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Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.

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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
auch der Tribus- und Centurienbeschluss in dieser Zeit wesent-
lich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisirter Be-
schluss des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen
Stimmversammlungen, den Comitien, im Ganzen noch bloss die
Bürger zugelassen wurden, so wenig man es auch mit der Qua-
lification genau nahm; so war dagegen in den blossen Volksver-
sammlungen, den Contionen, platz- und schreiberechtigt wer nur
zwei Beine hatte, Aegypter und Juden, Sclaven und Gassenbuben.
In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Mee-
ting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschliessen. Allein
thatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die
Gassenmeinung eine Macht in Rom; bald kam etwas darauf an,
ob diese wüste Masse bei dem was ihr mitgetheilt ward schwieg
oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner aus-
pfiff und anheulte. Nicht Viele hatten den Muth ihnen zuzurufen,
wie es Scipio Aemilianus that, als diese Bande wegen seiner
Aeusserung über den Tod seines Schwagers ihn auszischte, dass
solches Volk nicht mitzureden habe auf dem römischen Markt:
ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist, sondern Stief-
mutter, ihr habt zu schweigen! und da sie noch lauter tobten:
ihr meint doch nicht, dass ich die losgebunden fürchten werde,
die ich in Ketten auf den Sclavenmarkt geschickt habe? -- Dass
man der verrosteten Maschine der Comitien sich für die Wahlen
und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug; aber
wenn man diesen Massen, zunächst den Comitien und factisch
auch den Contionen, den Eingriff in die Verwaltung gestattete
und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solchen Eingriffs
aus den Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus
dem gemeinen Seckel sich selber Aecker sammt Zubehör decre-
tiren liess, wenn man einem Jeden, dem die Verhältnisse und
sein Einfluss beim Proletariat es möglich machten die Gassen
auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete sei-
nen Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens
aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende
der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern
bei der Monarchie. In diesem Sinne ist der bittere Tadel des fla-
minischen Ackergesetzes von 522 (I. 373. 622) gerechtfertigt,
das nicht etwa die eigentliche Aristokratie, sondern die Männer
des scipionischen Kreises als den Anfang des Verfalls der römi-
schen Grösse bezeichneten; in der That erscheint hier zuerst,
nachdem die Comitien aufgehört hatten ein städtisches Vogtding

VIERTES BUCH. KAPITEL II.
auch der Tribus- und Centurienbeschluſs in dieser Zeit wesent-
lich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisirter Be-
schluſs des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen
Stimmversammlungen, den Comitien, im Ganzen noch bloſs die
Bürger zugelassen wurden, so wenig man es auch mit der Qua-
lification genau nahm; so war dagegen in den bloſsen Volksver-
sammlungen, den Contionen, platz- und schreiberechtigt wer nur
zwei Beine hatte, Aegypter und Juden, Sclaven und Gassenbuben.
In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Mee-
ting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschlieſsen. Allein
thatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die
Gassenmeinung eine Macht in Rom; bald kam etwas darauf an,
ob diese wüste Masse bei dem was ihr mitgetheilt ward schwieg
oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner aus-
pfiff und anheulte. Nicht Viele hatten den Muth ihnen zuzurufen,
wie es Scipio Aemilianus that, als diese Bande wegen seiner
Aeuſserung über den Tod seines Schwagers ihn auszischte, daſs
solches Volk nicht mitzureden habe auf dem römischen Markt:
ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist, sondern Stief-
mutter, ihr habt zu schweigen! und da sie noch lauter tobten:
ihr meint doch nicht, daſs ich die losgebunden fürchten werde,
die ich in Ketten auf den Sclavenmarkt geschickt habe? — Daſs
man der verrosteten Maschine der Comitien sich für die Wahlen
und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug; aber
wenn man diesen Massen, zunächst den Comitien und factisch
auch den Contionen, den Eingriff in die Verwaltung gestattete
und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solchen Eingriffs
aus den Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus
dem gemeinen Seckel sich selber Aecker sammt Zubehör decre-
tiren lieſs, wenn man einem Jeden, dem die Verhältnisse und
sein Einfluſs beim Proletariat es möglich machten die Gassen
auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete sei-
nen Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens
aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende
der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern
bei der Monarchie. In diesem Sinne ist der bittere Tadel des fla-
minischen Ackergesetzes von 522 (I. 373. 622) gerechtfertigt,
das nicht etwa die eigentliche Aristokratie, sondern die Männer
des scipionischen Kreises als den Anfang des Verfalls der römi-
schen Gröſse bezeichneten; in der That erscheint hier zuerst,
nachdem die Comitien aufgehört hatten ein städtisches Vogtding

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[88/0098] VIERTES BUCH. KAPITEL II. auch der Tribus- und Centurienbeschluſs in dieser Zeit wesent- lich nichts als ein durch einige obligate Jaherren legalisirter Be- schluſs des vorschlagenden Beamten. Wenn aber in diesen Stimmversammlungen, den Comitien, im Ganzen noch bloſs die Bürger zugelassen wurden, so wenig man es auch mit der Qua- lification genau nahm; so war dagegen in den bloſsen Volksver- sammlungen, den Contionen, platz- und schreiberechtigt wer nur zwei Beine hatte, Aegypter und Juden, Sclaven und Gassenbuben. In den Augen des Gesetzes bedeutete allerdings ein solches Mee- ting nichts; es konnte nicht abstimmen noch beschlieſsen. Allein thatsächlich beherrschte dasselbe die Gasse und schon war die Gassenmeinung eine Macht in Rom; bald kam etwas darauf an, ob diese wüste Masse bei dem was ihr mitgetheilt ward schwieg oder schrie, ob sie klatschte und jubelte oder den Redner aus- pfiff und anheulte. Nicht Viele hatten den Muth ihnen zuzurufen, wie es Scipio Aemilianus that, als diese Bande wegen seiner Aeuſserung über den Tod seines Schwagers ihn auszischte, daſs solches Volk nicht mitzureden habe auf dem römischen Markt: ihr da, sprach er, denen Italien nicht Mutter ist, sondern Stief- mutter, ihr habt zu schweigen! und da sie noch lauter tobten: ihr meint doch nicht, daſs ich die losgebunden fürchten werde, die ich in Ketten auf den Sclavenmarkt geschickt habe? — Daſs man der verrosteten Maschine der Comitien sich für die Wahlen und für die Gesetzgebung bediente, war schon übel genug; aber wenn man diesen Massen, zunächst den Comitien und factisch auch den Contionen, den Eingriff in die Verwaltung gestattete und dem Senat das Werkzeug zur Verhütung solchen Eingriffs aus den Händen wand, wenn man gar diese Bürgerschaft aus dem gemeinen Seckel sich selber Aecker sammt Zubehör decre- tiren lieſs, wenn man einem Jeden, dem die Verhältnisse und sein Einfluſs beim Proletariat es möglich machten die Gassen auf einige Stunden zu beherrschen, die Möglichkeit eröffnete sei- nen Projecten den legalen Stempel des souveränen Volkswillens aufzudrücken, so war man nicht am Anfang, sondern am Ende der Volksfreiheit, nicht bei der Demokratie angelangt, sondern bei der Monarchie. In diesem Sinne ist der bittere Tadel des fla- minischen Ackergesetzes von 522 (I. 373. 622) gerechtfertigt, das nicht etwa die eigentliche Aristokratie, sondern die Männer des scipionischen Kreises als den Anfang des Verfalls der römi- schen Gröſse bezeichneten; in der That erscheint hier zuerst, nachdem die Comitien aufgehört hatten ein städtisches Vogtding

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Zitationshilfe: Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855, S. 88. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/mommsen_roemische02_1855/98>, abgerufen am 25.11.2024.