmal, zum letzten Mal noch erklingt in Lucretius Ge-
dicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des
sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem
furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die An-
schauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen ge-
sunkenen Zeit.** Auch ihm klingt der eigene ,aus dem reichen

* Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea
(2, 417), sind daraus zu erklären, dass dies aus dem Reiseroman des Euhe-
meros seinen Weg in die ennianische Poesie gefunden hatte und daher dem
Publicum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
** Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die

LITTERATUR.
lung dem Empedokles, ‚dem herrlichsten Schatz des gabenrei-
chen sicilischen Eilands‘ und liest dem Stoffe nach ‚die goldenen
Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros‘, ‚welcher die
anderen Weisen überstrahlt wie die Sonne die Sterne verdunkelt‘.
Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem
Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und
fordert nichts von seinem Leser als die Kenntniſs der allgemein
geläufigen Traditionen.* Dem modernen Purismus zum Trotz,
der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius,
wie es Ennius gethan, statt matten und undeutlichen Lateins
lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Allit-
teration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzein-
schnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begeg-
nen noch häufig in Lucretius Rhythmen, und obwohl er den Vers
melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine
Hexameter nicht wie die elegischen zierlich hüpfend gleich dem
rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich
dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und prak-
tisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen
einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubens-
bekenntniſs des Sängers von Rudiae:
Götter freilich wird es geben, Himmelsbewohner allerdings,
Doch sie kümmern keinesweges, scheint mir, sich um der Menschen
Loos —

bezeichnet vollständig auch Lucretius religiösen Standpunct und
nicht mit Unrecht nennt er deſshalb selbst sein Lied gleichsam
die Fortsetzung dessen,
Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers
Kranz zuerst mitbracht' aus des Helikon lustigem Haine,
Daſs Italiens Völkern er strahl' in glänzender Glorie.

Noch einmal, zum letzten Mal noch erklingt in Lucretius Ge-
dicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des
sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem
furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die An-
schauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen ge-
sunkenen Zeit.** Auch ihm klingt der eigene ‚aus dem reichen

* Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea
(2, 417), sind daraus zu erklären, daſs dies aus dem Reiseroman des Euhe-
meros seinen Weg in die ennianische Poesie gefunden hatte und daher dem
Publicum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war.
** Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die
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[549/0559] LITTERATUR. lung dem Empedokles, ‚dem herrlichsten Schatz des gabenrei- chen sicilischen Eilands‘ und liest dem Stoffe nach ‚die goldenen Worte alle zusammen aus den Rollen des Epikuros‘, ‚welcher die anderen Weisen überstrahlt wie die Sonne die Sterne verdunkelt‘. Wie Ennius verschmäht auch Lucretius die der Poesie von dem Alexandrinismus aufgelastete mythologische Gelehrsamkeit und fordert nichts von seinem Leser als die Kenntniſs der allgemein geläufigen Traditionen. * Dem modernen Purismus zum Trotz, der die Fremdwörter aus der Poesie auswies, setzt Lucretius, wie es Ennius gethan, statt matten und undeutlichen Lateins lieber das bezeichnende griechische Wort. Die altrömische Allit- teration, das Nichtineinandergreifen der Vers- und Satzein- schnitte und überhaupt die ältere Rede- und Dichtweise begeg- nen noch häufig in Lucretius Rhythmen, und obwohl er den Vers melodischer behandelt als Ennius, so wälzen sich doch seine Hexameter nicht wie die elegischen zierlich hüpfend gleich dem rieselnden Bache, sondern mit gewaltiger Langsamkeit gleich dem Strome flüssigen Goldes. Auch philosophisch und prak- tisch lehnt Lucretius durchaus an Ennius sich an, den einzigen einheimischen Dichter, den sein Gedicht feiert; das Glaubens- bekenntniſs des Sängers von Rudiae: Götter freilich wird es geben, Himmelsbewohner allerdings, Doch sie kümmern keinesweges, scheint mir, sich um der Menschen Loos — bezeichnet vollständig auch Lucretius religiösen Standpunct und nicht mit Unrecht nennt er deſshalb selbst sein Lied gleichsam die Fortsetzung dessen, Das uns Ennius sang, der des unverwelklichen Lorbeers Kranz zuerst mitbracht' aus des Helikon lustigem Haine, Daſs Italiens Völkern er strahl' in glänzender Glorie. Noch einmal, zum letzten Mal noch erklingt in Lucretius Ge- dicht der ganze Dichterstolz und der ganze Dichterernst des sechsten Jahrhunderts, in welchem, in den Bildern von dem furchtbaren Poener und dem herrlichen Scipiaden, die An- schauung des Dichters heimischer ist als in seiner eigenen ge- sunkenen Zeit. ** Auch ihm klingt der eigene ‚aus dem reichen * Einzelne scheinbare Ausnahmen, wie das Weihrauchland Panchaea (2, 417), sind daraus zu erklären, daſs dies aus dem Reiseroman des Euhe- meros seinen Weg in die ennianische Poesie gefunden hatte und daher dem Publicum, für das Lucretius schrieb, wohlbekannt war. ** Naiv erscheint dies in den kriegerischen Schilderungen, in denen die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 549. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/559>, abgerufen am 25.11.2024.