Also ward Gallien, das heisst das Land westlich vom Rhein und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen den Römern unterthänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Be- ruhigung des Landes, zu Anfang des J. 705 mussten die römi- schen Truppen in Folge des nun endlich in Italien ausgebroche- nen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabthei- lungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen al- ten Provinzen des Reiches die Parteien sich einander bekriegten, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fort- während botmässig. Auch die Entwürfe zur Errichtung deutscher Reiche auf dem linken Ufer des Rheines wiederholten für jetzt sich nicht. Ebenso wenig kam es während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrection oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten; wenn irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewe- gungen so vereinzelt und so ausser Zusammenhang mit den Ver- wickelungen in Italien, dass sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, dass man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durch- drungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistricten, der Pyrenäengegend vorläufig gestattete sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen Botmässigkeit thatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen zunächst noch drin- genderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur noth- dürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, so- wohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Un- terwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im Wesentlichen als haltbar. -- In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des narbonensichen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der Provinz Narbo vereinigt; die definitive Organisation der- selben konnte erst in einer ruhigeren Zeit erfolgen. Dass die kel- tischen Gaue ihre politische Selbstständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Das Steuersystem indess war natürlich nicht dasjenige, mittelst dessen die adliche und finanzielle Ari- stokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien ge-
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Also ward Gallien, das heiſst das Land westlich vom Rhein und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen den Römern unterthänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Be- ruhigung des Landes, zu Anfang des J. 705 muſsten die römi- schen Truppen in Folge des nun endlich in Italien ausgebroche- nen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabthei- lungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen al- ten Provinzen des Reiches die Parteien sich einander bekriegten, blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fort- während botmäſsig. Auch die Entwürfe zur Errichtung deutscher Reiche auf dem linken Ufer des Rheines wiederholten für jetzt sich nicht. Ebenso wenig kam es während der nachfolgenden Krisen zu einer neuen nationalen Insurrection oder deutschen Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten; wenn irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 die Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewe- gungen so vereinzelt und so auſser Zusammenhang mit den Ver- wickelungen in Italien, daſs sie ohne wesentliche Schwierigkeit von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daſs man den entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durch- drungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistricten, der Pyrenäengegend vorläufig gestattete sich in mehr oder minder bestimmter Weise der römischen Botmäſsigkeit thatsächlich zu entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau, wie knapp er auch dazu zwischen anderen zunächst noch drin- genderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur noth- dürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, so- wohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Un- terwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im Wesentlichen als haltbar. — In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter des narbonensichen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig mit der Provinz Narbo vereinigt; die definitive Organisation der- selben konnte erst in einer ruhigeren Zeit erfolgen. Daſs die kel- tischen Gaue ihre politische Selbstständigkeit verloren, lag im Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen Gemeinde steuerpflichtig. Das Steuersystem indeſs war natürlich nicht dasjenige, mittelst dessen die adliche und finanzielle Ari- stokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien ge-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><pbfacs="#f0278"n="268"/><fwplace="top"type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.</fw><lb/><p>Also ward Gallien, das heiſst das Land westlich vom Rhein<lb/>
und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen<lb/>
den Römern unterthänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Be-<lb/>
ruhigung des Landes, zu Anfang des J. 705 muſsten die römi-<lb/>
schen Truppen in Folge des nun endlich in Italien ausgebroche-<lb/>
nen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und<lb/>
es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabthei-<lb/>
lungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht<lb/>
wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen al-<lb/>
ten Provinzen des Reiches die Parteien sich einander bekriegten,<lb/>
blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fort-<lb/>
während botmäſsig. Auch die Entwürfe zur Errichtung deutscher<lb/>
Reiche auf dem linken Ufer des Rheines wiederholten für jetzt<lb/>
sich nicht. Ebenso wenig kam es während der nachfolgenden<lb/>
Krisen zu einer neuen nationalen Insurrection oder deutschen<lb/>
Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten;<lb/>
wenn irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 die<lb/>
Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewe-<lb/>
gungen so vereinzelt und so auſser Zusammenhang mit den Ver-<lb/>
wickelungen in Italien, daſs sie ohne wesentliche Schwierigkeit<lb/>
von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings<lb/>
ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie<lb/>
Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daſs man den<lb/>
entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durch-<lb/>
drungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistricten, der<lb/>
Pyrenäengegend vorläufig gestattete sich in mehr oder minder<lb/>
bestimmter Weise der römischen Botmäſsigkeit thatsächlich zu<lb/>
entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau,<lb/>
wie knapp er auch dazu zwischen anderen zunächst noch drin-<lb/>
genderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur noth-<lb/>
dürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, so-<lb/>
wohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Un-<lb/>
terwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im Wesentlichen als<lb/>
haltbar. — In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter<lb/>
des narbonensichen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig<lb/>
mit der Provinz Narbo vereinigt; die definitive Organisation der-<lb/>
selben konnte erst in einer ruhigeren Zeit erfolgen. Daſs die kel-<lb/>
tischen Gaue ihre politische Selbstständigkeit verloren, lag im<lb/>
Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen<lb/>
Gemeinde steuerpflichtig. Das Steuersystem indeſs war natürlich<lb/>
nicht dasjenige, mittelst dessen die adliche und finanzielle Ari-<lb/>
stokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien ge-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[268/0278]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Also ward Gallien, das heiſst das Land westlich vom Rhein
und nördlich von den Pyrenäen, nach nur achtjährigen Kämpfen
den Römern unterthänig. Kaum ein Jahr nach der völligen Be-
ruhigung des Landes, zu Anfang des J. 705 muſsten die römi-
schen Truppen in Folge des nun endlich in Italien ausgebroche-
nen Bürgerkrieges über die Alpen zurückgezogen werden und
es blieben nichts als höchstens einige schwache Rekrutenabthei-
lungen im Keltenland zurück. Dennoch standen die Kelten nicht
wieder gegen die Fremdherrschaft auf; und während in allen al-
ten Provinzen des Reiches die Parteien sich einander bekriegten,
blieb allein die neugewonnene Landschaft ihrem Besieger fort-
während botmäſsig. Auch die Entwürfe zur Errichtung deutscher
Reiche auf dem linken Ufer des Rheines wiederholten für jetzt
sich nicht. Ebenso wenig kam es während der nachfolgenden
Krisen zu einer neuen nationalen Insurrection oder deutschen
Invasion, obgleich sie die günstigsten Gelegenheiten darboten;
wenn irgendwo Unruhen ausbrachen, wie zum Beispiel 708 die
Bellovaker gegen die Römer sich erhoben, so waren diese Bewe-
gungen so vereinzelt und so auſser Zusammenhang mit den Ver-
wickelungen in Italien, daſs sie ohne wesentliche Schwierigkeit
von den römischen Statthaltern unterdrückt wurden. Allerdings
ward dieser Friedenszustand höchst wahrscheinlich, ähnlich wie
Jahrhunderte lang der spanische, damit erkauft, daſs man den
entlegensten und am lebendigsten von dem Nationalgefühl durch-
drungenen Landschaften, der Bretagne, den Scheldedistricten, der
Pyrenäengegend vorläufig gestattete sich in mehr oder minder
bestimmter Weise der römischen Botmäſsigkeit thatsächlich zu
entziehen. Aber darum nicht weniger erwies sich Caesars Bau,
wie knapp er auch dazu zwischen anderen zunächst noch drin-
genderen Arbeiten die Zeit gefunden, wie unfertig und nur noth-
dürftig abgeschlossen er ihn auch verlassen hatte, dennoch, so-
wohl hinsichtlich der Zurückweisung der Deutschen als der Un-
terwerfung der Kelten, in dieser Feuerprobe im Wesentlichen als
haltbar. — In der Oberverwaltung blieben die von dem Statthalter
des narbonensichen Galliens neu gewonnenen Gebiete vorläufig
mit der Provinz Narbo vereinigt; die definitive Organisation der-
selben konnte erst in einer ruhigeren Zeit erfolgen. Daſs die kel-
tischen Gaue ihre politische Selbstständigkeit verloren, lag im
Wesen der Eroberung. Sie wurden durchgängig der römischen
Gemeinde steuerpflichtig. Das Steuersystem indeſs war natürlich
nicht dasjenige, mittelst dessen die adliche und finanzielle Ari-
stokratie Asia ausnutzte, sondern es wurde, wie in Spanien ge-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 268. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/278>, abgerufen am 28.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.