unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Pro- vinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzö- gern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Vertheidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Oberrhein und dem Genfersee. Vom Bodensee bis zum atlantischen Ocean waren die deutschen Stämme in Be- wegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Mo- ment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende Reich der Caesaren warfen und jetzt gleich schien gegen die Kel- ten eben das ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Frühling 696 in dem narbonensischen Gallien ein, das zu seiner ursprünglichen, das diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden, Provinz durch Senatsbeschluss hinzuge- fügt worden war. Sein Amt, das ihm auf zuerst auf fünf, dann im J. 699 auf weitere fünf Jahre übertragen ward, gab ihm das Recht zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu er- nennen und -- wenigstens nach seiner Auslegung -- aus der be- sonders im diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfussvolk aus vier geschulten und krieggewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten oder höchstens 24000 Mann, wozu dann, wie üblich, die Unterthanencontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren ausserdem vertreten durch Reiter aus Spa- nien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleu- derer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren vornehmen jungen Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jünge- ren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Muthigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versäumt hatte und vor allen Dingen der Strom der deut- schen Invasion zu hemmen. Die mit der deutschen eng verfloch- tene Invasion der Helvetier war nach langjährigen Vorbereitun- gen eben im Begriff zu beginnen. Um sowohl die verlassenen
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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 kamen ihre Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Pro- vinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzö- gern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach in die von ihren Vertheidigern verlassene wichtige Landschaft zwischen dem Oberrhein und dem Genfersee. Vom Bodensee bis zum atlantischen Ocean waren die deutschen Stämme in Be- wegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Mo- ment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende Reich der Caesaren warfen und jetzt gleich schien gegen die Kel- ten eben das ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius Caesar im Frühling 696 in dem narbonensischen Gallien ein, das zu seiner ursprünglichen, das diesseitige Gallien nebst Istrien und Dalmatien umfassenden, Provinz durch Senatsbeschluſs hinzuge- fügt worden war. Sein Amt, das ihm auf zuerst auf fünf, dann im J. 699 auf weitere fünf Jahre übertragen ward, gab ihm das Recht zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu er- nennen und — wenigstens nach seiner Auslegung — aus der be- sonders im diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfuſsvolk aus vier geschulten und krieggewohnten Legionen, der siebenten, achten, neunten und zehnten oder höchstens 24000 Mann, wozu dann, wie üblich, die Unterthanencontingente hinzutraten. Reiterei und Leichtbewaffnete waren auſserdem vertreten durch Reiter aus Spa- nien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleu- derer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie, enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren vornehmen jungen Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jünge- ren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Muthigen lagen sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der Senat versäumt hatte und vor allen Dingen der Strom der deut- schen Invasion zu hemmen. Die mit der deutschen eng verfloch- tene Invasion der Helvetier war nach langjährigen Vorbereitun- gen eben im Begriff zu beginnen. Um sowohl die verlassenen
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DIE UNTERWERFUNG DES WESTENS.
unstet umherirrten, und andere kleinere Stämme machten mit
den Helvetiern gemeinschaftliche Sache. Bereits 693 kamen ihre
Streiftrupps über den Jura und selbst bis in die römische Pro-
vinz; der Aufbruch selbst konnte nicht mehr lange sich verzö-
gern; unvermeidlich rückten alsdann germanische Ansiedler nach
in die von ihren Vertheidigern verlassene wichtige Landschaft
zwischen dem Oberrhein und dem Genfersee. Vom Bodensee
bis zum atlantischen Ocean waren die deutschen Stämme in Be-
wegung, die ganze Rheinlinie von ihnen bedroht; es war ein Mo-
ment wie da die Alamannen und Franken sich über das sinkende
Reich der Caesaren warfen und jetzt gleich schien gegen die Kel-
ten eben das ins Werk gesetzt werden zu sollen, was ein halbes
Jahrtausend später gegen die Römer gelang.
Unter diesen Verhältnissen traf der neue Statthalter Gaius
Caesar im Frühling 696 in dem narbonensischen Gallien ein, das
zu seiner ursprünglichen, das diesseitige Gallien nebst Istrien und
Dalmatien umfassenden, Provinz durch Senatsbeschluſs hinzuge-
fügt worden war. Sein Amt, das ihm auf zuerst auf fünf, dann
im J. 699 auf weitere fünf Jahre übertragen ward, gab ihm das
Recht zehn Unterbefehlshaber von proprätorischem Rang zu er-
nennen und — wenigstens nach seiner Auslegung — aus der be-
sonders im diesseitigen Gallien zahlreichen Bürgerbevölkerung
des ihm gehorchenden Gebiets nach Gutdünken seine Legionen
zu ergänzen oder auch neue zu bilden. Das Heer, das er in den
beiden Provinzen übernahm, bestand an Linienfuſsvolk aus vier
geschulten und krieggewohnten Legionen, der siebenten, achten,
neunten und zehnten oder höchstens 24000 Mann, wozu dann,
wie üblich, die Unterthanencontingente hinzutraten. Reiterei und
Leichtbewaffnete waren auſserdem vertreten durch Reiter aus Spa-
nien und numidische, kretische, balearische Schützen und Schleu-
derer. Caesars Stab, die Elite der hauptstädtischen Demokratie,
enthielt neben nicht wenigen unbrauchbaren vornehmen jungen
Männern einzelne fähige Offiziere, wie Publius Crassus, den jünge-
ren Sohn des alten politischen Bundesgenossen Caesars, und Titus
Labienus, der dem Haupt der Demokratie als treuer Adjutant vom
Forum auf das Schlachtfeld gefolgt war. Bestimmte Aufträge hatte
Caesar nicht erhalten; für den Einsichtigen und Muthigen lagen
sie in den Verhältnissen. Auch hier war nachzuholen, was der
Senat versäumt hatte und vor allen Dingen der Strom der deut-
schen Invasion zu hemmen. Die mit der deutschen eng verfloch-
tene Invasion der Helvetier war nach langjährigen Vorbereitun-
gen eben im Begriff zu beginnen. Um sowohl die verlassenen
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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/237>, abgerufen am 28.11.2024.
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