KAPITEL XII. Religion, Bildung, Litteratur und Kunst.
In der religiös-philosophischen Entwickelung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede Regierung, mochte sie Oligar- chie, Demokratie oder Monarchie sein, nicht bloss ein bequemes Instrument, sondern desshalb geradezu unentbehrlich, weil es eben so unmöglich war den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu construiren als irgend eine neue zur Ersetzung der alten ge- eignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revo- lutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinneweben der auguralen Vogelweisheit hinein (S. 281); aber die morsche in allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erd- beben, das die Republik selber verschlang und rettete ihre Geist- losigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Mo- narchie. Es versteht sich, dass sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urtheil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Con- venienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich um sie mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Ge- lehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publicum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie verfehlt zu erwecken. Dass der Stoa selbst von ihrer eigenen Nich- tigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch auf
KAPITEL XII. Religion, Bildung, Litteratur und Kunst.
In der religiös-philosophischen Entwickelung tritt in dieser Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische Staatsphilosophie waren für jede Regierung, mochte sie Oligar- chie, Demokratie oder Monarchie sein, nicht bloſs ein bequemes Instrument, sondern deſshalb geradezu unentbehrlich, weil es eben so unmöglich war den Staat ganz ohne religiöse Elemente zu construiren als irgend eine neue zur Ersetzung der alten ge- eignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revo- lutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinneweben der auguralen Vogelweisheit hinein (S. 281); aber die morsche in allen Fugen krachende Maschine überdauerte dennoch das Erd- beben, das die Republik selber verschlang und rettete ihre Geist- losigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Mo- narchie. Es versteht sich, daſs sie zunahm an Ungnade bei allen denen, die ein freies Urtheil sich bewahrten. Zwar gegen die Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Con- venienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich um sie mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Ge- lehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte sich in dem unbefangenen Publicum jene Feindseligkeit, die die leere und doch auch perfide Phrasenheuchelei auf die Länge nie verfehlt zu erwecken. Daſs der Stoa selbst von ihrer eigenen Nich- tigkeit eine Ahnung aufzugehen begann, beweist ihr Versuch auf
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KAPITEL XII.
Religion, Bildung, Litteratur und Kunst.
In der religiös-philosophischen Entwickelung tritt in dieser
Epoche kein neues Moment hervor. Die römisch-hellenische
Staatsreligion und die damit untrennbar verbundene stoische
Staatsphilosophie waren für jede Regierung, mochte sie Oligar-
chie, Demokratie oder Monarchie sein, nicht bloſs ein bequemes
Instrument, sondern deſshalb geradezu unentbehrlich, weil es
eben so unmöglich war den Staat ganz ohne religiöse Elemente
zu construiren als irgend eine neue zur Ersetzung der alten ge-
eignete Staatsreligion aufzufinden. So fuhr denn zwar der revo-
lutionäre Besen gelegentlich sehr unsanft in die Spinneweben der
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beben, das die Republik selber verschlang und rettete ihre Geist-
losigkeit und ihre Hoffart ungeschmälert hinüber in die neue Mo-
narchie. Es versteht sich, daſs sie zunahm an Ungnade bei allen
denen, die ein freies Urtheil sich bewahrten. Zwar gegen die
Staatsreligion verhielt die öffentliche Meinung sich wesentlich
gleichgültig; sie war allerseits als eine Institution politischer Con-
venienz anerkannt und es bekümmerte sich niemand sonderlich
um sie mit Ausnahme der politischen und antiquarischen Ge-
lehrten. Aber gegen ihre philosophische Schwester entwickelte
sich in dem unbefangenen Publicum jene Feindseligkeit, die die
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. [526]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/536>, abgerufen am 24.11.2024.
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