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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
in Criminal- und Civilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen
an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung
der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworne rechtlich
gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch
Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Ent-
scheidung an sich zu ziehen und sie im Fall seiner Anwesenheit
selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu er-
ledigen. In der That finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten
Könige, theils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht
sitzen über des Hochverraths angeklagte römische Bürger, theils in
seinem Hause ihn Gericht halten über die des gleichen Vergehens
verdächtigen Clientelfürsten; so dass das Vorrecht, das die römi-
schen Bürger vor den übrigen Unterthanen des Königs voraus
hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung be-
standen zu haben scheint. Indess diese wiedererweckte königliche
Rechtspflege konnte der Natur der Sache nach thatsächlich nur
in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, wenn gleich Caesar
seiner wichtigen oberrichterlichen Thätigkeit mit Unparteilichkeit
und Sorgfalt sich unterzog. Für den gewöhnlichen Rechtsgang
blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege für Cri-
minal- und Civilsachen im Wesentlichen unverändert bestehen.
Die Criminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den
verschiedenen Geschwornencommissionen für die einzelnen Ver-
brechen, die Civilsachen theils vor dem Erbschafts- oder dem
sogenannten ,Hundertmännergericht', theils vor den Einzelge-
schwornen; die Leitung der Gerichte ward wie bisher in der
Hauptstadt wesentlich von den einzelnen Prätoren, in den Pro-
vinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Ver-
brechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschwornen-
commission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe
erliess, specificirte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau
und in liberaler jede Gesinnungsverfolgung ausschliessender Weise
und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung.
Nur hinsichtlich der Auswahl der Geschwornen, die die Senato-
renpartei ausschliesslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner
ausschliesslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, liess
er es, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, bei
dem Transactionsgesetze Cottas (S. 92), jedoch mit der wahr-
scheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom J. 699
(S. 301) vorbereiteten Modification, dass die aus den unteren
Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt
wurden und Senatoren und Ritter in die Geschwornenfunctionen,

FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI.
in Criminal- und Civilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen
an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung
der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworne rechtlich
gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch
Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Ent-
scheidung an sich zu ziehen und sie im Fall seiner Anwesenheit
selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu er-
ledigen. In der That finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten
Könige, theils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht
sitzen über des Hochverraths angeklagte römische Bürger, theils in
seinem Hause ihn Gericht halten über die des gleichen Vergehens
verdächtigen Clientelfürsten; so daſs das Vorrecht, das die römi-
schen Bürger vor den übrigen Unterthanen des Königs voraus
hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung be-
standen zu haben scheint. Indeſs diese wiedererweckte königliche
Rechtspflege konnte der Natur der Sache nach thatsächlich nur
in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, wenn gleich Caesar
seiner wichtigen oberrichterlichen Thätigkeit mit Unparteilichkeit
und Sorgfalt sich unterzog. Für den gewöhnlichen Rechtsgang
blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege für Cri-
minal- und Civilsachen im Wesentlichen unverändert bestehen.
Die Criminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den
verschiedenen Geschwornencommissionen für die einzelnen Ver-
brechen, die Civilsachen theils vor dem Erbschafts- oder dem
sogenannten ‚Hundertmännergericht‘, theils vor den Einzelge-
schwornen; die Leitung der Gerichte ward wie bisher in der
Hauptstadt wesentlich von den einzelnen Prätoren, in den Pro-
vinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Ver-
brechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschwornen-
commission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe
erlieſs, specificirte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau
und in liberaler jede Gesinnungsverfolgung ausschlieſsender Weise
und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung.
Nur hinsichtlich der Auswahl der Geschwornen, die die Senato-
renpartei ausschlieſslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner
ausschlieſslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, lieſs
er es, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, bei
dem Transactionsgesetze Cottas (S. 92), jedoch mit der wahr-
scheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom J. 699
(S. 301) vorbereiteten Modification, daſs die aus den unteren
Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt
wurden und Senatoren und Ritter in die Geschwornenfunctionen,

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[458/0468] FÜNFTES BUCH. KAPITEL XI. in Criminal- und Civilsachen Richter gewesen war, ohne in jenen an die Gnadeninstanz des Volkes, in diesen an die Ueberweisung der Entscheidung der streitigen Frage an Geschworne rechtlich gebunden zu sein: so nahm auch Caesar das Recht in Anspruch Blutgerichte wie Privatprozesse zu alleiniger und endgültiger Ent- scheidung an sich zu ziehen und sie im Fall seiner Anwesenheit selbst, im Fall seiner Abwesenheit durch den Stadtverweser zu er- ledigen. In der That finden wir ihn, ganz nach der Weise der alten Könige, theils öffentlich auf dem Markte der Hauptstadt zu Gericht sitzen über des Hochverraths angeklagte römische Bürger, theils in seinem Hause ihn Gericht halten über die des gleichen Vergehens verdächtigen Clientelfürsten; so daſs das Vorrecht, das die römi- schen Bürger vor den übrigen Unterthanen des Königs voraus hatten, allein in der Oeffentlichkeit der Gerichtsverhandlung be- standen zu haben scheint. Indeſs diese wiedererweckte königliche Rechtspflege konnte der Natur der Sache nach thatsächlich nur in Ausnahmefällen zur Anwendung kommen, wenn gleich Caesar seiner wichtigen oberrichterlichen Thätigkeit mit Unparteilichkeit und Sorgfalt sich unterzog. Für den gewöhnlichen Rechtsgang blieb daneben die bisherige republikanische Rechtspflege für Cri- minal- und Civilsachen im Wesentlichen unverändert bestehen. Die Criminalsachen fanden nach wie vor ihre Erledigung vor den verschiedenen Geschwornencommissionen für die einzelnen Ver- brechen, die Civilsachen theils vor dem Erbschafts- oder dem sogenannten ‚Hundertmännergericht‘, theils vor den Einzelge- schwornen; die Leitung der Gerichte ward wie bisher in der Hauptstadt wesentlich von den einzelnen Prätoren, in den Pro- vinzen von den Statthaltern beschafft. Auch die politischen Ver- brechen blieben selbst unter der Monarchie einer Geschwornen- commission überwiesen; die neue Ordnung, die Caesar für dieselbe erlieſs, specificirte die gesetzlich strafbaren Handlungen genau und in liberaler jede Gesinnungsverfolgung ausschlieſsender Weise und setzte als Strafe nicht den Tod fest, sondern die Verbannung. Nur hinsichtlich der Auswahl der Geschwornen, die die Senato- renpartei ausschlieſslich aus dem Senat, die strengen Gracchaner ausschlieſslich aus dem Ritterstand erkoren wissen wollten, lieſs er es, getreu dem Grundsatz der Versöhnung der Parteien, bei dem Transactionsgesetze Cottas (S. 92), jedoch mit der wahr- scheinlich schon durch das Gesetz des Pompeius vom J. 699 (S. 301) vorbereiteten Modification, daſs die aus den unteren Schichten des Volkes hervorgegangenen Aerartribunen beseitigt wurden und Senatoren und Ritter in die Geschwornenfunctionen,

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/468>, abgerufen am 18.05.2024.