Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.LITTERATUR. man spielte, wie es scheint ausschliesslich, die älteren Stücke --eben wie gleichzeitig in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klas- sische Schauspiel, vor allem die euripideische Tragödie in reich- ster Entfaltung scenischer Mittel die Bühne behauptete. In Rom gab man vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius und die Lustspiele des Plautus; wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komi- scher Kraft freilich weit geringeren Terenz verdrängt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heisst das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufste- hung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und John- son widerfuhr. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Thätigkeit des dirigirenden und execu- tirenden Personals als auch das Interesse des Publicums auf die scenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein ein- träglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schau- spielers Aesopus ward bereits erwähnt (S. 483); sein noch hö- her gefeierter Zeitgenosse Roscius (II, 422) schlug seine Jah- reseinnahme auf 600000 Sesterzen (43000 Thlr.) an* und die Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (14000 Thlr.). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Decorationen und Costüme: die Malerei der Coulissen fing an Kunstmalerei zu wer- den; gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten Maulthieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt um dem Publicum eine Musterkarte der von Pom- peius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleich- falls grössere und selbstständigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemü- ther der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie ward allmählich rascher und nöthigte den Schauspieler zu lebhafterer Action. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitue erkannte jedes Tonstück an der ersten Note und wusste die Lieder auswendig; jeder musikalische oder Reci- tationsfehler ward streng von dem Publicum gerügt. Lebhaft erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an * Vom Staat erhielt er für jeden Spieltag 1000 Denare (286 Thlr.) und ausserdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er für sich das Honorar zurück. 35 *
LITTERATUR. man spielte, wie es scheint ausschlieſslich, die älteren Stücke —eben wie gleichzeitig in Griechenland nicht die mehr als blassen Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klas- sische Schauspiel, vor allem die euripideische Tragödie in reich- ster Entfaltung scenischer Mittel die Bühne behauptete. In Rom gab man vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und Accius und die Lustspiele des Plautus; wenn der letztere in der vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komi- scher Kraft freilich weit geringeren Terenz verdrängt worden war, so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heiſst das Theater und die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufste- hung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und John- son widerfuhr. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr richtete sich sowohl die Thätigkeit des dirigirenden und execu- tirenden Personals als auch das Interesse des Publicums auf die scenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein ein- träglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schau- spielers Aesopus ward bereits erwähnt (S. 483); sein noch hö- her gefeierter Zeitgenosse Roscius (II, 422) schlug seine Jah- reseinnahme auf 600000 Sesterzen (43000 Thlr.) an* und die Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (14000 Thlr.). Daneben wandte man ungeheure Summen auf Decorationen und Costüme: die Malerei der Coulissen fing an Kunstmalerei zu wer- den; gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten Maulthieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward dazu benutzt um dem Publicum eine Musterkarte der von Pom- peius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleich- falls gröſsere und selbstständigere Bedeutung; wie der Wind die Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemü- ther der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie ward allmählich rascher und nöthigte den Schauspieler zu lebhafterer Action. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte sich; der Habitué erkannte jedes Tonstück an der ersten Note und wuſste die Lieder auswendig; jeder musikalische oder Reci- tationsfehler ward streng von dem Publicum gerügt. Lebhaft erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an * Vom Staat erhielt er für jeden Spieltag 1000 Denare (286 Thlr.) und auſserdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er für sich das Honorar zurück. 35 *
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LITTERATUR.
man spielte, wie es scheint ausschlieſslich, die älteren Stücke —
eben wie gleichzeitig in Griechenland nicht die mehr als blassen
Siebengestirne der alexandrinischen Dramatiker, sondern das klas-
sische Schauspiel, vor allem die euripideische Tragödie in reich-
ster Entfaltung scenischer Mittel die Bühne behauptete. In Rom
gab man vorzugsweise die Trauerspiele des Ennius, Pacuvius und
Accius und die Lustspiele des Plautus; wenn der letztere in der
vorigen Periode durch den geschmackvolleren, aber an komi-
scher Kraft freilich weit geringeren Terenz verdrängt worden war,
so wirkten jetzt Roscius und Varro, das heiſst das Theater und
die Philologie zusammen, um ihm eine ähnliche Wiederaufste-
hung zu bereiten, wie sie Shakespeare durch Garrick und John-
son widerfuhr. Je beschränkter das Repertoire war, desto mehr
richtete sich sowohl die Thätigkeit des dirigirenden und execu-
tirenden Personals als auch das Interesse des Publicums auf die
scenische Darstellung der Stücke. Kaum gab es in Rom ein ein-
träglicheres Gewerbe als das des Schauspielers und der Tänzerin
ersten Ranges. Das fürstliche Vermögen des tragischen Schau-
spielers Aesopus ward bereits erwähnt (S. 483); sein noch hö-
her gefeierter Zeitgenosse Roscius (II, 422) schlug seine Jah-
reseinnahme auf 600000 Sesterzen (43000 Thlr.) an * und die
Tänzerin Dionysia die ihrige auf 200000 Sesterzen (14000 Thlr.).
Daneben wandte man ungeheure Summen auf Decorationen und
Costüme: die Malerei der Coulissen fing an Kunstmalerei zu wer-
den; gelegentlich schritten Züge von sechshundert aufgeschirrten
Maulthieren über die Bühne und das troische Theaterheer ward
dazu benutzt um dem Publicum eine Musterkarte der von Pom-
peius in Asien besiegten Nationen vorzuführen. Die den Vortrag
der eingelegten Gesangstücke begleitende Musik erlangte gleich-
falls gröſsere und selbstständigere Bedeutung; wie der Wind die
Wellen, sagt Varro, so lenkt der kundige Flötenspieler die Gemü-
ther der Zuhörer mit jeder Abwandlung der Melodie. Sie ward
allmählich rascher und nöthigte den Schauspieler zu lebhafterer
Action. Die musikalische und Bühnenkennerschaft entwickelte
sich; der Habitué erkannte jedes Tonstück an der ersten Note
und wuſste die Lieder auswendig; jeder musikalische oder Reci-
tationsfehler ward streng von dem Publicum gerügt. Lebhaft
erinnert das römische Bühnenwesen der ciceronischen Zeit an
* Vom Staat erhielt er
für jeden Spieltag 1000 Denare (286 Thlr.)
und auſserdem die Besoldung für seine Truppe. In späteren Jahren wies er
für sich das Honorar zurück.
35 *
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