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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
länger verzögert werden oder war vielmehr schon zu lange
aufgeschoben worden; wenigstens kam Caesar zu spät um den
definitiven Uebertritt der Haeduer zu hindern -- er war inzwi-
schen bereits erfolgt. Allerdings war dies von den Haeduern in
der Voraussetzung geschehen, dass die Nation jetzt die Führer-
schaft den Arvernern abnehmen und auf sie übertragen werde;
sie scheuten sich nicht es officiell zu constatiren, dass noch in
diesem Todeskampf der Nation die Sonderinteressen nicht schwie-
gen, und auf der allgemeinen Landesversammlung in Bibracte den
Antrag zu stellen an die Stelle des Vercingetorix einen Haeduer
zu setzen; was die Majorität freilich ablehnte. Dennoch war der
Anschluss des mächtigen Cantons für die Sache der Insurrection
ein unberechenbarer Gewinn. Niemals noch hatte die keltische
Nation so einig wie jetzt dem Feinde gegenüber gestanden. Mit-
telgallien schien den Römern verloren, um so mehr als es dem
bei der römischen Armee befindlichen Contingent der Haeduer
gelungen war nicht bloss von dieser sich loszumachen, sondern
auch die Depots der römischen Armee in Noviodunum an der
Loire aufzuheben, wodurch die römischen Kassen und Magazine,
eine Menge Remontepferde und sämmtliche Geisseln in die Ge-
walt der Insurgenten fielen. Vercingetorix, nachdem er auf der
Landesversammlung in Bibracte in seinem Oberbefehl feierlich
bestätigt worden war und ferner daselbst den Beschluss erwirkt
hatte das Fussvolk in seiner bisherigen Stärke zu belassen, die
Reiterei aber auf 15000 Pferde zu bringen, entwarf den verwe-
genen, aber nicht unausführbaren Plan mit diesen Reitermassen
von drei verschiedenen Seiten her in die südliche Provinz einzu-
rücken, wobei er durch einen Aufstand der Allobrogen unter-
stützt zu werden hoffte. Caesar hatte nur die Wahl entweder die
altrömischen Besitzungen oder das Corps des Labienus vorläufig
preiszugeben; manche seiner Offiziere drangen darauf sofort zur
Deckung der bisherigen Reichsgrenzen zu marschiren; Caesar aber
zog es vor zunächst Labienus aufzunehmen und das Heer wieder
zu vereinigen. Von Agedicum (Sens) aus, das er zum Stützpunct
seiner Operationen in diesem Gebiet ausersehen, hatte Labienus
sich gegen die Seine gewendet. Hinter dieser hatte der feindliche
Feldherr, der greise Camulogenus eine starke Stellung bei der
Seineinsel Lutetia (Paris) eingenommen. Labienus hatte weiter
stromaufwärts bei Melodunum (Melun) den Uebergang über die
Seine geschickt bewerkstelligt und dachte ein Ende zu machen;
allein Camulogenus brannte Lutetia nieder und ging nun seiner-
seits auf das linke Ufer. Labienus war nicht im Stande ihn hier

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
länger verzögert werden oder war vielmehr schon zu lange
aufgeschoben worden; wenigstens kam Caesar zu spät um den
definitiven Uebertritt der Haeduer zu hindern — er war inzwi-
schen bereits erfolgt. Allerdings war dies von den Haeduern in
der Voraussetzung geschehen, daſs die Nation jetzt die Führer-
schaft den Arvernern abnehmen und auf sie übertragen werde;
sie scheuten sich nicht es officiell zu constatiren, daſs noch in
diesem Todeskampf der Nation die Sonderinteressen nicht schwie-
gen, und auf der allgemeinen Landesversammlung in Bibracte den
Antrag zu stellen an die Stelle des Vercingetorix einen Haeduer
zu setzen; was die Majorität freilich ablehnte. Dennoch war der
Anschluſs des mächtigen Cantons für die Sache der Insurrection
ein unberechenbarer Gewinn. Niemals noch hatte die keltische
Nation so einig wie jetzt dem Feinde gegenüber gestanden. Mit-
telgallien schien den Römern verloren, um so mehr als es dem
bei der römischen Armee befindlichen Contingent der Haeduer
gelungen war nicht bloſs von dieser sich loszumachen, sondern
auch die Depots der römischen Armee in Noviodunum an der
Loire aufzuheben, wodurch die römischen Kassen und Magazine,
eine Menge Remontepferde und sämmtliche Geiſseln in die Ge-
walt der Insurgenten fielen. Vercingetorix, nachdem er auf der
Landesversammlung in Bibracte in seinem Oberbefehl feierlich
bestätigt worden war und ferner daselbst den Beschluſs erwirkt
hatte das Fuſsvolk in seiner bisherigen Stärke zu belassen, die
Reiterei aber auf 15000 Pferde zu bringen, entwarf den verwe-
genen, aber nicht unausführbaren Plan mit diesen Reitermassen
von drei verschiedenen Seiten her in die südliche Provinz einzu-
rücken, wobei er durch einen Aufstand der Allobrogen unter-
stützt zu werden hoffte. Caesar hatte nur die Wahl entweder die
altrömischen Besitzungen oder das Corps des Labienus vorläufig
preiszugeben; manche seiner Offiziere drangen darauf sofort zur
Deckung der bisherigen Reichsgrenzen zu marschiren; Caesar aber
zog es vor zunächst Labienus aufzunehmen und das Heer wieder
zu vereinigen. Von Agedicum (Sens) aus, das er zum Stützpunct
seiner Operationen in diesem Gebiet ausersehen, hatte Labienus
sich gegen die Seine gewendet. Hinter dieser hatte der feindliche
Feldherr, der greise Camulogenus eine starke Stellung bei der
Seineinsel Lutetia (Paris) eingenommen. Labienus hatte weiter
stromaufwärts bei Melodunum (Melun) den Uebergang über die
Seine geschickt bewerkstelligt und dachte ein Ende zu machen;
allein Camulogenus brannte Lutetia nieder und ging nun seiner-
seits auf das linke Ufer. Labienus war nicht im Stande ihn hier

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[261/0271] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. länger verzögert werden oder war vielmehr schon zu lange aufgeschoben worden; wenigstens kam Caesar zu spät um den definitiven Uebertritt der Haeduer zu hindern — er war inzwi- schen bereits erfolgt. Allerdings war dies von den Haeduern in der Voraussetzung geschehen, daſs die Nation jetzt die Führer- schaft den Arvernern abnehmen und auf sie übertragen werde; sie scheuten sich nicht es officiell zu constatiren, daſs noch in diesem Todeskampf der Nation die Sonderinteressen nicht schwie- gen, und auf der allgemeinen Landesversammlung in Bibracte den Antrag zu stellen an die Stelle des Vercingetorix einen Haeduer zu setzen; was die Majorität freilich ablehnte. Dennoch war der Anschluſs des mächtigen Cantons für die Sache der Insurrection ein unberechenbarer Gewinn. Niemals noch hatte die keltische Nation so einig wie jetzt dem Feinde gegenüber gestanden. Mit- telgallien schien den Römern verloren, um so mehr als es dem bei der römischen Armee befindlichen Contingent der Haeduer gelungen war nicht bloſs von dieser sich loszumachen, sondern auch die Depots der römischen Armee in Noviodunum an der Loire aufzuheben, wodurch die römischen Kassen und Magazine, eine Menge Remontepferde und sämmtliche Geiſseln in die Ge- walt der Insurgenten fielen. Vercingetorix, nachdem er auf der Landesversammlung in Bibracte in seinem Oberbefehl feierlich bestätigt worden war und ferner daselbst den Beschluſs erwirkt hatte das Fuſsvolk in seiner bisherigen Stärke zu belassen, die Reiterei aber auf 15000 Pferde zu bringen, entwarf den verwe- genen, aber nicht unausführbaren Plan mit diesen Reitermassen von drei verschiedenen Seiten her in die südliche Provinz einzu- rücken, wobei er durch einen Aufstand der Allobrogen unter- stützt zu werden hoffte. Caesar hatte nur die Wahl entweder die altrömischen Besitzungen oder das Corps des Labienus vorläufig preiszugeben; manche seiner Offiziere drangen darauf sofort zur Deckung der bisherigen Reichsgrenzen zu marschiren; Caesar aber zog es vor zunächst Labienus aufzunehmen und das Heer wieder zu vereinigen. Von Agedicum (Sens) aus, das er zum Stützpunct seiner Operationen in diesem Gebiet ausersehen, hatte Labienus sich gegen die Seine gewendet. Hinter dieser hatte der feindliche Feldherr, der greise Camulogenus eine starke Stellung bei der Seineinsel Lutetia (Paris) eingenommen. Labienus hatte weiter stromaufwärts bei Melodunum (Melun) den Uebergang über die Seine geschickt bewerkstelligt und dachte ein Ende zu machen; allein Camulogenus brannte Lutetia nieder und ging nun seiner- seits auf das linke Ufer. Labienus war nicht im Stande ihn hier

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/271>, abgerufen am 23.06.2024.