Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856.

Bild:
<< vorherige Seite

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen
(II, 240) hatte erneuern lassen (31. Dec. 687), ward von den
leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouirt und mit
ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durch-
bringung vom Senate cassirt. In demselben Sinn wurden im
J. 689 durch Volksbeschluss die sämmtlichen Fremden, die
weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besassen, aus der
Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der
gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlosse-
nen um Aufnahme in den Kreis der Privilegirten und dem der
Privilegirten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung
zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während
Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürger-
recht in Aussicht stellten, gaben sie andrerseits ihre Zustimmung
zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu
der barbarischen Beseitigung der Concurrenz, die die Industrie
und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien
selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die
Demokratie hinsichtlich der alten Criminalgerichtsbarkeit der Co-
mitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben,
aber thatsächlich war sie doch durch die Geschwornencommis-
sionen über Hochverrath und Mord ersetzt worden (II, 343) und
an eine ernstliche Wiederherstellung des alten schon lange vor
Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünf-
tiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouve-
ränetät eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der
Bürgerschaft wenigstens im Princip zu fordern schien, so zog
der Volkstribun Titus Labienus im J. 691 den alten Mann, der
vor achtunddreissig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus
erschlagen hatte oder haben sollte (II, 198), vor dasselbe hoch-
nothpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht
berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius
Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getödtet, doch wenig-
stens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der
Vornehmen Parade gemacht hatte und der überdies unter den
apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und
seiner Blutthaten verrufen war. Es war wenn nicht dem An-
kläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm stan-
den, durchaus nicht darum zu thun diesen elenden Gesellen den
Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern liess man es
geschehen, dass zunächst die Form der Anklage vom Senat we-

DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.
sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen
(II, 240) hatte erneuern lassen (31. Dec. 687), ward von den
leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouirt und mit
ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durch-
bringung vom Senate cassirt. In demselben Sinn wurden im
J. 689 durch Volksbeschluſs die sämmtlichen Fremden, die
weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaſsen, aus der
Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der
gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlosse-
nen um Aufnahme in den Kreis der Privilegirten und dem der
Privilegirten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung
zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während
Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürger-
recht in Aussicht stellten, gaben sie andrerseits ihre Zustimmung
zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu
der barbarischen Beseitigung der Concurrenz, die die Industrie
und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien
selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die
Demokratie hinsichtlich der alten Criminalgerichtsbarkeit der Co-
mitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben,
aber thatsächlich war sie doch durch die Geschwornencommis-
sionen über Hochverrath und Mord ersetzt worden (II, 343) und
an eine ernstliche Wiederherstellung des alten schon lange vor
Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünf-
tiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouve-
ränetät eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der
Bürgerschaft wenigstens im Princip zu fordern schien, so zog
der Volkstribun Titus Labienus im J. 691 den alten Mann, der
vor achtunddreiſsig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus
erschlagen hatte oder haben sollte (II, 198), vor dasselbe hoch-
nothpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht
berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius
Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getödtet, doch wenig-
stens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der
Vornehmen Parade gemacht hatte und der überdies unter den
apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und
seiner Blutthaten verrufen war. Es war wenn nicht dem An-
kläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm stan-
den, durchaus nicht darum zu thun diesen elenden Gesellen den
Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern lieſs man es
geschehen, daſs zunächst die Form der Anklage vom Senat we-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0163" n="153"/><fw place="top" type="header">DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT.</fw><lb/>
sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen<lb/>
(II, 240) hatte erneuern lassen (31. Dec. 687), ward von den<lb/>
leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouirt und mit<lb/>
ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durch-<lb/>
bringung vom Senate cassirt. In demselben Sinn wurden im<lb/>
J. 689 durch Volksbeschlu&#x017F;s die sämmtlichen Fremden, die<lb/>
weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besa&#x017F;sen, aus der<lb/>
Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der<lb/>
gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlosse-<lb/>
nen um Aufnahme in den Kreis der Privilegirten und dem der<lb/>
Privilegirten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung<lb/>
zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während<lb/>
Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürger-<lb/>
recht in Aussicht stellten, gaben sie andrerseits ihre Zustimmung<lb/>
zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu<lb/>
der barbarischen Beseitigung der Concurrenz, die die Industrie<lb/>
und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien<lb/>
selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die<lb/>
Demokratie hinsichtlich der alten Criminalgerichtsbarkeit der Co-<lb/>
mitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben,<lb/>
aber thatsächlich war sie doch durch die Geschwornencommis-<lb/>
sionen über Hochverrath und Mord ersetzt worden (II, 343) und<lb/>
an eine ernstliche Wiederherstellung des alten schon lange vor<lb/>
Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünf-<lb/>
tiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouve-<lb/>
ränetät eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der<lb/>
Bürgerschaft wenigstens im Princip zu fordern schien, so zog<lb/>
der Volkstribun Titus Labienus im J. 691 den alten Mann, der<lb/>
vor achtunddrei&#x017F;sig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus<lb/>
erschlagen hatte oder haben sollte (II, 198), vor dasselbe hoch-<lb/>
nothpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht<lb/>
berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius<lb/>
verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius<lb/>
Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getödtet, doch wenig-<lb/>
stens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der<lb/>
Vornehmen Parade gemacht hatte und der überdies unter den<lb/>
apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und<lb/>
seiner Blutthaten verrufen war. Es war wenn nicht dem An-<lb/>
kläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm stan-<lb/>
den, durchaus nicht darum zu thun diesen elenden Gesellen den<lb/>
Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern lie&#x017F;s man es<lb/>
geschehen, da&#x017F;s zunächst die Form der Anklage vom Senat we-<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[153/0163] DER PARTEIENKAMPF WÄHREND POMPEIUS ABWESENHEIT. sulpicische Gesetz über das Stimmrecht der Freigelassenen (II, 240) hatte erneuern lassen (31. Dec. 687), ward von den leitenden Männern der Demokratie alsbald desavouirt und mit ihrer Zustimmung das Gesetz schon am Tage nach seiner Durch- bringung vom Senate cassirt. In demselben Sinn wurden im J. 689 durch Volksbeschluſs die sämmtlichen Fremden, die weder römisches noch latinisches Bürgerrecht besaſsen, aus der Hauptstadt ausgewiesen. Man sieht, der innere Widerspruch der gracchischen Politik, zugleich dem Bestreben der Ausgeschlosse- nen um Aufnahme in den Kreis der Privilegirten und dem der Privilegirten um Aufrechterhaltung ihrer Sonderrechte Rechnung zu tragen, war auch auf ihre Nachfolger übergegangen: während Caesar und die Seinen einerseits den Transpadanern das Bürger- recht in Aussicht stellten, gaben sie andrerseits ihre Zustimmung zu der Fortdauer der Zurücksetzung der Freigelassenen und zu der barbarischen Beseitigung der Concurrenz, die die Industrie und das Handelsgeschick der Hellenen und Orientalen in Italien selber den Italikern machte. Charakteristisch ist die Art, wie die Demokratie hinsichtlich der alten Criminalgerichtsbarkeit der Co- mitien verfuhr. Sulla hatte dieselbe nicht eigentlich aufgehoben, aber thatsächlich war sie doch durch die Geschwornencommis- sionen über Hochverrath und Mord ersetzt worden (II, 343) und an eine ernstliche Wiederherstellung des alten schon lange vor Sulla durchaus unpraktischen Verfahrens konnte kein vernünf- tiger Mensch denken. Aber da doch die Idee der Volkssouve- ränetät eine Anerkennung der peinlichen Gerichtsbarkeit der Bürgerschaft wenigstens im Princip zu fordern schien, so zog der Volkstribun Titus Labienus im J. 691 den alten Mann, der vor achtunddreiſsig Jahren den Volkstribun Lucius Saturninus erschlagen hatte oder haben sollte (II, 198), vor dasselbe hoch- nothpeinliche Halsgericht, kraft dessen, wenn die Chronik recht berichtete, der König Tullus den Schwestermörder Horatius verrechtfertigt hatte. Der Angeklagte war ein gewisser Gaius Rabirius, der den Saturninus wenn nicht getödtet, doch wenig- stens mit dem abgehauenen Kopf desselben an den Tafeln der Vornehmen Parade gemacht hatte und der überdies unter den apulischen Gutsbesitzern wegen seiner Menschenfängerei und seiner Blutthaten verrufen war. Es war wenn nicht dem An- kläger selbst, doch den klügeren Männern, die hinter ihm stan- den, durchaus nicht darum zu thun diesen elenden Gesellen den Tod am Kreuze sterben zu lassen; nicht ungern lieſs man es geschehen, daſs zunächst die Form der Anklage vom Senat we-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/163
Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 3: Von Sullas Tode bis zur Schlacht von Thapsus. Leipzig, 1856, S. 153. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische03_1856/163>, abgerufen am 04.05.2024.