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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Gergovia für ihn gewesen war. Allein sein Plan gelang nur un-
vollständig. Wenn er damals nur sechs Legionen sich gegenüber
und in Folge des mit der Ueberschreitung des Allier für Caesar
verknüpften Zeitverlustes einen beträchtlichen Vorsprung gehabt
hatte, so heftete jetzt Caesar mit der ganzen vereinigten Armee
von zehn Legionen sich an seine Fersen. Es war Vercingetorix
nicht möglich seine Armee, wie die Verhältnisse es forderten, zu
reduciren; mit etwa 80000 Mann Infanterie und einer sehr zahl-
reichen Reiterei musste er in Alesia sich einschliessen. So beträcht-
liche Vorräthe auch daselbst aufgehäuft worden waren, so konn-
ten sie doch eine solche Menschenmasse in Verbindung mit der
zahlreichen Stadtbewohnerschaft unmöglich lange speisen; an-
dererseits aber war die römische Armee jetzt stark genug um die
Stadt vollständig abzusperren. Wenn nicht rechtzeitig Succurs
kam, war die Katastrophe unvermeidlich. Vercingetorix entliess
also, bevor die römische Umwallung völlig sich schloss, seine ge-
sammte Reiterei und befahl binnen eines Monats, bis wohin seine
Lebensmittel reichten, die gesammten Aufgebote der Gaue zum
Entsatz heranzuführen; er selber, hochherzig entschlossen das
Schicksal der belagerten Armee zu theilen, blieb in der Festung.
Caesar liess um die Stadt herum in einer Ausdehnung von zwei
deutschen Meilen eine Umwallungslinie errichten, die nach innen
wie nach aussen vertheidigungsfähig und hinreichend verprovian-
tirt war; man sah, er machte sich darauf gefasst zugleich zu be-
lagern und belagert zu werden. Die Tage verflossen; im römi-
schen Lager waren die Lebensmittel knapp; in der Festung
aber herrschte bereits Hungersnoth und kaum gelang es auch
nur der Besatzung das Leben so lange zu fristen, bis das Ent-
satzheer der Insurgenten vor den römischen Wällen eintraf.
Die insurgirten Gaue, das heisst fast das ganze Keltenland, hat-
ten jeden Nerv angestrengt um den Feldherrn und den Helden
der Nation zu erretten; nur die Bellovaker hatten erklärt, dass
sie wohl an dem Krieg gegen Rom theilzunehmen, aber nicht
ausserhalb ihrer Grenzen zu fechten gesonnen seien. So er-
schien denn vor Caesars Linien ein Keltenheer von 250000 Mann
zu Fuss und 8000 Reitern. Zwei Tage nach einander ward die
römische Umwallung von innen und von aussen gestürmt; an
einem Puncte, wo die Localität den Angriff begünstigte, war
am zweiten Tage der Sturm so gut wie gelungen, der Gra-
ben verschüttet und bereits der Wall von Vertheidigern ent-
blösst, als Labienus die nächsten vier Legionen zusammennahm
und durch einen verzweifelten Ausfall die Stürmenden in die

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Gergovia für ihn gewesen war. Allein sein Plan gelang nur un-
vollständig. Wenn er damals nur sechs Legionen sich gegenüber
und in Folge des mit der Ueberschreitung des Allier für Caesar
verknüpften Zeitverlustes einen beträchtlichen Vorsprung gehabt
hatte, so heftete jetzt Caesar mit der ganzen vereinigten Armee
von zehn Legionen sich an seine Fersen. Es war Vercingetorix
nicht möglich seine Armee, wie die Verhältnisse es forderten, zu
reduciren; mit etwa 80000 Mann Infanterie und einer sehr zahl-
reichen Reiterei muſste er in Alesia sich einschlieſsen. So beträcht-
liche Vorräthe auch daselbst aufgehäuft worden waren, so konn-
ten sie doch eine solche Menschenmasse in Verbindung mit der
zahlreichen Stadtbewohnerschaft unmöglich lange speisen; an-
dererseits aber war die römische Armee jetzt stark genug um die
Stadt vollständig abzusperren. Wenn nicht rechtzeitig Succurs
kam, war die Katastrophe unvermeidlich. Vercingetorix entlieſs
also, bevor die römische Umwallung völlig sich schloſs, seine ge-
sammte Reiterei und befahl binnen eines Monats, bis wohin seine
Lebensmittel reichten, die gesammten Aufgebote der Gaue zum
Entsatz heranzuführen; er selber, hochherzig entschlossen das
Schicksal der belagerten Armee zu theilen, blieb in der Festung.
Caesar lieſs um die Stadt herum in einer Ausdehnung von zwei
deutschen Meilen eine Umwallungslinie errichten, die nach innen
wie nach auſsen vertheidigungsfähig und hinreichend verprovian-
tirt war; man sah, er machte sich darauf gefaſst zugleich zu be-
lagern und belagert zu werden. Die Tage verflossen; im römi-
schen Lager waren die Lebensmittel knapp; in der Festung
aber herrschte bereits Hungersnoth und kaum gelang es auch
nur der Besatzung das Leben so lange zu fristen, bis das Ent-
satzheer der Insurgenten vor den römischen Wällen eintraf.
Die insurgirten Gaue, das heiſst fast das ganze Keltenland, hat-
ten jeden Nerv angestrengt um den Feldherrn und den Helden
der Nation zu erretten; nur die Bellovaker hatten erklärt, daſs
sie wohl an dem Krieg gegen Rom theilzunehmen, aber nicht
auſserhalb ihrer Grenzen zu fechten gesonnen seien. So er-
schien denn vor Caesars Linien ein Keltenheer von 250000 Mann
zu Fuſs und 8000 Reitern. Zwei Tage nach einander ward die
römische Umwallung von innen und von auſsen gestürmt; an
einem Puncte, wo die Localität den Angriff begünstigte, war
am zweiten Tage der Sturm so gut wie gelungen, der Gra-
ben verschüttet und bereits der Wall von Vertheidigern ent-
blöſst, als Labienus die nächsten vier Legionen zusammennahm
und durch einen verzweifelten Ausfall die Stürmenden in die

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[263/0273] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. Gergovia für ihn gewesen war. Allein sein Plan gelang nur un- vollständig. Wenn er damals nur sechs Legionen sich gegenüber und in Folge des mit der Ueberschreitung des Allier für Caesar verknüpften Zeitverlustes einen beträchtlichen Vorsprung gehabt hatte, so heftete jetzt Caesar mit der ganzen vereinigten Armee von zehn Legionen sich an seine Fersen. Es war Vercingetorix nicht möglich seine Armee, wie die Verhältnisse es forderten, zu reduciren; mit etwa 80000 Mann Infanterie und einer sehr zahl- reichen Reiterei muſste er in Alesia sich einschlieſsen. So beträcht- liche Vorräthe auch daselbst aufgehäuft worden waren, so konn- ten sie doch eine solche Menschenmasse in Verbindung mit der zahlreichen Stadtbewohnerschaft unmöglich lange speisen; an- dererseits aber war die römische Armee jetzt stark genug um die Stadt vollständig abzusperren. Wenn nicht rechtzeitig Succurs kam, war die Katastrophe unvermeidlich. Vercingetorix entlieſs also, bevor die römische Umwallung völlig sich schloſs, seine ge- sammte Reiterei und befahl binnen eines Monats, bis wohin seine Lebensmittel reichten, die gesammten Aufgebote der Gaue zum Entsatz heranzuführen; er selber, hochherzig entschlossen das Schicksal der belagerten Armee zu theilen, blieb in der Festung. Caesar lieſs um die Stadt herum in einer Ausdehnung von zwei deutschen Meilen eine Umwallungslinie errichten, die nach innen wie nach auſsen vertheidigungsfähig und hinreichend verprovian- tirt war; man sah, er machte sich darauf gefaſst zugleich zu be- lagern und belagert zu werden. Die Tage verflossen; im römi- schen Lager waren die Lebensmittel knapp; in der Festung aber herrschte bereits Hungersnoth und kaum gelang es auch nur der Besatzung das Leben so lange zu fristen, bis das Ent- satzheer der Insurgenten vor den römischen Wällen eintraf. Die insurgirten Gaue, das heiſst fast das ganze Keltenland, hat- ten jeden Nerv angestrengt um den Feldherrn und den Helden der Nation zu erretten; nur die Bellovaker hatten erklärt, daſs sie wohl an dem Krieg gegen Rom theilzunehmen, aber nicht auſserhalb ihrer Grenzen zu fechten gesonnen seien. So er- schien denn vor Caesars Linien ein Keltenheer von 250000 Mann zu Fuſs und 8000 Reitern. Zwei Tage nach einander ward die römische Umwallung von innen und von auſsen gestürmt; an einem Puncte, wo die Localität den Angriff begünstigte, war am zweiten Tage der Sturm so gut wie gelungen, der Gra- ben verschüttet und bereits der Wall von Vertheidigern ent- blöſst, als Labienus die nächsten vier Legionen zusammennahm und durch einen verzweifelten Ausfall die Stürmenden in die

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 263. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/273>, abgerufen am 28.11.2024.