Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Ordnung, welche die Tödtung eines Geächteten straflos erklärte,
kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den
Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Lu-
scius vor seine Geschwornen stellen und zum Theil auch verur-
theilen liess. Endlich unterliess man nicht die lange verfehmten
Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder
öffentlich zu nennen und ihr Andenken zu feiern. Wie Saturni-
nus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozess offiziell
rehabilitirt ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen
Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nen-
nung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, dass
derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen
Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Füh-
rers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im
J. 686 Gaius Caesar es wagte den Verboten zum Trotz bei der
Beerdigung der Wittwe des Marius die verehrten Züge des Helden
auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Als aber gar drei Jahre
nachher (689) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Capitol
hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens Allen
unerwartet wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Mar-
mor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem africani-
schen und kimbrischen Kriege, Thränen in den Augen, um das
Bild des geliebten Feldherrn und den jubelnden Massen gegen-
über wagte der Senat nicht an den Trophäen sich zu vergrei-
fen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz er-
neuert hatte.

Indess all dieses Treiben und Hadern, so viel Lärm es auch
machte, war politisch betrachtet nur von sehr untergeordneter
Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans
Ruder gelangt. Dass die Kleinen und Kleinsten herbeieilten um
dem am Boden liegenden Feind noch einen Fusstritt zu versetzen;
dass auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Princi-
piencult hatten; dass ihre Doctrinäre nicht ruhten, bis die sämmt-
lichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wieder herge-
stellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie
Legitimisten es pflegen -- das alles war ebenso begreiflich wie
gleichgültig. Im Ganzen genommen ist die Agitation ziellos und
sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an einen Gegenstand
für ihre Thätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durch-
aus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht.
Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristo-
kratie waren die Demokraten Sieger geblieben; die Feuerprobe

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
Ordnung, welche die Tödtung eines Geächteten straflos erklärte,
kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den
Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Lu-
scius vor seine Geschwornen stellen und zum Theil auch verur-
theilen lieſs. Endlich unterlieſs man nicht die lange verfehmten
Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder
öffentlich zu nennen und ihr Andenken zu feiern. Wie Saturni-
nus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeſs offiziell
rehabilitirt ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen
Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nen-
nung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daſs
derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen
Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Füh-
rers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im
J. 686 Gaius Caesar es wagte den Verboten zum Trotz bei der
Beerdigung der Wittwe des Marius die verehrten Züge des Helden
auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Als aber gar drei Jahre
nachher (689) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Capitol
hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens Allen
unerwartet wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Mar-
mor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem africani-
schen und kimbrischen Kriege, Thränen in den Augen, um das
Bild des geliebten Feldherrn und den jubelnden Massen gegen-
über wagte der Senat nicht an den Trophäen sich zu vergrei-
fen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz er-
neuert hatte.

Indeſs all dieses Treiben und Hadern, so viel Lärm es auch
machte, war politisch betrachtet nur von sehr untergeordneter
Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans
Ruder gelangt. Daſs die Kleinen und Kleinsten herbeieilten um
dem am Boden liegenden Feind noch einen Fuſstritt zu versetzen;
daſs auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Princi-
piencult hatten; daſs ihre Doctrinäre nicht ruhten, bis die sämmt-
lichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wieder herge-
stellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie
Legitimisten es pflegen — das alles war ebenso begreiflich wie
gleichgültig. Im Ganzen genommen ist die Agitation ziellos und
sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an einen Gegenstand
für ihre Thätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durch-
aus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht.
Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristo-
kratie waren die Demokraten Sieger geblieben; die Feuerprobe

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0165" n="155"/><fw place="top" type="header">DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.</fw><lb/>
Ordnung, welche die Tödtung eines Geächteten straflos erklärte,<lb/>
kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den<lb/>
Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Lu-<lb/>
scius vor seine Geschwornen stellen und zum Theil auch verur-<lb/>
theilen lie&#x017F;s. Endlich unterlie&#x017F;s man nicht die lange verfehmten<lb/>
Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder<lb/>
öffentlich zu nennen und ihr Andenken zu feiern. Wie Saturni-<lb/>
nus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Proze&#x017F;s offiziell<lb/>
rehabilitirt ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen<lb/>
Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nen-<lb/>
nung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, da&#x017F;s<lb/>
derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen<lb/>
Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Füh-<lb/>
rers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im<lb/>
J. 686 Gaius Caesar es wagte den Verboten zum Trotz bei der<lb/>
Beerdigung der Wittwe des Marius die verehrten Züge des Helden<lb/>
auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Als aber gar drei Jahre<lb/>
nachher (689) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Capitol<lb/>
hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens Allen<lb/>
unerwartet wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Mar-<lb/>
mor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem africani-<lb/>
schen und kimbrischen Kriege, Thränen in den Augen, um das<lb/>
Bild des geliebten Feldherrn und den jubelnden Massen gegen-<lb/>
über wagte der Senat nicht an den Trophäen sich zu vergrei-<lb/>
fen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz er-<lb/>
neuert hatte.</p><lb/>
          <p>Inde&#x017F;s all dieses Treiben und Hadern, so viel Lärm es auch<lb/>
machte, war politisch betrachtet nur von sehr untergeordneter<lb/>
Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans<lb/>
Ruder gelangt. Da&#x017F;s die Kleinen und Kleinsten herbeieilten um<lb/>
dem am Boden liegenden Feind noch einen Fu&#x017F;stritt zu versetzen;<lb/>
da&#x017F;s auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Princi-<lb/>
piencult hatten; da&#x017F;s ihre Doctrinäre nicht ruhten, bis die sämmt-<lb/>
lichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wieder herge-<lb/>
stellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie<lb/>
Legitimisten es pflegen &#x2014; das alles war ebenso begreiflich wie<lb/>
gleichgültig. Im Ganzen genommen ist die Agitation ziellos und<lb/>
sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an einen Gegenstand<lb/>
für ihre Thätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durch-<lb/>
aus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht.<lb/>
Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristo-<lb/>
kratie waren die Demokraten Sieger geblieben; die Feuerprobe<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0165] DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT. Ordnung, welche die Tödtung eines Geächteten straflos erklärte, kurzweg als nichtig behandelte und die namhaftesten unter den Schergen Sullas, Lucius Catilina, Lucius Bellienus, Lucius Lu- scius vor seine Geschwornen stellen und zum Theil auch verur- theilen lieſs. Endlich unterlieſs man nicht die lange verfehmten Namen der Helden und Märtyrer der Demokratie jetzt wieder öffentlich zu nennen und ihr Andenken zu feiern. Wie Saturni- nus durch den gegen seinen Mörder gerichteten Prozeſs offiziell rehabilitirt ward, ist schon erzählt worden. Aber einen anderen Klang noch hatte der Name des Gaius Marius, bei dessen Nen- nung einst alle Herzen geklopft hatten; und es traf sich, daſs derselbe Mann, dem Italien die Errettung von den nordischen Barbaren verdankte, zugleich der Oheim des gegenwärtigen Füh- rers der Demokratie war. Laut hatte die Menge gejubelt, als im J. 686 Gaius Caesar es wagte den Verboten zum Trotz bei der Beerdigung der Wittwe des Marius die verehrten Züge des Helden auf dem Markte öffentlich zu zeigen. Als aber gar drei Jahre nachher (689) die Siegeszeichen, die Marius auf dem Capitol hatte errichten und Sulla umstürzen lassen, eines Morgens Allen unerwartet wieder an der alten Stelle frisch in Gold und Mar- mor glänzten, da drängten sich die Invaliden aus dem africani- schen und kimbrischen Kriege, Thränen in den Augen, um das Bild des geliebten Feldherrn und den jubelnden Massen gegen- über wagte der Senat nicht an den Trophäen sich zu vergrei- fen, welche dieselbe kühne Hand den Gesetzen zum Trotz er- neuert hatte. Indeſs all dieses Treiben und Hadern, so viel Lärm es auch machte, war politisch betrachtet nur von sehr untergeordneter Bedeutung. Die Oligarchie war überwunden, die Demokratie ans Ruder gelangt. Daſs die Kleinen und Kleinsten herbeieilten um dem am Boden liegenden Feind noch einen Fuſstritt zu versetzen; daſs auch die Demokraten ihren Rechtsboden und ihren Princi- piencult hatten; daſs ihre Doctrinäre nicht ruhten, bis die sämmt- lichen Privilegien der Gemeinde in allen Stücken wieder herge- stellt waren und dabei gelegentlich sich lächerlich machten, wie Legitimisten es pflegen — das alles war ebenso begreiflich wie gleichgültig. Im Ganzen genommen ist die Agitation ziellos und sieht man ihr die Verlegenheit der Urheber an einen Gegenstand für ihre Thätigkeit zu finden, wie sie sich denn auch fast durch- aus um wesentlich schon erledigte oder um Nebensachen dreht. Es konnte nicht anders sein. In dem Kampfe gegen die Aristo- kratie waren die Demokraten Sieger geblieben; die Feuerprobe

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/165
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/165>, abgerufen am 26.11.2024.