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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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LITTERATUR.
denen die Rede wohl längst gelegentlich zu Hülfe genommen
ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines
regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von
dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich fortwäh-
rend dadurch wesentlich unterschieden, dass der Tanz und die
von solchem Tanz unzertrennliche Lascivität hier fortfuhren eine
Hauptrolle zu spielen und dass der Mimus, als nicht eigentlich
auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede scenische
Idealisirung, wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, bei
Seite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen in
dem Mimus auch von Frauen dargestellt wurden. Dieser neue
Mimus, der zuerst um 672 auf die hauptstädtische Bühne ge-
kommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harleki-
nade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusam-
menfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und nament-
lich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet.*
Die Fabel war natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller
als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, der Bettler
plötzlich zum Krösus ward und so weiter, so rechtete man mit
dem Poeten nicht, der statt den Knoten zu lösen ihn zerhieb. Die
Sujets waren vorwiegend verliebter Art. meistens von der frech-
sten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und
Publicum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit
bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der poetische Reiz
beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des ge-
meinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen Bilder vor
denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten
und der süsse Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen grie-
chischen Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird sein
eigenes Conterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Hand-
werkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeid-
liche ,Walker', dann ,der Seiler', ,der
Färber', ,der Salzmann',

* Dass der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten
sei, bezeugt Cicero (ab die. 9, 16); damit stimmt überein, dass die Mimen
und Miminnen der späteren Art zuerst um die sullanische Zeit hervortre-
ten (ad Her. 1, 14, 24. 2, 13, 19. Plin. h. n. 7, 48, 158. Plutarch Sull.
2, 36). Uebrigens wird, wo weiter nichts darauf ankommt, die Bezeichnung
mimus überhaupt auf die Komödie angewandt; so war der bei der apollini-
schen Festfeier 542/3 aufgeführte mimus (Festus unter salca res est; vgl.
Cicero de orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als eine palliata. Zu dem Mi-
mus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen
Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hatte der römische
Mimus keine nähere Beziehung.
Röm. Gesch. III. 35

LITTERATUR.
denen die Rede wohl längst gelegentlich zu Hülfe genommen
ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines
regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von
dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich fortwäh-
rend dadurch wesentlich unterschieden, daſs der Tanz und die
von solchem Tanz unzertrennliche Lascivität hier fortfuhren eine
Hauptrolle zu spielen und daſs der Mimus, als nicht eigentlich
auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede scenische
Idealisirung, wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, bei
Seite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen in
dem Mimus auch von Frauen dargestellt wurden. Dieser neue
Mimus, der zuerst um 672 auf die hauptstädtische Bühne ge-
kommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harleki-
nade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusam-
menfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und nament-
lich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet.*
Die Fabel war natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller
als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, der Bettler
plötzlich zum Krösus ward und so weiter, so rechtete man mit
dem Poeten nicht, der statt den Knoten zu lösen ihn zerhieb. Die
Sujets waren vorwiegend verliebter Art. meistens von der frech-
sten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und
Publicum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit
bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der poetische Reiz
beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des ge-
meinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen Bilder vor
denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten
und der süſse Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen grie-
chischen Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird sein
eigenes Conterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Hand-
werkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeid-
liche ‚Walker‘, dann ‚der Seiler‘, ‚der
Färber‘, ‚der Salzmann‘,

* Daſs der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten
sei, bezeugt Cicero (ab die. 9, 16); damit stimmt überein, daſs die Mimen
und Miminnen der späteren Art zuerst um die sullanische Zeit hervortre-
ten (ad Her. 1, 14, 24. 2, 13, 19. Plin. h. n. 7, 48, 158. Plutarch Sull.
2, 36). Uebrigens wird, wo weiter nichts darauf ankommt, die Bezeichnung
mimus überhaupt auf die Komödie angewandt; so war der bei der apollini-
schen Festfeier 542/3 aufgeführte mimus (Festus unter salca res est; vgl.
Cicero de orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als eine palliata. Zu dem Mi-
mus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen
Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hatte der römische
Mimus keine nähere Beziehung.
Röm. Gesch. III. 35
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[545/0555] LITTERATUR. denen die Rede wohl längst gelegentlich zu Hülfe genommen ward, durch Einführung einer geordneteren Fabel und eines regelrechten Dialogs kleine Komödien zu machen, die jedoch von dem früheren Lustspiel und selbst von der Posse sich fortwäh- rend dadurch wesentlich unterschieden, daſs der Tanz und die von solchem Tanz unzertrennliche Lascivität hier fortfuhren eine Hauptrolle zu spielen und daſs der Mimus, als nicht eigentlich auf den Brettern, sondern im Parterre zu Hause, jede scenische Idealisirung, wie die Gesichtsmasken und die Theaterschuhe, bei Seite warf und, was besonders wichtig war, die Frauenrollen in dem Mimus auch von Frauen dargestellt wurden. Dieser neue Mimus, der zuerst um 672 auf die hauptstädtische Bühne ge- kommen zu sein scheint, verschlang bald die nationale Harleki- nade, mit der er ja in den wesentlichsten Beziehungen zusam- menfiel, und ward als das gewöhnliche Zwischen- und nament- lich Nachspiel neben den sonstigen Schauspielen verwendet. * Die Fabel war natürlich noch gleichgültiger, lockerer und toller als in der Harlekinade; wenn es nur bunt herging, der Bettler plötzlich zum Krösus ward und so weiter, so rechtete man mit dem Poeten nicht, der statt den Knoten zu lösen ihn zerhieb. Die Sujets waren vorwiegend verliebter Art. meistens von der frech- sten Sorte; gegen den Ehemann zum Beispiel nahmen Poet und Publicum ohne Ausnahme Partei und die poetische Gerechtigkeit bestand in der Verhöhnung der guten Sitte. Der poetische Reiz beruhte ganz wie bei der Atellane auf der Sittenmalerei des ge- meinen und gemeinsten Lebens, wobei die ländlichen Bilder vor denen des hauptstädtischen Lebens und Treibens zurücktreten und der süſse Pöbel von Rom, ganz wie in den gleichartigen grie- chischen Stücken der von Alexandreia, aufgefordert wird sein eigenes Conterfei zu beklatschen. Viele Stoffe sind dem Hand- werkerleben entnommen: es erscheinen der auch hier unvermeid- liche ‚Walker‘, dann ‚der Seiler‘, ‚der Färber‘, ‚der Salzmann‘, * Daſs der Mimus zu seiner Zeit an die Stelle der Atellane getreten sei, bezeugt Cicero (ab die. 9, 16); damit stimmt überein, daſs die Mimen und Miminnen der späteren Art zuerst um die sullanische Zeit hervortre- ten (ad Her. 1, 14, 24. 2, 13, 19. Plin. h. n. 7, 48, 158. Plutarch Sull. 2, 36). Uebrigens wird, wo weiter nichts darauf ankommt, die Bezeichnung mimus überhaupt auf die Komödie angewandt; so war der bei der apollini- schen Festfeier 542/3 aufgeführte mimus (Festus unter salca res est; vgl. Cicero de orat. 2, 59, 242) offenbar nichts als eine palliata. Zu dem Mi- mus der klassischen griechischen Zeit, prosaischen Dialogen, in denen Genrebilder, namentlich ländliche, dargestellt wurden, hatte der römische Mimus keine nähere Beziehung. Röm. Gesch. III. 35

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 545. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/555>, abgerufen am 22.11.2024.