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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Phar-
salos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entschei-
den hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und
das Eigenthum vielleicht mehr zuliess als bewirkte, so ist es sicher
sein Verdienst, dass jenes ungeheuerliche Begehren der Cassation
sämmtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward; und es
darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, dass
die Schuldner über das ihnen gemachte nach ihrer Ansicht höchst
ungenügende Zugeständniss noch weit ungehaltener waren als
die verkürzten Gläubiger, und unter Caelius und Dolabella den
thörichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Ver-
such machten das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch
Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen. -- Aber Caesar be-
schränkte sich nicht darauf dem Schuldner für den Augenblick
zu helfen, sondern er that, was er als Gesetzgeber thun konnte
um die fürchterliche Allmacht des Capitals auf die Dauer zu beu-
gen. Vor allen Dingen proclamirte er den grossen Rechtssatz,
dass die Freiheit nicht ein dem Eigenthum commensurables Gut
ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem
Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat.
Es ist Caesar, der dieses den Satzungen des älteren Concurs-
rechts schnurstracks widersprechende Prinzip zuerst eingeführt
hat in das Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet.
Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner
Knecht seines Gläubigers (I, 105); das poetelische Gesetz hatte
dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung
augenblicklich zahlungsunfähigen Schuldner verstattet durch Ab-
tretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten (I, 195); je-
doch für den wirklich Ueberschuldeten war jener Rechtssatz wohl
in Nebenpuncten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein hal-
bes Jahrtausend unverändert festgehalten worden. Ein zunächst
auf das Vermögen gerichteter Concurs war immer noch Ausnahme
und kam nur dann vor, wenn der Schuldner todt oder seines Bür-
gerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Nun
aber gestattete Caesar dem überschuldeten Manne das Recht, wo-
rauf noch unsere heutigen Concursordnungen beruhen: durch
förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer
Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Frei-
heit, wenn gleich mit geschmälerten Ehren- und politischen Rech-
ten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in
der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden nicht gedeck-
ten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Phar-
salos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entschei-
den hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und
das Eigenthum vielleicht mehr zulieſs als bewirkte, so ist es sicher
sein Verdienst, daſs jenes ungeheuerliche Begehren der Cassation
sämmtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward; und es
darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daſs
die Schuldner über das ihnen gemachte nach ihrer Ansicht höchst
ungenügende Zugeständniſs noch weit ungehaltener waren als
die verkürzten Gläubiger, und unter Caelius und Dolabella den
thörichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Ver-
such machten das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch
Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen. — Aber Caesar be-
schränkte sich nicht darauf dem Schuldner für den Augenblick
zu helfen, sondern er that, was er als Gesetzgeber thun konnte
um die fürchterliche Allmacht des Capitals auf die Dauer zu beu-
gen. Vor allen Dingen proclamirte er den groſsen Rechtssatz,
daſs die Freiheit nicht ein dem Eigenthum commensurables Gut
ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem
Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat.
Es ist Caesar, der dieses den Satzungen des älteren Concurs-
rechts schnurstracks widersprechende Prinzip zuerst eingeführt
hat in das Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet.
Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner
Knecht seines Gläubigers (I, 105); das poetelische Gesetz hatte
dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung
augenblicklich zahlungsunfähigen Schuldner verstattet durch Ab-
tretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten (I, 195); je-
doch für den wirklich Ueberschuldeten war jener Rechtssatz wohl
in Nebenpuncten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein hal-
bes Jahrtausend unverändert festgehalten worden. Ein zunächst
auf das Vermögen gerichteter Concurs war immer noch Ausnahme
und kam nur dann vor, wenn der Schuldner todt oder seines Bür-
gerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Nun
aber gestattete Caesar dem überschuldeten Manne das Recht, wo-
rauf noch unsere heutigen Concursordnungen beruhen: durch
förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer
Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Frei-
heit, wenn gleich mit geschmälerten Ehren- und politischen Rech-
ten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in
der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden nicht gedeck-
ten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie

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[494/0504] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. als er über diese Frage nicht als der allmächtige Sieger von Phar- salos, sondern schon vor seinem Abgang nach Epirus zu entschei- den hatte. Wenn er aber diesen Bruch in die Rechtsordnung und das Eigenthum vielleicht mehr zulieſs als bewirkte, so ist es sicher sein Verdienst, daſs jenes ungeheuerliche Begehren der Cassation sämmtlicher Darlehnsforderungen zurückgewiesen ward; und es darf wohl als eine Ehrenrettung für ihn angesehen werden, daſs die Schuldner über das ihnen gemachte nach ihrer Ansicht höchst ungenügende Zugeständniſs noch weit ungehaltener waren als die verkürzten Gläubiger, und unter Caelius und Dolabella den thörichten und, wie bereits früher erzählt, rasch vereitelten Ver- such machten das, was Caesar ihnen verweigert hatte, durch Krawall und Bürgerkrieg zu erzwingen. — Aber Caesar be- schränkte sich nicht darauf dem Schuldner für den Augenblick zu helfen, sondern er that, was er als Gesetzgeber thun konnte um die fürchterliche Allmacht des Capitals auf die Dauer zu beu- gen. Vor allen Dingen proclamirte er den groſsen Rechtssatz, daſs die Freiheit nicht ein dem Eigenthum commensurables Gut ist, sondern ein ewiges Menschenrecht, das der Staat nur dem Schuldigen, nicht dem Schuldner abzuerkennen das Recht hat. Es ist Caesar, der dieses den Satzungen des älteren Concurs- rechts schnurstracks widersprechende Prinzip zuerst eingeführt hat in das Recht, wo es seit ihm unangefochten sich behauptet. Nach römischem Landrecht ward der zahlungsunfähige Schuldner Knecht seines Gläubigers (I, 105); das poetelische Gesetz hatte dem nur durch Verlegenheiten, nicht durch wahre Ueberschuldung augenblicklich zahlungsunfähigen Schuldner verstattet durch Ab- tretung seiner Habe die persönliche Freiheit zu retten (I, 195); je- doch für den wirklich Ueberschuldeten war jener Rechtssatz wohl in Nebenpuncten gemildert, aber in der Hauptsache durch ein hal- bes Jahrtausend unverändert festgehalten worden. Ein zunächst auf das Vermögen gerichteter Concurs war immer noch Ausnahme und kam nur dann vor, wenn der Schuldner todt oder seines Bür- gerrechts verlustig gegangen oder nicht aufzufinden war. Nun aber gestattete Caesar dem überschuldeten Manne das Recht, wo- rauf noch unsere heutigen Concursordnungen beruhen: durch förmliche Abtretung der Habe an die Gläubiger, mochte sie zu ihrer Befriedigung ausreichen oder nicht, allemal seine persönliche Frei- heit, wenn gleich mit geschmälerten Ehren- und politischen Rech- ten, zu erretten und eine neue Vermögensexistenz zu beginnen, in der er wegen der aus der älteren Zeit herrührenden nicht gedeck- ten Forderungen nur dann eingeklagt werden durfte, wenn er sie

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 494. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/504>, abgerufen am 21.05.2024.