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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Aber oft ist es leichter eine freie Nation zu unterwerfen als eine
unterworfene in Botmässigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die
Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die
keltische Nation zu Grunde gegangen war, ward durch die Er-
oberung gewissermassen aufgehoben, indem der Eroberer die He-
gemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen;
in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als eine
Nation und was man, da man es besass, gleichgültig verspielt
hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Werth
ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht
vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger
Scham gestand man es sich, dass eine Nation, die mindestens
eine Million waffenfähiger Männer zählte, von höchstens 50000
Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung
der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne dass sie auch
nur einen Schlag gethan, die der belgischen, ohne dass sie mehr
gethan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmüthige
Untergang der Nervier und der Veneter, der kluge und glückliche
Widerstand der Moriner und der Britten unter Cassivellaunus --
alles was im Einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und
erreicht war, spornte die Gemüther der Patrioten zu neuen wo
möglich einigeren und glücklicheren Versuchen. Namentlich unter
dem keltischen Adel herrschte eine Gährung, die jeden Augen-
blick in eine allgemeine Insurrection ausbrechen zu müssen
schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Früh-
jahr 700 hatte Caesar es nothwendig gefunden sich persönlich zu
den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 in der Nervierschlacht
sich compromittirt hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht
mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen
mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals
hatte Caesar sich begnügt die namhaftesten Männer der Patrioten-
partei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Rei-
tercontingent mit sich nach Britannien zu führen; er that sein
Mögliches die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge
Massregeln sie zur Insurrection zu zeitigen. Allein als der Hae-
duer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffi-
zier, in der That aber als Geissel sich bei dem nach Britannien
bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen
und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin ihn
als Ausreisser verfolgen zu lassen, wobei er von dem nachge-
schickten Detachement eingeholt und, da er gegen dasselbe sich
zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700). Dass der ange-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
Aber oft ist es leichter eine freie Nation zu unterwerfen als eine
unterworfene in Botmäſsigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die
Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die
keltische Nation zu Grunde gegangen war, ward durch die Er-
oberung gewissermaſsen aufgehoben, indem der Eroberer die He-
gemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen;
in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als eine
Nation und was man, da man es besaſs, gleichgültig verspielt
hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Werth
ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht
vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger
Scham gestand man es sich, daſs eine Nation, die mindestens
eine Million waffenfähiger Männer zählte, von höchstens 50000
Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung
der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daſs sie auch
nur einen Schlag gethan, die der belgischen, ohne daſs sie mehr
gethan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmüthige
Untergang der Nervier und der Veneter, der kluge und glückliche
Widerstand der Moriner und der Britten unter Cassivellaunus —
alles was im Einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und
erreicht war, spornte die Gemüther der Patrioten zu neuen wo
möglich einigeren und glücklicheren Versuchen. Namentlich unter
dem keltischen Adel herrschte eine Gährung, die jeden Augen-
blick in eine allgemeine Insurrection ausbrechen zu müssen
schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Früh-
jahr 700 hatte Caesar es nothwendig gefunden sich persönlich zu
den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 in der Nervierschlacht
sich compromittirt hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht
mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen
mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals
hatte Caesar sich begnügt die namhaftesten Männer der Patrioten-
partei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Rei-
tercontingent mit sich nach Britannien zu führen; er that sein
Mögliches die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge
Maſsregeln sie zur Insurrection zu zeitigen. Allein als der Hae-
duer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffi-
zier, in der That aber als Geiſsel sich bei dem nach Britannien
bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen
und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin ihn
als Ausreiſser verfolgen zu lassen, wobei er von dem nachge-
schickten Detachement eingeholt und, da er gegen dasselbe sich
zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700). Daſs der ange-

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[248/0258] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. Aber oft ist es leichter eine freie Nation zu unterwerfen als eine unterworfene in Botmäſsigkeit zu erhalten. Die Rivalität um die Hegemonie, an der mehr noch als an den Angriffen Roms die keltische Nation zu Grunde gegangen war, ward durch die Er- oberung gewissermaſsen aufgehoben, indem der Eroberer die He- gemonie für sich selbst nahm. Die Sonderinteressen schwiegen; in dem gemeinsamen Druck fühlte man doch sich wieder als eine Nation und was man, da man es besaſs, gleichgültig verspielt hatte, die Freiheit und die Nationalität, dessen unendlicher Werth ward nun, da es zu spät war, von der unendlichen Sehnsucht vollständig ermessen. Aber war es denn zu spät? Mit zorniger Scham gestand man es sich, daſs eine Nation, die mindestens eine Million waffenfähiger Männer zählte, von höchstens 50000 Römern sich hatte das Joch auflegen lassen. Die Unterwerfung der Eidgenossenschaft des mittleren Galliens, ohne daſs sie auch nur einen Schlag gethan, die der belgischen, ohne daſs sie mehr gethan als schlagen wollen; dagegen wieder der heldenmüthige Untergang der Nervier und der Veneter, der kluge und glückliche Widerstand der Moriner und der Britten unter Cassivellaunus — alles was im Einzelnen versäumt und geleistet, gescheitert und erreicht war, spornte die Gemüther der Patrioten zu neuen wo möglich einigeren und glücklicheren Versuchen. Namentlich unter dem keltischen Adel herrschte eine Gährung, die jeden Augen- blick in eine allgemeine Insurrection ausbrechen zu müssen schien. Schon vor dem zweiten Zug nach Britannien im Früh- jahr 700 hatte Caesar es nothwendig gefunden sich persönlich zu den Treverern zu begeben, die, seit sie 697 in der Nervierschlacht sich compromittirt hatten, auf den allgemeinen Landtagen nicht mehr erschienen waren und mit den überrheinischen Deutschen mehr als verdächtige Verbindungen angeknüpft hatten. Damals hatte Caesar sich begnügt die namhaftesten Männer der Patrioten- partei, namentlich den Indutiomarus, unter dem treverischen Rei- tercontingent mit sich nach Britannien zu führen; er that sein Mögliches die Verschwörung nicht zu sehen, um nicht durch strenge Maſsregeln sie zur Insurrection zu zeitigen. Allein als der Hae- duer Dumnorix, der gleichfalls dem Namen nach als Reiteroffi- zier, in der That aber als Geiſsel sich bei dem nach Britannien bestimmten Heere befand, geradezu verweigerte sich einzuschiffen und statt dessen nach Hause ritt, konnte Caesar nicht umhin ihn als Ausreiſser verfolgen zu lassen, wobei er von dem nachge- schickten Detachement eingeholt und, da er gegen dasselbe sich zur Wehre setzte, niedergehauen ward (700). Daſs der ange-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 248. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/258>, abgerufen am 23.11.2024.