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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nen Frist daran sich politisch und militärisch zu consolidiren.
Der grosse Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien.
Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundi-
sinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem
Westen: Marcus Cato aus Sicilien, Lucius Domitius von Massalia,
namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und
Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherren
Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den
Aristokraten allmählich nicht bloss Ehren-, sondern fast Mode-
sache und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nach-
richten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den
laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen
nach und nach nicht wenige an und selbst Marcus Cicero über-
zeugte sich endlich, dass er seine Bürgerpflicht nicht ausreichend
damit erfülle, eine Abhandlung über die Eintracht zu schreiben.
Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das officielle Rom sei-
nen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglie-der,
darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämmtliche Con-
sulare. Aber freilich waren es Emigranten und deren Treiben
hier nicht besser als anderswo. Auch die vornehme Welt Roms
stellte in diesem römischen Koblenz ihre hohen Ansprüche und
dürftigen Leistungen, ihre unzeitigen Reminiscenzen und un-
zeitigeren Recriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und
finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es
war das Wenigste, dass man, während der alte Bau zusammen-
sank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel
und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es
bloss lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensscru-
pel machte ausserhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre
Rathversammlung Senat zu heissen und sie vorsichtig sich die
,Dreihundert' titulirten;* oder wenn man weitläuftige staatsrecht-
liche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Curiatgesetz von
Rechtswegen sich anderswo als auf dem Capitol zu Stande brin-

* Da nach formellem Recht die ,gesetzliche Rathversammlung' unzwei-
felhaft ebenso wie das ,gesetzliche Gericht' nur in der Stadt selbst oder
innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte der Senat von Thes-
salonike sich die ,Dreihundert' (bell. Afric. 88. 90; Appian 2, 95), nicht
weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normal-
zahl der Senatoren war (I, 58). Es ist sehr glaublich, dass diese Ver-
sammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch
(Cato 59. 61) die Dreihundert zu italischen Grosshändlern macht, so hat
er seine Quelle (b. Afr. 90) missverstanden.

FÜNFTES BUCH. KAPITEL X.
nen Frist daran sich politisch und militärisch zu consolidiren.
Der groſse Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien.
Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundi-
sinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem
Westen: Marcus Cato aus Sicilien, Lucius Domitius von Massalia,
namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und
Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherren
Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den
Aristokraten allmählich nicht bloſs Ehren-, sondern fast Mode-
sache und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nach-
richten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den
laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen
nach und nach nicht wenige an und selbst Marcus Cicero über-
zeugte sich endlich, daſs er seine Bürgerpflicht nicht ausreichend
damit erfülle, eine Abhandlung über die Eintracht zu schreiben.
Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das officielle Rom sei-
nen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglie-der,
darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämmtliche Con-
sulare. Aber freilich waren es Emigranten und deren Treiben
hier nicht besser als anderswo. Auch die vornehme Welt Roms
stellte in diesem römischen Koblenz ihre hohen Ansprüche und
dürftigen Leistungen, ihre unzeitigen Reminiscenzen und un-
zeitigeren Recriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und
finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es
war das Wenigste, daſs man, während der alte Bau zusammen-
sank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel
und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es
bloſs lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensscru-
pel machte auſserhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre
Rathversammlung Senat zu heiſsen und sie vorsichtig sich die
‚Dreihundert‘ titulirten;* oder wenn man weitläuftige staatsrecht-
liche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Curiatgesetz von
Rechtswegen sich anderswo als auf dem Capitol zu Stande brin-

* Da nach formellem Recht die ‚gesetzliche Rathversammlung‘ unzwei-
felhaft ebenso wie das ‚gesetzliche Gericht‘ nur in der Stadt selbst oder
innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte der Senat von Thes-
salonike sich die ‚Dreihundert‘ (bell. Afric. 88. 90; Appian 2, 95), nicht
weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normal-
zahl der Senatoren war (I, 58). Es ist sehr glaublich, daſs diese Ver-
sammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch
(Cato 59. 61) die Dreihundert zu italischen Groſshändlern macht, so hat
er seine Quelle (b. Afr. 90) miſsverstanden.
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[376/0386] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. nen Frist daran sich politisch und militärisch zu consolidiren. Der groſse Sammelplatz der Gegner Caesars ward Makedonien. Dorthin begab sich Pompeius selbst und die Masse der brundi- sinischen Emigranten; dorthin die übrigen Flüchtlinge aus dem Westen: Marcus Cato aus Sicilien, Lucius Domitius von Massalia, namentlich aber aus Spanien eine Menge der besten Offiziere und Soldaten der aufgelösten Armee, an der Spitze ihre Feldherren Afranius und Varro. In Italien ward die Emigration unter den Aristokraten allmählich nicht bloſs Ehren-, sondern fast Mode- sache und neuen Schwung erhielt sie durch die ungünstigen Nach- richten, die über Caesars Lage vor Ilerda eintrafen; auch von den laueren Parteigenossen und den politischen Achselträgern kamen nach und nach nicht wenige an und selbst Marcus Cicero über- zeugte sich endlich, daſs er seine Bürgerpflicht nicht ausreichend damit erfülle, eine Abhandlung über die Eintracht zu schreiben. Der Emigrantensenat in Thessalonike, wo das officielle Rom sei- nen interimistischen Sitz aufschlug, zählte gegen 200 Mitglie-der, darunter manche hochbejahrte Greise und fast sämmtliche Con- sulare. Aber freilich waren es Emigranten und deren Treiben hier nicht besser als anderswo. Auch die vornehme Welt Roms stellte in diesem römischen Koblenz ihre hohen Ansprüche und dürftigen Leistungen, ihre unzeitigen Reminiscenzen und un- zeitigeren Recriminationen, ihre politischen Verkehrtheiten und finanziellen Verlegenheiten in kläglicher Weise zur Schau. Es war das Wenigste, daſs man, während der alte Bau zusammen- sank, mit der peinlichsten Wichtigkeit jeden alten Schnörkel und Rostfleck der Verfassung in Obacht nahm: am Ende war es bloſs lächerlich, wenn es den vornehmen Herren Gewissensscru- pel machte auſserhalb des geheiligten städtischen Bodens ihre Rathversammlung Senat zu heiſsen und sie vorsichtig sich die ‚Dreihundert‘ titulirten; * oder wenn man weitläuftige staatsrecht- liche Untersuchungen anstellte, ob und wie ein Curiatgesetz von Rechtswegen sich anderswo als auf dem Capitol zu Stande brin- * Da nach formellem Recht die ‚gesetzliche Rathversammlung‘ unzwei- felhaft ebenso wie das ‚gesetzliche Gericht‘ nur in der Stadt selbst oder innerhalb der Bannmeile stattfinden konnte, so nannte der Senat von Thes- salonike sich die ‚Dreihundert‘ (bell. Afric. 88. 90; Appian 2, 95), nicht weil er aus 300 Mitgliedern bestand, sondern weil dies die uralte Normal- zahl der Senatoren war (I, 58). Es ist sehr glaublich, daſs diese Ver- sammlung sich durch angesehene Ritter verstärkte; aber wenn Plutarch (Cato 59. 61) die Dreihundert zu italischen Groſshändlern macht, so hat er seine Quelle (b. Afr. 90) miſsverstanden.

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 376. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/386>, abgerufen am 22.05.2024.