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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
darin keine Spur vorkommt, theils die möglichste Beschränkung
des Centralisirens und die möglichst freie Bewegung der Gemein-
den, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenn
gleich beschränkte Civil- und Criminalgerichtsbarkeit verblieb.
Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Be-
schränkung des Associationsrechts (S. 477), griffen freilich auch
hier Platz. -- Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar ver-
suchte die italische Volkswirthschaft zu reformiren. Es ist leicht
sowohl ihre Unzulänglichkeit darzuthun, indem auch sie noch eine
Menge von Uebelständen bestehen liessen, als auch nachzuweisen,
dass sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit
zum Theil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter
nachzuweisen, dass die Schäden der italischen Volkswirthschaft
überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotz dem wird der prak-
tische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war
schon etwas, dass da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhülfe verzwei-
felnd, mit einer bloss formalen Reorganisation sich begnügt hatte,
das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefasst und hier mit ihm
gerungen ward; und wir dürfen wohl urtheilen, dass Caesar mit
seinen Reformen dem Masse des Möglichen so nahe kam, als zu
kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die
Verjüngung Italiens hat auch er nicht auf diesem Wege gesucht,
sondern auf einem sehr verschiedenen, den zu entwickeln es nö-
thig wird zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vor-
fand, ins Auge zu fassen.

In den Provinzen war zunächst der oligarchischen Misswirth-
schaft ein Ende zu machen. Sie war auf einem Puncte angekom-
men, wie ihn wenigstens im Occident, trotz mancher achtbarer
Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals er-
reicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung
nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung
hiefür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen
das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern
den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer
Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, dass jeder angeschul-
digte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verant-
wortung sich zu stellen verpflichtet war; dass der römische Statt-
halter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der ab-
hängigen Gemeinden eingriff, Bluturtheile fällte und Verhandlungen
des Gemeinderaths cassirte; dass er im Kriegsfall mit den Milizen
nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie z. B.
Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
darin keine Spur vorkommt, theils die möglichste Beschränkung
des Centralisirens und die möglichst freie Bewegung der Gemein-
den, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenn
gleich beschränkte Civil- und Criminalgerichtsbarkeit verblieb.
Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Be-
schränkung des Associationsrechts (S. 477), griffen freilich auch
hier Platz. — Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar ver-
suchte die italische Volkswirthschaft zu reformiren. Es ist leicht
sowohl ihre Unzulänglichkeit darzuthun, indem auch sie noch eine
Menge von Uebelständen bestehen lieſsen, als auch nachzuweisen,
daſs sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit
zum Theil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter
nachzuweisen, daſs die Schäden der italischen Volkswirthschaft
überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotz dem wird der prak-
tische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war
schon etwas, daſs da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhülfe verzwei-
felnd, mit einer bloſs formalen Reorganisation sich begnügt hatte,
das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefaſst und hier mit ihm
gerungen ward; und wir dürfen wohl urtheilen, daſs Caesar mit
seinen Reformen dem Maſse des Möglichen so nahe kam, als zu
kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die
Verjüngung Italiens hat auch er nicht auf diesem Wege gesucht,
sondern auf einem sehr verschiedenen, den zu entwickeln es nö-
thig wird zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vor-
fand, ins Auge zu fassen.

In den Provinzen war zunächst der oligarchischen Miſswirth-
schaft ein Ende zu machen. Sie war auf einem Puncte angekom-
men, wie ihn wenigstens im Occident, trotz mancher achtbarer
Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals er-
reicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung
nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung
hiefür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen
das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern
den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer
Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daſs jeder angeschul-
digte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verant-
wortung sich zu stellen verpflichtet war; daſs der römische Statt-
halter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der ab-
hängigen Gemeinden eingriff, Bluturtheile fällte und Verhandlungen
des Gemeinderaths cassirte; daſs er im Kriegsfall mit den Milizen
nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie z. B.
Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle

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[498/0508] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. darin keine Spur vorkommt, theils die möglichste Beschränkung des Centralisirens und die möglichst freie Bewegung der Gemein- den, denen auch jetzt noch die Wahl der Beamten und eine wenn gleich beschränkte Civil- und Criminalgerichtsbarkeit verblieb. Die allgemeinen polizeilichen Bestimmungen, zum Beispiel die Be- schränkung des Associationsrechts (S. 477), griffen freilich auch hier Platz. — Dies sind die Ordnungen, durch die Caesar ver- suchte die italische Volkswirthschaft zu reformiren. Es ist leicht sowohl ihre Unzulänglichkeit darzuthun, indem auch sie noch eine Menge von Uebelständen bestehen lieſsen, als auch nachzuweisen, daſs sie vielfach schädlich wirkten, indem sie die Verkehrsfreiheit zum Theil sehr empfindlich beschränkten. Es ist noch leichter nachzuweisen, daſs die Schäden der italischen Volkswirthschaft überhaupt unheilbarer Art waren. Aber trotz dem wird der prak- tische Staatsmann das Werk wie den Meister bewundern. Es war schon etwas, daſs da, wo ein Mann wie Sulla, an Abhülfe verzwei- felnd, mit einer bloſs formalen Reorganisation sich begnügt hatte, das Uebel an seinem eigentlichen Sitze angefaſst und hier mit ihm gerungen ward; und wir dürfen wohl urtheilen, daſs Caesar mit seinen Reformen dem Maſse des Möglichen so nahe kam, als zu kommen dem Staatsmann und dem Römer gegeben war. Die Verjüngung Italiens hat auch er nicht auf diesem Wege gesucht, sondern auf einem sehr verschiedenen, den zu entwickeln es nö- thig wird zunächst die Lage der Provinzen, wie Caesar sie vor- fand, ins Auge zu fassen. In den Provinzen war zunächst der oligarchischen Miſswirth- schaft ein Ende zu machen. Sie war auf einem Puncte angekom- men, wie ihn wenigstens im Occident, trotz mancher achtbarer Leistungen in diesem Fach, keine zweite Regierung jemals er- reicht hat und wo nach unserer Fassungskraft eine Steigerung nicht mehr möglich scheint. Allerdings traf die Verantwortung hiefür die Römer nicht allein. Fast überall hatte bereits vor ihnen das griechische, phönikische oder asiatische Regiment den Völkern den höheren Sinn und das Rechts- und Freiheitsgefühl besserer Zeiten ausgetrieben. Es war wohl arg, daſs jeder angeschul- digte Provinziale auf Verlangen in Rom persönlich zur Verant- wortung sich zu stellen verpflichtet war; daſs der römische Statt- halter beliebig in die Rechtspflege und in die Verwaltung der ab- hängigen Gemeinden eingriff, Bluturtheile fällte und Verhandlungen des Gemeinderaths cassirte; daſs er im Kriegsfall mit den Milizen nach Gutdünken und oft in schandbarer Weise schaltete, wie z. B. Cotta bei der Belagerung des pontischen Herakleia der Miliz alle

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/508>, abgerufen am 18.05.2024.