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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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schlagen werden müssen. Als nun mit der Schneeschmelze die
Hochwasser kamen, wurden diese Nothbrücken weggerissen und
der Sicoris wie die Cinca so hoch angeschwellt, dass für die
nächste Zeit sie nicht anders als auf Schiffen passirt werden konn-
ten. Da es an diesen fehlte und auch die Wiederherstellung der
Brücken nicht erfolgen konnte ohne das andere Ufer zu gewinnen,
so war die römische Armee beschränkt auf den schmalen Raum
zwischen der Cinca und dem Sicoris; das linke Ufer des Sicoris
und damit die Strasse, auf der die Armee mit Gallien und Italien
communicirte, war fast unvertheidigt den Pompeianern preisge-
geben, die den Fluss theils auf der Stadtbrücke, theils nach lusi-
tanischer Art auf Schläuchen schwimmend zu passiren vermoch-
ten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast
aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge
Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager
herrschte förmliche Hungersnoth -- der preussische Scheffel Wei-
zen kostete 300 Denare (84 Thlr.) -- und brachen bedenkliche
Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die
mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nach-
schub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere
und Soldaten, heimkehrende Streifschaaren, im Ganzen eine Masse
von 6000 Köpfen, die die Pompeianer mit überlegener Macht an-
griffen und mit grossem Verlust in die Berge drängten, während
die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht unthätig
zusehen mussten. Die Verbindungen der Armee waren in den
Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten von
Caesars Armee plötzlich aus und die bedenklichen Gerüchte, die
dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzu-
weit entfernt. Indess die Schlaffheit der Pompeianer und ein
glücklicher Gedanke Caesars rettete die Armee. Hätten jene ihren
Vortheil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen
nicht fehlen die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammenge-
drängte kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt
zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzudrängen und
dies Ufer so vollständig zu besetzen, dass ohne ihr Wissen kein
Mann den Fluss überschritt. Allein beides war versäumt worden;
jene Haufen waren wohl mit Verlust bei Seite gedrängt, aber doch
weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden und die
Ueberschreitung des Flusses zu wehren überliess man wesentlich
dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er liess
tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit
lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Brit-

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schlagen werden müssen. Als nun mit der Schneeschmelze die
Hochwasser kamen, wurden diese Nothbrücken weggerissen und
der Sicoris wie die Cinca so hoch angeschwellt, daſs für die
nächste Zeit sie nicht anders als auf Schiffen passirt werden konn-
ten. Da es an diesen fehlte und auch die Wiederherstellung der
Brücken nicht erfolgen konnte ohne das andere Ufer zu gewinnen,
so war die römische Armee beschränkt auf den schmalen Raum
zwischen der Cinca und dem Sicoris; das linke Ufer des Sicoris
und damit die Straſse, auf der die Armee mit Gallien und Italien
communicirte, war fast unvertheidigt den Pompeianern preisge-
geben, die den Fluſs theils auf der Stadtbrücke, theils nach lusi-
tanischer Art auf Schläuchen schwimmend zu passiren vermoch-
ten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast
aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge
Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager
herrschte förmliche Hungersnoth — der preuſsische Scheffel Wei-
zen kostete 300 Denare (84 Thlr.) — und brachen bedenkliche
Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die
mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nach-
schub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere
und Soldaten, heimkehrende Streifschaaren, im Ganzen eine Masse
von 6000 Köpfen, die die Pompeianer mit überlegener Macht an-
griffen und mit groſsem Verlust in die Berge drängten, während
die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht unthätig
zusehen muſsten. Die Verbindungen der Armee waren in den
Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten von
Caesars Armee plötzlich aus und die bedenklichen Gerüchte, die
dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzu-
weit entfernt. Indeſs die Schlaffheit der Pompeianer und ein
glücklicher Gedanke Caesars rettete die Armee. Hätten jene ihren
Vortheil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen
nicht fehlen die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammenge-
drängte kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt
zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzudrängen und
dies Ufer so vollständig zu besetzen, daſs ohne ihr Wissen kein
Mann den Fluſs überschritt. Allein beides war versäumt worden;
jene Haufen waren wohl mit Verlust bei Seite gedrängt, aber doch
weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden und die
Ueberschreitung des Flusses zu wehren überlieſs man wesentlich
dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er lieſs
tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit
lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Brit-

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[364/0374] FÜNFTES BUCH. KAPITEL X. schlagen werden müssen. Als nun mit der Schneeschmelze die Hochwasser kamen, wurden diese Nothbrücken weggerissen und der Sicoris wie die Cinca so hoch angeschwellt, daſs für die nächste Zeit sie nicht anders als auf Schiffen passirt werden konn- ten. Da es an diesen fehlte und auch die Wiederherstellung der Brücken nicht erfolgen konnte ohne das andere Ufer zu gewinnen, so war die römische Armee beschränkt auf den schmalen Raum zwischen der Cinca und dem Sicoris; das linke Ufer des Sicoris und damit die Straſse, auf der die Armee mit Gallien und Italien communicirte, war fast unvertheidigt den Pompeianern preisge- geben, die den Fluſs theils auf der Stadtbrücke, theils nach lusi- tanischer Art auf Schläuchen schwimmend zu passiren vermoch- ten. Es war die Zeit kurz vor der Ernte; die alte Frucht war fast aufgebraucht, die neue noch nicht eingebracht und der enge Landstreif zwischen den beiden Bächen bald ausgezehrt. Im Lager herrschte förmliche Hungersnoth — der preuſsische Scheffel Wei- zen kostete 300 Denare (84 Thlr.) — und brachen bedenkliche Krankheiten aus; dagegen häufte am linken Ufer Proviant und die mannigfaltigste Zufuhr sich an, dazu Mannschaften aller Art: Nach- schub aus Gallien von Reiterei und Schützen, beurlaubte Offiziere und Soldaten, heimkehrende Streifschaaren, im Ganzen eine Masse von 6000 Köpfen, die die Pompeianer mit überlegener Macht an- griffen und mit groſsem Verlust in die Berge drängten, während die Caesarianer am rechten Ufer dem ungleichen Gefecht unthätig zusehen muſsten. Die Verbindungen der Armee waren in den Händen der Pompeianer; in Italien blieben die Nachrichten von Caesars Armee plötzlich aus und die bedenklichen Gerüchte, die dort umzulaufen begannen, waren von der Wahrheit nicht allzu- weit entfernt. Indeſs die Schlaffheit der Pompeianer und ein glücklicher Gedanke Caesars rettete die Armee. Hätten jene ihren Vortheil mit einigem Nachdruck verfolgt, so konnte es ihnen nicht fehlen die auf dem linken Ufer des Sicoris zusammenge- drängte kaum widerstandsfähige Masse entweder in ihre Gewalt zu bringen oder wenigstens nach Gallien zurückzudrängen und dies Ufer so vollständig zu besetzen, daſs ohne ihr Wissen kein Mann den Fluſs überschritt. Allein beides war versäumt worden; jene Haufen waren wohl mit Verlust bei Seite gedrängt, aber doch weder vernichtet noch völlig zurückgeworfen worden und die Ueberschreitung des Flusses zu wehren überlieſs man wesentlich dem Flusse selbst. Hierauf baute Caesar seinen Plan. Er lieſs tragbare Kähne von leichtem Holzgestell und Korbgeflecht mit lederner Bekleidung, nach dem Muster der im Kanal bei den Brit-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 364. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/374>, abgerufen am 16.07.2024.