Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI. eilte, inzwischen mit dessen Banden fertig geworden war und da-mit der schicklichste Vorwand die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht anklammerte und bei dem der Vorwand ungefähr eben so viel wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, dass, selbst wenn er sein Heer ent- lasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Nothfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige Armee aufzubringen vermöge; dass die Demokratie in unterwür- figer Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem renitenten Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plau- sibel erscheinen zu lassen. Den Ausschlag gab natürlich wieder- um Pompeius eigenstes Naturell. Er gehört zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insubordina- tion; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die sittliche Nothwendigkeit, gemeine als die hergehrachte alltägliche Regel; eben darum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Routine auftritt, jeden nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, dass der Soldat, auch wenn er den Ent- schluss gefasst hat seinem Vorgesetzten den Gehorsam zu versa- gen, dennoch, wenn Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wie- der in Reihe und Glied tritt; es war dieses Gefühl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treubruch schwan- ken und scheitern machte und auch Pompeius ist demselben un- terlegen. -- Im Herbst 692 schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete den neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, dass Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit gerin- gem Gefolg die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glück ist eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das Glück nie mehr für einen Sterblichen gethan als es für Pom- peius that; aber an den Muthlosen verschwenden die Götter um- sonst alle Gunst und alle Gabe. Die Parteien athmeten auf. Zum zweiten Mal hatte Pompeius FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI. eilte, inzwischen mit dessen Banden fertig geworden war und da-mit der schicklichste Vorwand die asiatischen Legionen in Italien zusammenzuhalten hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht anklammerte und bei dem der Vorwand ungefähr eben so viel wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er mochte sich ferner sagen, daſs, selbst wenn er sein Heer ent- lasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Nothfall doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige Armee aufzubringen vermöge; daſs die Demokratie in unterwür- figer Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem renitenten Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plau- sibel erscheinen zu lassen. Den Ausschlag gab natürlich wieder- um Pompeius eigenstes Naturell. Er gehört zu den Menschen, die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insubordina- tion; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die sittliche Nothwendigkeit, gemeine als die hergehrachte alltägliche Regel; eben darum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr als irgendwo sonst das Gesetz als Routine auftritt, jeden nicht ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist oft beobachtet worden, daſs der Soldat, auch wenn er den Ent- schluſs gefaſst hat seinem Vorgesetzten den Gehorsam zu versa- gen, dennoch, wenn Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wie- der in Reihe und Glied tritt; es war dieses Gefühl, das Lafayette und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treubruch schwan- ken und scheitern machte und auch Pompeius ist demselben un- terlegen. — Im Herbst 692 schiffte Pompeius nach Italien sich ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete den neuen Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daſs Pompeius, kaum in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit gerin- gem Gefolg die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn es ein Glück ist eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das Glück nie mehr für einen Sterblichen gethan als es für Pom- peius that; aber an den Muthlosen verschwenden die Götter um- sonst alle Gunst und alle Gabe. Die Parteien athmeten auf. Zum zweiten Mal hatte Pompeius <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0196" n="186"/><fw place="top" type="header">FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.</fw><lb/> eilte, inzwischen mit dessen Banden fertig geworden war und da-<lb/> mit der schicklichste Vorwand die asiatischen Legionen in Italien<lb/> zusammenzuhalten hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius<lb/> Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen<lb/> Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht<lb/> anklammerte und bei dem der Vorwand ungefähr eben so viel<lb/> wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er<lb/> mochte sich ferner sagen, daſs, selbst wenn er sein Heer ent-<lb/> lasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Nothfall<lb/> doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige<lb/> Armee aufzubringen vermöge; daſs die Demokratie in unterwür-<lb/> figer Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem renitenten<lb/> Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter<lb/> sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug<lb/> Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plau-<lb/> sibel erscheinen zu lassen. Den Ausschlag gab natürlich wieder-<lb/> um Pompeius eigenstes Naturell. Er gehört zu den Menschen,<lb/> die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insubordina-<lb/> tion; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch<lb/> Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die<lb/> sittliche Nothwendigkeit, gemeine als die hergehrachte alltägliche<lb/> Regel; eben darum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr<lb/> als irgendwo sonst das Gesetz als Routine auftritt, jeden nicht<lb/> ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist<lb/> oft beobachtet worden, daſs der Soldat, auch wenn er den Ent-<lb/> schluſs gefaſst hat seinem Vorgesetzten den Gehorsam zu versa-<lb/> gen, dennoch, wenn Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wie-<lb/> der in Reihe und Glied tritt; es war dieses Gefühl, das Lafayette<lb/> und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treubruch schwan-<lb/> ken und scheitern machte und auch Pompeius ist demselben un-<lb/> terlegen. — Im Herbst 692 schiffte Pompeius nach Italien sich<lb/> ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete den neuen<lb/> Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daſs Pompeius, kaum<lb/> in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit gerin-<lb/> gem Gefolg die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn<lb/> es ein Glück ist eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das<lb/> Glück nie mehr für einen Sterblichen gethan als es für Pom-<lb/> peius that; aber an den Muthlosen verschwenden die Götter um-<lb/> sonst alle Gunst und alle Gabe.</p><lb/> <p>Die Parteien athmeten auf. Zum zweiten Mal hatte Pompeius<lb/> abdicirt; die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals<lb/> den Wettlauf beginnen, wobei wohl das Wunderlichste war, daſs<lb/></p> </div> </div> </body> </text> </TEI> [186/0196]
FÜNFTES BUCH. KAPITEL VI.
eilte, inzwischen mit dessen Banden fertig geworden war und da-
mit der schicklichste Vorwand die asiatischen Legionen in Italien
zusammenzuhalten hinwegfiel. Für einen Mann von Pompeius
Art, der in Ermangelung des Glaubens an sich und an seinen
Stern sich im öffentlichen Leben ängstlich an das formale Recht
anklammerte und bei dem der Vorwand ungefähr eben so viel
wog wie der Grund, fiel dieser Umstand schwer ins Gewicht. Er
mochte sich ferner sagen, daſs, selbst wenn er sein Heer ent-
lasse, er dasselbe nicht völlig aus der Hand gebe und im Nothfall
doch noch eher als jedes andere Parteihaupt eine schlagfertige
Armee aufzubringen vermöge; daſs die Demokratie in unterwür-
figer Haltung seines Winkes gewärtig und mit dem renitenten
Senat auch ohne Soldaten fertig zu werden sei und was weiter
sich von solchen Erwägungen darbot, in denen gerade genug
Wahres war, um sie dem, der sich selber betrügen wollte, plau-
sibel erscheinen zu lassen. Den Ausschlag gab natürlich wieder-
um Pompeius eigenstes Naturell. Er gehört zu den Menschen,
die wohl eines Verbrechens fähig sind, aber keiner Insubordina-
tion; im guten wie im schlimmen Sinne war er durch und durch
Soldat. Bedeutende Individualitäten achten das Gesetz als die
sittliche Nothwendigkeit, gemeine als die hergehrachte alltägliche
Regel; eben darum fesselt die militärische Ordnung, in der mehr
als irgendwo sonst das Gesetz als Routine auftritt, jeden nicht
ganz in sich festen Menschen wie mit einem Zauberbann. Es ist
oft beobachtet worden, daſs der Soldat, auch wenn er den Ent-
schluſs gefaſst hat seinem Vorgesetzten den Gehorsam zu versa-
gen, dennoch, wenn Gehorsam gefordert wird, unwillkürlich wie-
der in Reihe und Glied tritt; es war dieses Gefühl, das Lafayette
und Dumouriez im letzten Augenblick vor dem Treubruch schwan-
ken und scheitern machte und auch Pompeius ist demselben un-
terlegen. — Im Herbst 692 schiffte Pompeius nach Italien sich
ein. Während in der Hauptstadt alles sich bereitete den neuen
Monarchen zu empfangen, kam der Bericht, daſs Pompeius, kaum
in Brundisium gelandet, seine Legionen aufgelöst und mit gerin-
gem Gefolg die Reise nach der Hauptstadt angetreten habe. Wenn
es ein Glück ist eine Krone mühelos zu gewinnen, so hat das
Glück nie mehr für einen Sterblichen gethan als es für Pom-
peius that; aber an den Muthlosen verschwenden die Götter um-
sonst alle Gunst und alle Gabe.
Die Parteien athmeten auf. Zum zweiten Mal hatte Pompeius
abdicirt; die schon überwundenen Mitbewerber konnten abermals
den Wettlauf beginnen, wobei wohl das Wunderlichste war, daſs
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |