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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Aquitanien gesandt mit dem Auftrag die daselbst wohnenden
iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft
zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die
Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es
besser als diese von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jen-
seit der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Cantabrer sandten
ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfah-
rene unter Sertorius Führung römisch geschulte Offiziere, die so
weit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, nament-
lich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und
seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten.
Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wusste alle
Schwierigkeiten zu überwinden und nach einigen hart bestritte-
nen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaf-
ten von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung
unter den neuen Herrn zu bestimmen.

Die eine Aufgabe, die Caesar sich gestellt hatte, die Unter-
werfung Galliens, war mit kaum nennenswerthen Ausnahmen im
Wesentlichen so weit vollendet, als sie überhaupt mit dem Schwert
sich vollenden liess. Allein die andere Hälfte des von Caesar be-
gonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt
und die Deutschen noch keineswegs überall genöthigt den Rhein
als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/9, hatte
an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch
nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung
stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencte-
rer, deren Versuche über den Rhein zu setzen bereits erwähnt
wurden (S. 226), waren bisher durch die Menapier hieran gehin-
dert worden, endlich aber doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner
durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schif-
fen der Menapier übergegangen -- ein ungeheurer Schwarm, der
sich mit Einschluss der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe
belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend
von Nymwegen und Kleve; aber es hiess, dass sie den Auffor-
derungen der keltischen Patriotenpartei folgend in das innere
Gallien einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward da-
durch bestärkt, dass ihre Reiterschaaren bereits bis an die Gren-
zen der Treverer streiften. Indess als Caesar mit seinen Legio-
nen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Aus-
wanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern
bereit von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer
Hoheit in Frieden zu bestellen. Unterhandlungen darüber wur-

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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
Aquitanien gesandt mit dem Auftrag die daselbst wohnenden
iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft
zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die
Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es
besser als diese von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jen-
seit der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Cantabrer sandten
ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfah-
rene unter Sertorius Führung römisch geschulte Offiziere, die so
weit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, nament-
lich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und
seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten.
Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wuſste alle
Schwierigkeiten zu überwinden und nach einigen hart bestritte-
nen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaf-
ten von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung
unter den neuen Herrn zu bestimmen.

Die eine Aufgabe, die Caesar sich gestellt hatte, die Unter-
werfung Galliens, war mit kaum nennenswerthen Ausnahmen im
Wesentlichen so weit vollendet, als sie überhaupt mit dem Schwert
sich vollenden lieſs. Allein die andere Hälfte des von Caesar be-
gonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt
und die Deutschen noch keineswegs überall genöthigt den Rhein
als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/9, hatte
an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch
nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung
stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencte-
rer, deren Versuche über den Rhein zu setzen bereits erwähnt
wurden (S. 226), waren bisher durch die Menapier hieran gehin-
dert worden, endlich aber doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner
durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schif-
fen der Menapier übergegangen — ein ungeheurer Schwarm, der
sich mit Einschluſs der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe
belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend
von Nymwegen und Kleve; aber es hieſs, daſs sie den Auffor-
derungen der keltischen Patriotenpartei folgend in das innere
Gallien einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward da-
durch bestärkt, daſs ihre Reiterschaaren bereits bis an die Gren-
zen der Treverer streiften. Indeſs als Caesar mit seinen Legio-
nen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Aus-
wanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern
bereit von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer
Hoheit in Frieden zu bestellen. Unterhandlungen darüber wur-

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[243/0253] DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS. Aquitanien gesandt mit dem Auftrag die daselbst wohnenden iberischen Stämme zur Anerkennung der römischen Herrschaft zu zwingen. Die Aufgabe war nicht ohne Schwierigkeit; die Iberer hielten fester zusammen als die Kelten und verstanden es besser als diese von ihren Feinden zu lernen. Die Stämme jen- seit der Pyrenäen, namentlich die tüchtigen Cantabrer sandten ihren bedrohten Landsleuten Zuzug; mit diesem kamen erfah- rene unter Sertorius Führung römisch geschulte Offiziere, die so weit möglich die Grundsätze der römischen Kriegskunst, nament- lich das Lagerschlagen, bei dem schon durch seine Zahl und seine Tapferkeit ansehnlichen aquitanischen Aufgebot einführten. Allein der vorzügliche Offizier, der die Römer führte, wuſste alle Schwierigkeiten zu überwinden und nach einigen hart bestritte- nen, aber glücklich gewonnenen Feldschlachten die Völkerschaf- ten von der Garonne bis nahe an die Pyrenäen zur Ergebung unter den neuen Herrn zu bestimmen. Die eine Aufgabe, die Caesar sich gestellt hatte, die Unter- werfung Galliens, war mit kaum nennenswerthen Ausnahmen im Wesentlichen so weit vollendet, als sie überhaupt mit dem Schwert sich vollenden lieſs. Allein die andere Hälfte des von Caesar be- gonnenen Werkes war noch bei weitem nicht genügend erledigt und die Deutschen noch keineswegs überall genöthigt den Rhein als Grenze anzuerkennen. Eben jetzt, im Winter 698/9, hatte an dem unteren Laufe des Flusses, bis wohin die Römer noch nicht vorgedrungen waren, eine abermalige Grenzüberschreitung stattgefunden. Die deutschen Stämme der Usipeten und Tencte- rer, deren Versuche über den Rhein zu setzen bereits erwähnt wurden (S. 226), waren bisher durch die Menapier hieran gehin- dert worden, endlich aber doch, die Wachsamkeit ihrer Gegner durch einen verstellten Abzug täuschend, auf den eigenen Schif- fen der Menapier übergegangen — ein ungeheurer Schwarm, der sich mit Einschluſs der Weiber und Kinder auf 430000 Köpfe belaufen haben soll. Noch lagerten sie, es scheint in der Gegend von Nymwegen und Kleve; aber es hieſs, daſs sie den Auffor- derungen der keltischen Patriotenpartei folgend in das innere Gallien einzurücken beabsichtigten, und das Gerücht ward da- durch bestärkt, daſs ihre Reiterschaaren bereits bis an die Gren- zen der Treverer streiften. Indeſs als Caesar mit seinen Legio- nen ihnen gegenüber anlangte, schienen die vielgeplagten Aus- wanderer nicht nach neuen Kämpfen begierig, sondern gern bereit von den Römern Land zu nehmen und es unter ihrer Hoheit in Frieden zu bestellen. Unterhandlungen darüber wur- 16*

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/253>, abgerufen am 22.11.2024.