Mommsen, Theodor: Römische Geschichte. Bd. 2: Von der Schlacht bei Pydna bis auf Sullas Tod. Leipzig, 1855.VIERTES BUCH. KAPITEL II. Zeichen dieses Cliquenregiments ist die leidige Sitte der Morgen-besuche zur Aufwartung bei den vornehmen Freunden und des öffentlichen Erscheinens in ihrem Gefolge, die von den Schutz- befohlenen und Freigelassenen jetzt auf die höheren und höch- sten Kreise sich zu übertragen begann; die politische Carriere fing schon nicht mehr im Lager an oder in nützlicher Thätigkeit für das gemeine Beste, sondern in den Vorzimmern der einfluss- reichen Männer. Nicht minder charakteristisch ist die der gegen- wärtigen Zeit angehörende gesetzliche Bestimmung, dass niemand zum zweiten Mal das Consulat solle verwalten dürfen -- eine Verfügung, in der sich zwar auch die sinkenden Republiken eigenthümliche Furcht vor der Uebermacht der Einzelnen aus- spricht, aber vor allem doch die bezeichnende politische Auffas- sung, dass nicht der Staat ein Recht habe für sein höchstes Amt auf den rechten und besten Mann, sondern dass jedes Glied der Camaraderie ein nicht durch unbillige Concurrenz zu verkürzen- des Anrecht auf das höchste Staatsamt besitze. -- Dies alles hätte ertragen werden mögen, wenn diese thatsächliche Erblichkeit der regierenden Aristokratie zu einer entsprechenden Aenderung der Verfassung, das heisst zur Beseitigung der freien Concurrenz zu den Aemtern und der Volkswahlen geführt hätte, welche beide dem Wesen der Nobilität schnurstracks entgegenliefen. Allein zu politischen Neubildungen vermochte man jetzt weniger als je zu gelangen und so bewahrte man in der alten jetzt inhaltlosen Ver- fassungsform einen Deckmantel für die entsetzlichsten Miss- bräuche und eine stetig wirkende Hemmung jedes ernsten und rechten Regiments. Die römische Aemterlaufbahn als Quaestor oder Volkstribun zu betreten war verhältnissmässig leicht, zum Consulat aber oder gar zur Censur zu gelangen selbst dem ge- wöhnlichen Adlichen nur durch grosse und jahrelange Anstren- gungen möglich; der Preise waren viele, aber der lohnenden wenig; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, aber mehr und mehr sich verengenden Rennbahn. Es war dies durchaus zweck- mässig, so lange das Amt noch wirklich wie es hiess eine ,Ehre' war und militärische, politische, juristische Capacitäten im rech- ten Wetteifer um die seltenen Kränze warben; jetzt aber war der Nutzen der Concurrenz durch die Geschlossenheit der Nobilität beseitigt und nur noch ihre Nachtheile übrig geblieben. Mit sel- tenen Ausnahmen drängte jeder den regierenden Familien ange- hörende junge Mann sich in die politische Laufbahn und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln als VIERTES BUCH. KAPITEL II. Zeichen dieses Cliquenregiments ist die leidige Sitte der Morgen-besuche zur Aufwartung bei den vornehmen Freunden und des öffentlichen Erscheinens in ihrem Gefolge, die von den Schutz- befohlenen und Freigelassenen jetzt auf die höheren und höch- sten Kreise sich zu übertragen begann; die politische Carriere fing schon nicht mehr im Lager an oder in nützlicher Thätigkeit für das gemeine Beste, sondern in den Vorzimmern der einfluſs- reichen Männer. Nicht minder charakteristisch ist die der gegen- wärtigen Zeit angehörende gesetzliche Bestimmung, daſs niemand zum zweiten Mal das Consulat solle verwalten dürfen — eine Verfügung, in der sich zwar auch die sinkenden Republiken eigenthümliche Furcht vor der Uebermacht der Einzelnen aus- spricht, aber vor allem doch die bezeichnende politische Auffas- sung, daſs nicht der Staat ein Recht habe für sein höchstes Amt auf den rechten und besten Mann, sondern daſs jedes Glied der Camaraderie ein nicht durch unbillige Concurrenz zu verkürzen- des Anrecht auf das höchste Staatsamt besitze. — Dies alles hätte ertragen werden mögen, wenn diese thatsächliche Erblichkeit der regierenden Aristokratie zu einer entsprechenden Aenderung der Verfassung, das heiſst zur Beseitigung der freien Concurrenz zu den Aemtern und der Volkswahlen geführt hätte, welche beide dem Wesen der Nobilität schnurstracks entgegenliefen. Allein zu politischen Neubildungen vermochte man jetzt weniger als je zu gelangen und so bewahrte man in der alten jetzt inhaltlosen Ver- fassungsform einen Deckmantel für die entsetzlichsten Miſs- bräuche und eine stetig wirkende Hemmung jedes ernsten und rechten Regiments. Die römische Aemterlaufbahn als Quaestor oder Volkstribun zu betreten war verhältniſsmäſsig leicht, zum Consulat aber oder gar zur Censur zu gelangen selbst dem ge- wöhnlichen Adlichen nur durch groſse und jahrelange Anstren- gungen möglich; der Preise waren viele, aber der lohnenden wenig; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal sagt, wie in einer an den Schranken weiten, aber mehr und mehr sich verengenden Rennbahn. Es war dies durchaus zweck- mäſsig, so lange das Amt noch wirklich wie es hieſs eine ‚Ehre‘ war und militärische, politische, juristische Capacitäten im rech- ten Wetteifer um die seltenen Kränze warben; jetzt aber war der Nutzen der Concurrenz durch die Geschlossenheit der Nobilität beseitigt und nur noch ihre Nachtheile übrig geblieben. Mit sel- tenen Ausnahmen drängte jeder den regierenden Familien ange- hörende junge Mann sich in die politische Laufbahn und der hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln als <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <p><pb facs="#f0074" n="64"/><fw place="top" type="header">VIERTES BUCH. 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VIERTES BUCH. KAPITEL II.
Zeichen dieses Cliquenregiments ist die leidige Sitte der Morgen-
besuche zur Aufwartung bei den vornehmen Freunden und des
öffentlichen Erscheinens in ihrem Gefolge, die von den Schutz-
befohlenen und Freigelassenen jetzt auf die höheren und höch-
sten Kreise sich zu übertragen begann; die politische Carriere
fing schon nicht mehr im Lager an oder in nützlicher Thätigkeit
für das gemeine Beste, sondern in den Vorzimmern der einfluſs-
reichen Männer. Nicht minder charakteristisch ist die der gegen-
wärtigen Zeit angehörende gesetzliche Bestimmung, daſs niemand
zum zweiten Mal das Consulat solle verwalten dürfen — eine
Verfügung, in der sich zwar auch die sinkenden Republiken
eigenthümliche Furcht vor der Uebermacht der Einzelnen aus-
spricht, aber vor allem doch die bezeichnende politische Auffas-
sung, daſs nicht der Staat ein Recht habe für sein höchstes Amt
auf den rechten und besten Mann, sondern daſs jedes Glied der
Camaraderie ein nicht durch unbillige Concurrenz zu verkürzen-
des Anrecht auf das höchste Staatsamt besitze. — Dies alles hätte
ertragen werden mögen, wenn diese thatsächliche Erblichkeit der
regierenden Aristokratie zu einer entsprechenden Aenderung der
Verfassung, das heiſst zur Beseitigung der freien Concurrenz zu
den Aemtern und der Volkswahlen geführt hätte, welche beide
dem Wesen der Nobilität schnurstracks entgegenliefen. Allein zu
politischen Neubildungen vermochte man jetzt weniger als je zu
gelangen und so bewahrte man in der alten jetzt inhaltlosen Ver-
fassungsform einen Deckmantel für die entsetzlichsten Miſs-
bräuche und eine stetig wirkende Hemmung jedes ernsten und
rechten Regiments. Die römische Aemterlaufbahn als Quaestor
oder Volkstribun zu betreten war verhältniſsmäſsig leicht, zum
Consulat aber oder gar zur Censur zu gelangen selbst dem ge-
wöhnlichen Adlichen nur durch groſse und jahrelange Anstren-
gungen möglich; der Preise waren viele, aber der lohnenden
wenig; die Kämpfer liefen, wie ein römischer Dichter einmal
sagt, wie in einer an den Schranken weiten, aber mehr und
mehr sich verengenden Rennbahn. Es war dies durchaus zweck-
mäſsig, so lange das Amt noch wirklich wie es hieſs eine ‚Ehre‘
war und militärische, politische, juristische Capacitäten im rech-
ten Wetteifer um die seltenen Kränze warben; jetzt aber war der
Nutzen der Concurrenz durch die Geschlossenheit der Nobilität
beseitigt und nur noch ihre Nachtheile übrig geblieben. Mit sel-
tenen Ausnahmen drängte jeder den regierenden Familien ange-
hörende junge Mann sich in die politische Laufbahn und der
hastige und unreife Ehrgeiz griff bald zu wirksameren Mitteln als
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