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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuitus war
zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den ein-
heitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der
Nation das fremdländische Joch von sich abzuschütteln geschei-
tert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbst ernannten König
der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes,
was den Inselkelten Cassivellaunus gewesen war; gewaltig durch-
drang die Massen das Gefühl, dass er oder keiner der Mann sei
die Nation zu erretten. Rasch war das westliche Gallien bis zur
oberen Loire und die ganze Nordküste von der Insurrection er-
fasst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr
anerkannt; wo der Gemeinderath Schwierigkeit machte, nöthigte
ihn die Menge zum Anschluss an die Insurrection; nur wenige
Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen,
und vielleicht auch diese nur zum Schein. So gewaltig war der
patriotische Aufschwung, dass er selbst die entschiedensten und
begünstigtsten Anhänger Roms mit sich fortriss, wie zum Bei-
spiel den König der Atrebaten Commius, der wegen seiner treuen
Dienste von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde
und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Weniger
günstigen Boden fand die Insurrection im östlichen Gallien. Zu-
vörderst schlossen die sämmtlichen deutschen Gemeinden sich
aus, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden
hatten; ja es wurden sogar die Treverer und wie es scheint auch
die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert an
dem Kriege der keltischen Nation gegen Rom thätigen Antheil zu
nehmen. Es ist das ein merkwürdiger Beweis dafür, wie durch-
aus national, man darf vielleicht sagen national-religiös diese
Bewegung war. Die Remer ferner mit den von ihnen zunächst
abhängigen Districten der Suessionen. Leuker und Lingonen wur-
den von der Theilnahme an dem Aufstande abgehalten ebenso
sehr durch ihren selbst unter dem allgemeinen Enthusiasmus
nicht mürbe gewordenen Particularismus wie durch die um
Sens, Rheims und Langres concentrirte römische Armee. Noch
fester hielten zu den Römern die von Caesar im Gebiet der Hae-
duer angesiedelten Boier. Die Haeduer selbst zögerten. Die Pa-
triotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte
Antagonismus gegen die führenden Arverner machte die Wage
schwanken -- zum empfindlichsten Nachtheil der Insurrection,
da der Anschluss der östlichen Cantone, namentlich der Sequa-
ner und der Helvetier durch den Beitritt der Haeduer bedingt
war und überhaupt in diesem Theile Galliens die Entscheidung

DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuitus war
zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den ein-
heitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der
Nation das fremdländische Joch von sich abzuschütteln geschei-
tert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbst ernannten König
der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes,
was den Inselkelten Cassivellaunus gewesen war; gewaltig durch-
drang die Massen das Gefühl, daſs er oder keiner der Mann sei
die Nation zu erretten. Rasch war das westliche Gallien bis zur
oberen Loire und die ganze Nordküste von der Insurrection er-
faſst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr
anerkannt; wo der Gemeinderath Schwierigkeit machte, nöthigte
ihn die Menge zum Anschluſs an die Insurrection; nur wenige
Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen,
und vielleicht auch diese nur zum Schein. So gewaltig war der
patriotische Aufschwung, daſs er selbst die entschiedensten und
begünstigtsten Anhänger Roms mit sich fortriſs, wie zum Bei-
spiel den König der Atrebaten Commius, der wegen seiner treuen
Dienste von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde
und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Weniger
günstigen Boden fand die Insurrection im östlichen Gallien. Zu-
vörderst schlossen die sämmtlichen deutschen Gemeinden sich
aus, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden
hatten; ja es wurden sogar die Treverer und wie es scheint auch
die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert an
dem Kriege der keltischen Nation gegen Rom thätigen Antheil zu
nehmen. Es ist das ein merkwürdiger Beweis dafür, wie durch-
aus national, man darf vielleicht sagen national-religiös diese
Bewegung war. Die Remer ferner mit den von ihnen zunächst
abhängigen Districten der Suessionen. Leuker und Lingonen wur-
den von der Theilnahme an dem Aufstande abgehalten ebenso
sehr durch ihren selbst unter dem allgemeinen Enthusiasmus
nicht mürbe gewordenen Particularismus wie durch die um
Sens, Rheims und Langres concentrirte römische Armee. Noch
fester hielten zu den Römern die von Caesar im Gebiet der Hae-
duer angesiedelten Boier. Die Haeduer selbst zögerten. Die Pa-
triotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte
Antagonismus gegen die führenden Arverner machte die Wage
schwanken — zum empfindlichsten Nachtheil der Insurrection,
da der Anschluſs der östlichen Cantone, namentlich der Sequa-
ner und der Helvetier durch den Beitritt der Haeduer bedingt
war und überhaupt in diesem Theile Galliens die Entscheidung

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[255/0265] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. Wiederherstellung des Thrones des Luerius und Betuitus war zugleich die Erklärung des Nationalkriegs gegen Rom. Den ein- heitlichen Halt, an dessen Mangel alle bisherigen Versuche der Nation das fremdländische Joch von sich abzuschütteln geschei- tert waren, fand sie jetzt in dem neuen selbst ernannten König der Arverner. Vercingetorix ward für die Kelten des Festlandes, was den Inselkelten Cassivellaunus gewesen war; gewaltig durch- drang die Massen das Gefühl, daſs er oder keiner der Mann sei die Nation zu erretten. Rasch war das westliche Gallien bis zur oberen Loire und die ganze Nordküste von der Insurrection er- faſst und Vercingetorix hier von allen Gauen als Oberfeldherr anerkannt; wo der Gemeinderath Schwierigkeit machte, nöthigte ihn die Menge zum Anschluſs an die Insurrection; nur wenige Gaue, wie der der Biturigen, liessen zum Beitritt sich zwingen, und vielleicht auch diese nur zum Schein. So gewaltig war der patriotische Aufschwung, daſs er selbst die entschiedensten und begünstigtsten Anhänger Roms mit sich fortriſs, wie zum Bei- spiel den König der Atrebaten Commius, der wegen seiner treuen Dienste von den Römern wichtige Privilegien für seine Gemeinde und die Hegemonie über die Moriner empfangen hatte. Weniger günstigen Boden fand die Insurrection im östlichen Gallien. Zu- vörderst schlossen die sämmtlichen deutschen Gemeinden sich aus, die bei den bisherigen Kämpfen in erster Reihe gestanden hatten; ja es wurden sogar die Treverer und wie es scheint auch die Menapier durch ihre Fehden mit den Deutschen verhindert an dem Kriege der keltischen Nation gegen Rom thätigen Antheil zu nehmen. Es ist das ein merkwürdiger Beweis dafür, wie durch- aus national, man darf vielleicht sagen national-religiös diese Bewegung war. Die Remer ferner mit den von ihnen zunächst abhängigen Districten der Suessionen. Leuker und Lingonen wur- den von der Theilnahme an dem Aufstande abgehalten ebenso sehr durch ihren selbst unter dem allgemeinen Enthusiasmus nicht mürbe gewordenen Particularismus wie durch die um Sens, Rheims und Langres concentrirte römische Armee. Noch fester hielten zu den Römern die von Caesar im Gebiet der Hae- duer angesiedelten Boier. Die Haeduer selbst zögerten. Die Pa- triotenpartei war in diesem Gau sehr mächtig; aber der alte Antagonismus gegen die führenden Arverner machte die Wage schwanken — zum empfindlichsten Nachtheil der Insurrection, da der Anschluſs der östlichen Cantone, namentlich der Sequa- ner und der Helvetier durch den Beitritt der Haeduer bedingt war und überhaupt in diesem Theile Galliens die Entscheidung

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/265>, abgerufen am 15.05.2024.