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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

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FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ihre Zweckmässigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung
von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich
die Gebäude selbst in den Städten der Allobrogen allein aus Holz
aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und
ebenso viele die Suessionen; wogegen freilich in den nördlicheren
Districten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte
gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen
und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseit
der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durch-
aus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zu-
fluchtsstätte für Menschen und Heerden war. Mit der verhältniss-
mässig bedeutenden Entwickelung des städtischen Lebens steht in
enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu
Wasser. Ueberall gab es Strassen und Brücken. Die Flussschiff-
fahrt, wozu Ströme wie die Rhone, Garonne, Loire und Seine
von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit
merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloss
sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst
den atlantischen Ocean regelmässig befahren hat, sondern wir
finden hier auch die Kunst Schiffe zu bauen und zu lenken in
einer eigenthümlichen sonst in der alten Welt nicht wieder vor-
kommenden Entwickelung. Zwar auf dem Kanal bediente man
sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer
lederner Kähne, die im Wesentlichen gewöhnliche Ruderböte ge-
wesen zu sein scheinen. Aber die Völker an der Westküste Gal-
liens, die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter fuhren
nach Britannien mit grossen freilich plump gebauten Schiffen, die
nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und
eisernen Ankerketten versehen waren. Wenn die Phönikier, Hel-
lenen und Römer, wie es die Natur der von ihnen befahrenen Ge-
wässer begreiflich macht, durchaus bei der Fluss- und Küsten-
schiffahrt und darum bei dem Ruder stehen geblieben sind und
das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwandt
haben, so begegnen wir hier wie zuerst der Schiffahrt auf einer
freieren See, so auch zuerst dem wirklichen Segelschiff -- ein
Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt
nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Re-
sultate erst unsere verjüngte Culturperiode beschäftigt ist all-
mählich zu ziehen. Bei diesem regelmässigen Seeverkehr zwi-
schen der brittischen und der gallischen Küste ist die überaus
enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwoh-
nern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des über-

FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII.
ihre Zweckmäſsigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung
von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich
die Gebäude selbst in den Städten der Allobrogen allein aus Holz
aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und
ebenso viele die Suessionen; wogegen freilich in den nördlicheren
Districten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte
gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen
und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseit
der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durch-
aus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zu-
fluchtsstätte für Menschen und Heerden war. Mit der verhältniſs-
mäſsig bedeutenden Entwickelung des städtischen Lebens steht in
enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu
Wasser. Ueberall gab es Straſsen und Brücken. Die Fluſsschiff-
fahrt, wozu Ströme wie die Rhone, Garonne, Loire und Seine
von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit
merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloſs
sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst
den atlantischen Ocean regelmäſsig befahren hat, sondern wir
finden hier auch die Kunst Schiffe zu bauen und zu lenken in
einer eigenthümlichen sonst in der alten Welt nicht wieder vor-
kommenden Entwickelung. Zwar auf dem Kanal bediente man
sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer
lederner Kähne, die im Wesentlichen gewöhnliche Ruderböte ge-
wesen zu sein scheinen. Aber die Völker an der Westküste Gal-
liens, die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter fuhren
nach Britannien mit groſsen freilich plump gebauten Schiffen, die
nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und
eisernen Ankerketten versehen waren. Wenn die Phönikier, Hel-
lenen und Römer, wie es die Natur der von ihnen befahrenen Ge-
wässer begreiflich macht, durchaus bei der Fluſs- und Küsten-
schiffahrt und darum bei dem Ruder stehen geblieben sind und
das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwandt
haben, so begegnen wir hier wie zuerst der Schiffahrt auf einer
freieren See, so auch zuerst dem wirklichen Segelschiff — ein
Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt
nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Re-
sultate erst unsere verjüngte Culturperiode beschäftigt ist all-
mählich zu ziehen. Bei diesem regelmäſsigen Seeverkehr zwi-
schen der brittischen und der gallischen Küste ist die überaus
enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwoh-
nern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des über-

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[210/0220] FÜNFTES BUCH. KAPITEL VII. ihre Zweckmäſsigkeit als durch die zierliche Ineinanderfügung von Balken und Steinen den Römern auffielen, während freilich die Gebäude selbst in den Städten der Allobrogen allein aus Holz aufgeführt waren. Solcher Städte hatten die Helvetier zwölf und ebenso viele die Suessionen; wogegen freilich in den nördlicheren Districten, zum Beispiel bei den Nerviern, es wohl auch Städte gab, aber doch die Bevölkerung im Kriege mehr in den Sümpfen und Wäldern als hinter den Mauern Schutz suchte und jenseit der Themse gar die primitive Schutzwehr der Waldverhacke durch- aus an die Stelle der Städte trat und im Krieg die einzige Zu- fluchtsstätte für Menschen und Heerden war. Mit der verhältniſs- mäſsig bedeutenden Entwickelung des städtischen Lebens steht in enger Verbindung die Regsamkeit des Verkehrs zu Lande und zu Wasser. Ueberall gab es Straſsen und Brücken. Die Fluſsschiff- fahrt, wozu Ströme wie die Rhone, Garonne, Loire und Seine von selber aufforderten, war ansehnlich und ergiebig. Aber weit merkwürdiger noch ist die Seeschiffahrt der Kelten. Nicht bloſs sind die Kelten allem Anschein nach diejenige Nation, die zuerst den atlantischen Ocean regelmäſsig befahren hat, sondern wir finden hier auch die Kunst Schiffe zu bauen und zu lenken in einer eigenthümlichen sonst in der alten Welt nicht wieder vor- kommenden Entwickelung. Zwar auf dem Kanal bediente man sich zu Caesars Zeit wie noch lange nachher einer Art tragbarer lederner Kähne, die im Wesentlichen gewöhnliche Ruderböte ge- wesen zu sein scheinen. Aber die Völker an der Westküste Gal- liens, die Santonen, die Pictonen, vor allem die Veneter fuhren nach Britannien mit groſsen freilich plump gebauten Schiffen, die nicht mit Rudern bewegt wurden, sondern mit Ledersegeln und eisernen Ankerketten versehen waren. Wenn die Phönikier, Hel- lenen und Römer, wie es die Natur der von ihnen befahrenen Ge- wässer begreiflich macht, durchaus bei der Fluſs- und Küsten- schiffahrt und darum bei dem Ruder stehen geblieben sind und das Segel nur als gelegentliche Verstärkung des Ruders verwandt haben, so begegnen wir hier wie zuerst der Schiffahrt auf einer freieren See, so auch zuerst dem wirklichen Segelschiff — ein Fortschritt, den freilich die sinkende Regsamkeit der alten Welt nicht zu nutzen verstanden hat und dessen unübersehliche Re- sultate erst unsere verjüngte Culturperiode beschäftigt ist all- mählich zu ziehen. Bei diesem regelmäſsigen Seeverkehr zwi- schen der brittischen und der gallischen Küste ist die überaus enge politische Verbindung zwischen den beiderseitigen Anwoh- nern des Kanals ebenso erklärlich wie das Aufblühen des über-

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/220>, abgerufen am 24.11.2024.